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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Herz zog. Eine heiße Sehnsucht, die nie Erfüllung fand; eine geträumte Glückseligkeit, die nie zur Wahrheit ward; ein Reichthum von Liebe, der schweigend und trauernd in der Brust ruhte, weil er nie Erwiederung fand – kein lächelnd Kindlein erfreute das einsame Mutterherz.

Wenn auch Felicitas, obwohl mit schwerem Herzen für ihre Person auf das erträumte Glück verzichtet hätte, so war sie doch wahrhaft unglücklich, sobald sie ihres Gatten gedachte. Obwohl dieser in zarter Rücksicht es nie aussprach und im Gegentheil stets ihr liebreich Trost sprach, so lehrt sie doch ihr feiner weiblicher Instinct, wie glücklich Georg sein würde, wenn ihm ein holdes Kind heraufblühte, in welchem er seine Tugend, seinen reichen Geist, seinen edeln Sinn niederlegen und pflegen – ein holdes Kind, das ihm, wenn das Alter sein Haar weiß gefärbt, den eigenen schönen Jugendtraum zurückführen könne.

Und von Jahr zu Jahr ward die Hoffnung schwächer in der Brust des edeln Weibes; aber die Liebe, die unerfüllte Sehnsucht blieb dieselbe.

Das war die Wolke, die ihren Himmel trübte.

Ach, wie oft konnte sie Stunden lang sitzen in den Hütten der Armuth und sich erquicken in den Aeußerungen der mütterlichen und kindlichen Liebe in den kindergesegneten Familien. Wie liebte sie die Kleinen, wie ward auch zu sie von ihnen geliebt. Wie ward sie jubelnd umringt, wo sie sich blicken ließ; wie liebkoste und schmeichelte man ihr; aber mit stiller Wehmuth erkannte ihr weiblich Gemüth nur zu bald die ergreifende Wahrheit: die Mutter ist ihnen doch lieber.

Wie oft trat eine Thräne in ihr Auge, wenn ein kleinen liebes Mädchen einen Blumenstrauß brachte oder ein munter Knäblein ein Körbchen mit süßen Früchten, und die Kleinen so lieblich aufschauten und ihre kaum verständlichen Worte vorbrachten – wie manchmal trat da Felicitas eine Thräne in das Auge bei dem Gedanken: Wenn wir so ein Kindlein hätten!

Der gute Georg war unermüdlich in sanften Tröstungen. Wenn in einer befreundeten oder bekannten Familie der Himmel ein geliebtes Kind zu sich genommen, wie wußte er den Schmerz des gebeugten Vaterherzens und des gebrochenen Mutterherzens ergreifend zu schildern. Wenn er von einem Kinde erfuhr, das sich verirrt und das nur geboren schien, um den Seinen Kummer und Sorge zu bereiten; das alle auf ihn verwendete Liebe nur mit Undank und Lieblosigkeit belohnte, wie beklagte er die tiefgebeugten Eltern.

Sieh’, meine Felicitas, pflegte er dann zu sagen, wer weiß, ob es der Himmel nicht gut gemeint hat mit uns; ob er uns nicht ein so großes Herzeleid hat ersparen wollen.


Und abermals war ein Jahr dahin gegangen. Ein reizender Frühlingsmorgen war aufgeblüht. In tausend Glocken und Kelchen blitzten Diamanten, Rubinen, Smaragden, der himmlische Brautschmuck des Morgens.

Georg war bereits früh aufgestanden und zeichnete in seinem morgensonnlichen, nach den Waldbergen hinausgelegenen Arbeitszimmer an einem Bauplane zu einem neuen, geräumigeren und freundlicheren Schulhause, verbunden mit einer Kleinkinderbewahranstalt – einem längst gehegten Lieblingswunsche seiner Felicitas; wo die Kleinen, wenn die armen Eltern auf der Arbeit und keine Zeit haben, Aufsicht zu führen, die Kindleins unter freundlicher Aufsicht stehen und theils spielende, theils nützliche Beschäftigung finden.

Finken und Grasmücken schmetterten unmittelbar vor den offenstehenden Fenstern, durch welche erfrischende Morgenluft herein wehte.

Georg war so eben in Betrachtung des herrlichen Naturbildes versunken, das vor ihm ausgebreitet lag, als die Thür aufging und Felicitas, schön wie eine junge Frühlingsrose hereintrat. Ihr Gesicht[WS 1] leuchtete in seliger Freude.

Sie eilte auf Georg zu und seine beiden Hände ergreifend, drückte sie dieselben mit sprachloser Innigkeit.

Endlich begann sie: Denke Dir nur, Georg, ich habe einen himmlischen Traum gehabt. Denke Dir nur, Gott hatte mir ein kleines Mädchen geschenkt. Es ruhte an meiner Brust und blickte mich mit seinen blauen Goldäugelein himmelgroß an.

Georg, der eben kein Traumgläubiger war, gedachte des Sprichworts: Träume sind Schäume. Aber er wollte die selige Stimmung seiner Gattin nicht zerstören. Darum küßte er sie und sagte in prophetischem Tone: Träume kommen von Gott: drum sei nicht hoffnungslos, meine Seele.

Felicitas erröthete; bei dem Gedanken an diese Hoffnung verklärte sich ihr Antlitz und in ihr Auge trat eine Thräne, schöner, heiliger, himmlischer als alle Diamanten und Perlen, die draußen in den Glocken der Blumen liegen.

Doch sollte ihr Traum wunderbarerweise auf andre Art in Erfüllung gehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gesiche
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_004.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)