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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Famos,“ sagte Günther, „fürstlich. Und die mächtige Siegellackstange da, die sieht doch ganz nach Hansel aus.“

„Ist auch von ihm. Hat er sich pfennigweise zusammengespart. Ein anständiger Bengel.“ Sie packte ihn, der strahlend daneben stand, zärtlich bei seinem Kraushaar. „Kriegt auch das größte Stück vom Kalbsbraten. Und die Mutter hat wieder Strümpfe gestrickt, für mich und den Kleinen. Und alle Kinder zu Hause haben so schöne Briefe geschrieben. Das ist doch ein anderer Geburtstag als vor’m Jahr.“

„Aber beste Frau Zöllner, darüber brauchen Sie doch nicht zu weinen!“

„Nee, ich weine ja auch nicht,“ sagte sie lächelnd, sich mit dem Handrücken über die Augen fahrend. „Ich freu’ mich bloß. Sehen Sie, wenn der Arnold nicht wär’ – – Hans, mein guter Junge, geh’, guck’ nach dem Fränzchen, er könnt’ mir in der Schlafstube die Wasserkanne herunterreißen; wenn der Arnold nicht wär’, dann säß' ich noch heute daheim und grämte mir die Augen aus dem Kopf. Es war doch ’ne schwere Zeit für mich, vergang’nen Sommer, wissen Sie! Alleine auf meinem Hof bleiben, wie mein guter Mann tot war, das konnt’ ich nicht; so mußt’ ich ihn verkaufen. Wenn man aber schon so seine eigne Häuslichkeit gehabt hat und soll dann wieder im alten Rest unterkriechen, das ist immer schlimm, auch bei den besten Eltern. Da war denn der Bruder wieder der Kluge, der Rat wußte. Nun hab’ ich doch wieder ’ne Häuslichkeit, wo ich schaffen kann und wo ich was vor mich bringe. Und ihm kann ich das Leben auch behaglicher machen, als er’s früher gehabt hat.“

„Und er thut immer, als wenn Sie ganz allein ihm und dem Hans zu Gefallen, hierhergekommen wären.“

„Na ja, das sieht ihm ähnlich, dem Heimtücker! Er will ja auch nie, daß ich außer der Miete nur einen Groschen von meinem eignen Geld in die Wirtschaft stecke. Was ich übrig behalte, soll ich nach der Sparkasse tragen für böse Zeiten, und weil doch mein Kleinerchen auch immer größer wird. Sprünge kann er ja noch nicht gerade machen, sagt er, aber es steht doch immer besser jetzt und wenn ich ihm seinen Haushalt nur sparsam führe, mehr verlangt er nicht von mir, sagt er. Aber, du lieber Gott, was versteht ein Mannsbild von solchen Sachen! Kann er mir in jede Tüte und in jeden Topf reingucken? Kann er mir’s nachweisen, wenn ich gelegentlich ein Pfündchen Zucker mitbringe und gelegentlich ein Pfündchen Mehl und es ihm nicht aufschreibe? Wenn er ein nobler Kerl ist – ich will mich auch nicht lumpen lassen! Und wie ich neulich grade dazukam, daß die Meta frischen Thee in die Büchse schüttete, da haben wir uns bloß angesehen und haben leise gelacht. Eigentlich wollt’ ich mit ihr schimpfen. Sie von ihren paar Groschen. Aber recht hat sie doch. Jeder wie er’s kann. Bloß merken darf er das nie. Daß Sie uns nicht verraten, Herr Günther! – Jemine; ich weiß überhaupt gar nicht, wie ich dazu komme, Ihnen das alles zu erzählen!“

Sie war über und über glühend rot geworden.

„Lassen Sie’s gut sein, Frau Zöllner,“ beruhigte sie der Musiker, vergnügt lachend. „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.“

„Na, dann werd’ ich nur jetzt die Suppe anrichten. Grete war an den schon längst fertig gedeckten Tisch getreten und rückte noch einmal an Tellern und Bestecken herum. „Sie könnten am Ende den Bruder holen.“

„Kann ich. Ich mache mich auch gleich noch ein bißchen schön bei ihm. Sehen Sie mal; mit den Händen habe ich Ihnen gratuliert.“

Rettenbachers Zimmer war bis auf die kleinsten Einzelheiten das wohlbekannte aus der Linkstraße, nur daß Hansens Bett noch darin hatte Platz finden müssen.

