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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Ein Mutterherz.

Erzählung nach einer wahren Begebenheit
von
Ferdinand Stolle.

In einem jener stillen grünen Thäler des schönen Sachsenlandes, wo lieblich die blauen Wellen der Mulde die Blumenufer küssen und der Himmel, so weit der Blick reicht, auf grüne Waldberge herabsinkt, umschatteten majestätische Linden ein freundliches Landhaus. Weithin über die gesegnete Gegend grüßten gastlich die grünen Jalousien, und der auf schlanken Säulen ruhende Altan war bekränzt mit blühenden Oleandern und buntfarbigen Hortensien. Fröhlich grünte auf der Morgenseite der Wein an sauber gehaltenem Geleite und in dem angrenzenden Garten ruhte der Frühling in stiller Pracht.

Aus der Glasthüre, die nach dem Balkon führte, trat eine nicht zu große, feingebaute Frau, mit sanften anmuthvollen Gesichtszügen. Ihr Anzug war einfach, aber geschmackvoll. Lange ruhte ihr schönes, von langen Wimpern umschattetes Auge auf der reichen Frühlingslandschaft; dann setzte sie sich an ein Tischchen in der Ecke des Balkon und nahm eine Stickerei zur Hand.

Rings athmete Stille: Lerchengesang klang von den Waldbergen herüber. Ueberall junges goldnes Grün – ein liebes Frühlingsbild.

Da knisterte von Neuem die Glasthüre, und vorsichtig, um von der geliebten Gattin nicht bemerkt zu werden, trat ein hoher stattlicher Mann heraus. Er trug ein Packet unterm Arme und nahte sich so leise wie möglich der Stickerin, um durch einen Kuß auf ihren schönen Nacken sie angenehm zu überraschen. Aber Felicitas hatte ein feines Ohr. Sie wandte das Köpfchen, und als sie den geliebten Gatten erschaute, eilte sie mit einem Freudenausruf dem unerwartet Heimgekehrten in die Arme.

Georg führte die Freudigüberraschte in den angrenzenden Salon, schlug das Packet auseinander, und indem er ihr einen Kuß auf die schöne Stirn drückte, schlang er mit Geschick und Grazie einen kostbaren Shawl um ihren Nacken.

Wo wäre das Weib, das beste nicht ausgenommen, das bei einem solchen aus Liebe dargebrachtem Geschenk nicht eine Art weiblicher Glückseligkeit empfände. Felicitas war ganz Freude, Glück und Dank. Sie war nicht putzsüchtig; aber ein solches kostbares Kleidungsstück, zugleich ächt und werthvoll, war schon immer der Wunsch ihres Herzens gewesen. Sie hatte ihn zwar nie laut ausgesprochen; aber der zartsinnige Gatte hatte ihn doch erlauscht und die erste passende Gelegenheit benutzt, ihn im reichen Maaße zu erfüllen.

Nach Felicitas kam die ganze Hausgenossenschaft an die Reihe. Da war Niemand vergessen. Jedem hatte der gute Hausherr ein passendes Geschenk, eine sogenannte „Messe“ mitgebracht. Da war Jubel im Hause. Eins zeigte seine Gabe dem Andern. Ueberall frohes Erstaunen, Bewundern, Dankgefühl. Ein kleiner Frühlingheiligerabend.




Als aber der Abendstern erblühte in himmlischer Schöne, die Lindenbäume stärker dufteten, das Wehr in der Ferne zu rauschen begann und die Nachtigall in langgehaltenen Tönen von Zeit zu Zeit aus den Waldbergen herüberschlug, saßen Georg und Felicitas wieder auf dem Balkon und erfreuten sich des himmlischen Frühlingsabends. Georg hatte seinen Arm um das geliebte Weib geschlungen, und sie auf ihre schönen Augen küssend, wie er so gern that, frug er: Nun, meine geliebte Königin der Unglücklichen, wie steht es in Deinem Reiche, was machen Deine Armen? Hast Du gereicht mit der Summe, die ich Dir zurückgelassen?

Felicitas seufzte. Mein guter lieber Mann, sprach sie, in dem ihr so eigenthümlich sanften, wohlthuenden Tone, Du glaubst nicht, wie groß das menschliche Elend ist, wenn man der Armuth nur etwas tiefer in das hohle Auge blickt. Die Summe, die ich vor Deiner Abreise überkommen, glaube mir, ist wohlangewendet; aber sie reichte nicht; und da ich kein Geheimniß vor Dir habe, mein guter Georg, so will ich Dir nur gestehen, selbst wenn Du schelten solltest, daß ich eine kleine Anleihe bei meiner Wirthschaftskasse gemacht habe, die ich durch spätere Ersparnisse wieder einzubringen gedenke.

Bei diesen Worten zuckte ein Strahl himmlischer Freude über Georg’s Gesicht. Er preßte das geliebte Weib inniger an’s Herz. Du Engel, sprach er, so will ich Dir eine recht frohe Botschaft mittheilen. Wisse, meine bedeutende Speculation vom vorigen Herbste ist von wunderbarem Segen begleitet gewesen. Ich kehre doppelt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_002.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)