Seite:Die Gartenlaube (1853) 010.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Die Familie gewährte den Anblick eines kleinen Zigeunerlagers. Während zwei ältere Knaben beschäftigt waren, am Rande des Waldes Binsen zu schneiden, die hier in großer Menge vorhanden waren, vertheilte die Mutter Stückleins von hartem Brote, das Almosen mitleidiger Landleute. Ein achtjährig Mädchen war bemüht, einen alten irdenen Topf mit frischem Quellwasser herbeizuschleppen, das mit zum Frühstück diente. Ein kleiner vierrädriger Wagen, in welchem ein zweijähriges Kind saß, das sich, munter in die Händchen klatschend, den grünen Wald anschaute, und ein paar noch unverkaufte im Hintergrunde des Wägleins aufgespeicherte Weidenkörbe war der ganze Reichthum der armen Familie. Mutter und Kinder waren fast nur in Lumpen gehüllt. Das Frühstück war das frugalste, welches es geben konnte. Für die Kleinen mußten freilich die dürren Brotstücken erst in Wasser aufgeweicht werden, während die größern Kinder mit ihren jungen Zähnen, den Eichhörnchens gleich, die harten Brotrinden zu verarbeiten verstanden. Ein klein wenig Salz vertrat die Stelle der Butter. Das alte Sprichwort: der Hunger ist der beste Koch, bewährte sich auch hier. Das einfache Mahl ward mit Appetit und sichtbarem Wohlbehagen verzehrt und hatte auch noch das Gute, daß es der kleinen Familie wohl zu bekommen schien. Die Kinder, groß und klein, sahen alle gesund und munter.

Felicitas sah geraume Zeit aus ihrem grünen Versteck mit innigem Interesse der kümmerlichen Frühstückscene zu. Dann trat sie hervor und redete die kindergesegnete Mutter freundlich an.

Als die Kleinen die schöne Dame erschauten, die so plötzlich aus dem Waldesgrün trat, hielten sie dieselbe für ein überirdisches Wesen und versammelten sich furchtsam um ihre Mutter. Jetzt erwachte auch der Säugling und blickte mit seinen blauen Augen himmelgroß zu Felicitas auf. Dieser knickten aber beim Anblick des Kleinen fast die Knie; ein electrischer Strahl durchzuckte ihr ganzes Wesen. Das war ja das Kindlein, welches sie im Traume erschaut. Dieselben blonden Härchen, blauen Augen; dasselbe himmelvolle Aufschauen.

Wie alt ist das Kleine? frug Felicitas, nachdem sie sich in Etwas gefaßt hatte.

Sie wird nächste Woche das halbe Jahr, erwiederte die Mutter und drückte einen Kuß auf die Stirn des Kindes, das sie mit ihren Armen sanft hin und herwiegte.

Felicitas konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Kindlein in ihre Arme zu nehmen. Sie lies es sich von der Mutter geben und dasselbe ebenfalls hin und herwiegend, liebkoste sie es mit mütterlicher Zärtlichkeit. Das kleine Mädchen blickte auch so vertrauend zu ihr auf und verhielt sich so ruhig, gleichsam als wisse es, in welch´ guten Händen es sich befinde.

Felicitas erkundigte sich nach den nähern Verhältnissen der Korbflechterin. Es waren die allerdürftigsten. Der Vater, ein armer Steinbrecher im Gebirg, war bereits seit einem Jahr gestorben. Er hatte die kleine Marie, so hieß das jüngste Mädchen, nicht mehr gekannt. Die arme Familie war genöthigt gewesen, den Wanderstab zu ergreifen und sich theils durch Körbeflechten - der einzigen Kunst, die sie erlernt hatte - und theils durch Ansprüche an die Barmherzigkeit der Menschen ihr armselig Leben zu fristen. Oft freilich war mancher Abend herabgesunken, wo Mutter und Kinder hungernd ihr hartes Lager auf irgend einem Boden, in einer Scheuer oder Stalle suchen mußten. Doch grämten sie sich darüber nicht. Der Mangel war ihr Begleiter von frühster Jugend an gewesen; und der Hunger hatte für sie weniger Abschreckendes, sobald er nicht zu unerbittlich anklopfte. Auch hatten sie, so weit der Himmel schaute, unter dem sie dahin zogen, noch immer gute Menschen gefunden, die sich ihrer Armuth erbarmt und die hülfreiche Hand darboten. Selbst manch abgetragenes Kleidungsstück war ihnen von Zeit zu Zeit menschenfreundlich gereicht worden. So befand sich diese arme Familie fast ein Jahr schon auf ihrer Wanderung.

Im Sommer geht es, erzählte die arme Mutter, da ist die Erde so warm und die Sonne scheint so goldig; aber der Winter, der Winter, wenn der Sturmwind eisig über die Felder weht und der Schnee die Wege bedeckt, daß wir nicht wissen, wo die Schritte hinwenden und erstarren vor grimmiger Kälte.

Aber, gute Frau, frug Felicitas, die noch immer liebevoll das kleine Mädchen in ihren Armen wiegte, Ihr könnt doch nicht Euer Lebelang so durch die Welt ziehen. Ist es denn nicht möglich, daß Ihr in Eurer Heimath einen kleinen Haushalt gründen und Euch auf bessre Weise das Brot erwerben könntet?

Nein, liebe gnädige Frau, gab die Korbflechterin mit vieler Resignation zur Antwort, das ist nicht möglich.

Nennt mich nicht gnädig, sprach sanft Felicitas, kein Mensch, nur Gott ist gnädig.

Unsre Absicht war Anfangs, fuhr die arme Frau fort, einen kleinen Glashandel anzulegen; auch wollte die alte Muhme meines Mannes das Geld dazu hergeben; aber ein böser Advocat brachte sie noch in ihren alten Tagen um all das Ihre. Sie war, als sie starb, so arm wie wir.

Ein kleiner Glashandel glaubt Ihr, daß der Euch nähren würde? frug Felicitas.

Ein solcher, längst der böhmischen Grenze, läßt nicht zu Schanden werden, antwortete die Frau. Ja, wenn wir den hätten, fuhr sie fort, da wären wir glücklich; wollten das Korbflechten gern sein lassen und nie aus dem Gebirge herabkommen.

Und wie groß wäre wohl die Summe, die Ihr zu Anlegung eines solchen Handels bedürftet?

Ach Viel, sehr Viel, liebe gute Dame.

Ungefähr?

Unter einer Mandel[WS 1] Thaler würde es kaum gehen.

Felicitas, nachdem sie dem kleinen Engel, der zeither in ihren Armen geruht noch einen Kuß gegeben, legte ihn in die Arme seiner Mutter zurück. Bei dem Anblicke dieses Kindes aber und bei den Worten der Korbflechterin leuchtete, wie aus Himmelshöhen ein Gedanke durch ihre Seele.

Sollte mein Traum ein Wink voll Oben sein? frug sie sich; und nach längrer Pause sprach sie mildlächelnd zu der Korbflechterin: Ihr könntet mir Euer Kindlein hier lassen, gute Frau; ich selbst habe keine Kinder und würde wie eine Mutter dasselbe halten.

Die schöne Dame will sich einen Scherz mit einer armen Frau machen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. altes Zählmaß von 15 bzw. 16 Stück
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)