Vom Schreibtisch her winkte Arnold dem eintretenden Günther mit einem eben geöffneten Brief. Sein ernstes Gesicht war ganz von Freude erhellt. Es hatte auch wieder Farbe, die ihm während des letzten Gespräches auf der Dampfbahn abhanden gekommen war.

„Hier! Lesen Sie!“ rief er, dem Gast das Blatt hinreichend.

Günther las laut. „Herrn Oberlehrer Doktor Arnold Rettenbacher, Friedenau, Berlin.

     Sehr verehrter Herr Doktor!

Gestatten Sie mir die angenehme Mitteilung, daß eine zweite Auflage Ihrer ,Gesundheitspflege in der Schule’ notwendig geworden ist. Ich erlaube mir, Ihnen herzlich zu diesem Erfolg zu gratulieren. Etwaige Zusätze oder Striche wollen Sie gefälligst in beifolgendem Exemplar vornehmen und mir dieses dann baldmöglichst zusenden.

Hochachtungsvoll und ergebenst – – –     

„Hurra!“ schrie Günther seelenvergnügt. „So muß es kommen! Magisterchen, Sie sind ein Satansbraten! Gratuliere, gratuliere! Gott bewahre, freu’ ich mich! Weiß es denn die Grete – ich meine, weiß es denn Frau Zöllner schon?“

„Nein, wie sollte sie? Ich habe den Brief eben erst beim Heimkommen vorgefunden.“

„Nun, dann kommen Sie aber schleunigst! Ich sollt’ Sie ohnehin zu Tisch rufen – –“

Gerade während des Nachtischs brachte der Postbote noch einen Brief mit dem Poststempel Weißenfels.

„Vom Vater?“ sagte Rettenbacher erstaunt. „Der tausendblättrige Geburtstagsbrief ist doch schon heute früh gekommen. Was kann denn das nur noch sein? Hoffentlich nichts Schlimmes.“ Aber nach dem ersten raschen Durchfliegen rief er fröhlich: „Nein, sogar etwas sehr Gutes! Unser Lieschen ist Braut! Hört zu, schreit nicht so durcheinander, laßt mich vorlesen!“

     Lieber Sohn!

Eine erfreuliche Nachricht soll man nicht aufschieben und so ergreife ich die Feder – –

„Ergreife ich die Feder – das steht doch in jedem Brief vom Vater,“ rief Hans übermütig dazwischen.

„Halt deinen frechen Schnabel, du Naseweis,“ verwies ihn der große Bruder streng. „Lern’ erst selber ordentlich Briefe schreiben. Also – “

„die Feder, obwohl erst heute vormittag der große Geburtstagsbrief an Deine Schwester abgegangen ist. Aber dazumalen war eben die Neuigkeit noch nicht passiert. So erfahret denn, daß vor einer Stunde unser gutes Lieschen Verlobung gefeiert hat mit dem jungen Pastor Winkelmann. Grete wird ihn ja noch kennen von der Zeit her, wo er Hilfsprediger gewesen ist bei unserm alten Herrn Pfarrer. Nun hat er schon selber seine Herde in Zella St.Blasii und ist wohl zu hoffen, daß es eine hübsche, einträgliche Stelle sein wird. So hat uns der liebe Gott wieder einer Sorge um die Zukunft enthoben. Zu Weihnachten soll schon die Hochzeit gefeiert werden, wir haben nichts dawider, denn warum sollen sie noch lange warten, wenn doch das Nestlein schon bereitet ist.

Es herrschet eitel Freude im ganzen Hause und Deine Mutter geht herum und weiß nicht, ob sie weint oder lacht, aber die Augen sind ihr noch kaum trocken geworden. Die Regine ist gar stolz, daß sie diesmal schon Brautjungfer wird sein können, und der Franz will sich mit Gewalt erkundigen, ob er nicht wird dürfen Trauzeuge sein, wo er doch diesen Herbst schon eingesegnet wird.

Ich muß schließen lieber Sohn, denn es liegt mir noch ob, an Euren Bruder Ernst zu schreiben damit er auch recht bald die freudige Nachricht erhalte.

Die Liese läßt der Grete einen Extragruß bestellen und sie soll nicht weinen – –

– – Sie thut’s aber doch,“ sagte Rettenbacher mit einem lächenden, freundlich vorwurfsvollen Blick auf die junge Frau, die ihr Gesicht in die aufgestützten Hände gelegt hatte und sacht in sich hineinschluchzte.

„Ich meine schon, sie macht’s wie die Mutter,“ sagte Hans verständnisvoll.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_728.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)