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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

der Mann am Schreibtische die Augen aufschlägt, sich durch das Labyrinth von Ballen, Schreibtischen und Bureauschranken durchwindet, und uns auf unseren schüchternen Gruß, dem eine Entschuldigung wegen unserer ungelegenen Störung nachhinkt, erwiedert, wir hätten uns nicht geirrt, es sei dies ganz richtig das Seidenwaarenlager, welches wir zu sehen gewünscht; ein Waarenlager, von dem uns früher ein glaubwürdiger Kaufmann versichert hatte, daß in demselben durch’s Jahr nicht weniger denn um 100,000 L. Strlg. Geschäfte gemacht werden.

Lassen Sie uns offen gestehen, daß wir beim Anblick dieser geschäftslosen Stille gegen die Angaben unseres befreundeten Kaufmannes Mißtrauen zu fühlen anfangen. Aber wir sollen bald in die Lage kommen, ihm Abbitte zu thun.

Die wurmstichige Thüre, durch die wir hereingekommen waren, öffnet sich wieder, und in die Stube tritt bedächtigen Schrittes ein Mann mit sorgfältig gebürstetem Hut, tadellosen Vatermördern und elegantem Frack, grüßt, frägt den Herrn des Schreibtisches wie es ihm gehe, zieht dabei langsam einen Handschuh aus, spricht über’s schöne Wetter, Alles als ob er blos dieser wichtigen Sachen wegen gekommen wäre, und deutet zuletzt, so nebenbei in Parenthese, so wie mit einer Art von Postscriptum, auf einen Stoß von Seidenstoffen, und frägt einfach:

„Die Nummer, Sir?“

„Zwei und Sieben,“ antwortet der Verkäufer. „Wie viel Stück soll ich bei Seite legen?“

„Fünfzig. Apropos, haben Sie gehört, daß unser Mr. Smith von uns fortgeht? Sonderbarer Mensch. Nun, guten Morgen, Mr. Bradelle.“ Ein Hutlüften für uns, und hinaus ist er zur Thür.

„Das ist einer unserer stärksten Kunden,“ bemerkt Mr. Bradelle.

„Ein Kunde? Nennen Sie das einen Kunden?“

„Ja wohl, Sie waren ja eben gegenwärtig, wie er fünfzig Stück Seidenzeug von gut assortirten Couleurs aussuchte.“

„Nun wahrhaftig, vom Aussuchen haben wir nichts gemerkt. Und was sagten Sie ihm mit Ihrem räthselhaften Zwei und Sieben?“

„Das war der Preis. Zwei Schilling und sieben Pence das Yard. Jedes Stück hält deren vier und achtzig.“

„So hat denn Ihr Kunde in dieser Schnelligkeit – lassen Sie uns sehen – beinahe um sechstausend Gulden Waare gekauft? Ohne Feilschen, ohne die Qualität zu untersuchen, ohne Ihren Artikel herunterzumachen. Herr, wie kömmt das?“

„Unser Geschäft“, erläutert Mr. Bradelle, „ist nach einem Prinzipe organisirt, das uns gestattet, mit möglichst wenigen Worten und in möglichst kurzer Zeit unsere Geschäfte abzumachen. Der Herr, der eben hier war, ist der Seideneinkäufer für Treacy u. Comp. Die Seideneinkäufe dieser großen Firma sind diesem Herrn so ganz und so unbeschränkt anvertraut, als wäre das Geschäft sein eigenes. Andere Individuen besorgen auf gleiche Weise den Einkauf von Wolle, Baumwolle, Cottonen u. dgl. Am Ende eines jeden halben Jahres legen sie ihrer Firma Rechnung ab, und wird durch die Bilanz nachgewiesen, daß das Zweiggeschäft, in dem der Eine oder Andere verwendet wird, nicht florirt hat, so wird die Stellung desselben gefährdet. Die Prinzipale wissen es ganz genau, und können es schwarz auf weiß nachweisen, ob die Schuld an der Geschäftsconstellation oder am Verkauf, oder endlich am verfehlten Einkauf gelegen war. Hat im entgegengesetzten Falle der Einkäufer den Geschmack des Publicums getroffen, war er geschickt genug, die gangbarsten Muster auszuwählen, und hat er überhaupt preiswürdig eingekauft, indem er z. B. die Geldverlegenheiten eines Fabrikanten oder eine französische Reise zu benützen verstand, (denn er darf die heimische und auswärtige Politik keinen Augenblick außer Augen lassen), und zeigt es sich auf die eine oder andere Weise, daß er bei der halbjährigen Abrechnung seinem Hause einen guten Profit eingebracht hat, dann ist für ihn die Chance vorhanden, daß sein Gehalt erhöht wird. Trifft sich das zwei-, dreimal, dann bekömmt er überdies noch Prozente vom Gewinn.“

„Alles recht, aber der Mann hat ja Ihre Waare, wie die Katz’ im Sack gekauft. Er hat sie ja nicht eines Blickes gewürdigt.“

„Das ist eben das Resultat langer Praxis und Erfahrung. Das ist die Kunst, seine Kunst zu verbergen. Der Mann, den Sie hier gesehen haben, der – glauben Sie mir – braucht meine Artikel nicht erst anzusehen. Der kennt meine Farben bis in die letzte Nuance und die Qualität meines Fabrikates bis in die Einschlagfäden hinein.“

„Aber der Preis, lieber Herr! Wir dürfen doch wohl vermuthen, daß Ihr Kunde von hier aus noch andere Magazine von Spitalfields besucht. Während wir hier reden, hat er seine Firma vielleicht schon in eine neue Schuld von ein paar tausend Pfund hineingerannt?“

„Sehr wahrscheinlich!“

„Nun wohl. Nehmen wir den Fall an, Ihr Nachbar offerirte ihm dieselbe Gattung von Seidenstoffen, in gleich guter Farbe und Qualität wie die Ihrigen, um einen niedrigeren Preis, könnte er da nicht – da Sie doch nichts Schriftliches in Händen haben – die eben gemachte Bestellung absagen?“

„Zu spät,“ antwortete Herr Bradelle, und nimmt dabei eine Lamartine’sche Stellung an, die den Franzosenabkömmling durchblicken läßt – „zu spät! Der Verkauf ist abgeschlossen, und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Der Abschluß ist so sicher, als ob er auf Pergament geschrieben und durch ein Dutzend Zeugen bekräftigt wäre. Des Einkäufers Existenz und die meinige beruhen auf der gewissenhaften Einhaltung unserer Verbindlichkeiten. Heute Nachmittag schicke ich ihm seine Ballen, und ich sehe die Kassenanweisung so deutlich vor mir wie den Zinstag.“

Sieht man diese Art der Geschäftsführung, die ungeheuren Capitalien, welche umgesetzt werden, die reichen Lager von Atlassen, Taffeten, Brokatstoffen, Damast und anderen Seidenzeugen, und hört man dagegen den oft genug ertönenden, herzdurchbohrenden Schrei der Armuth, der sich, wie ein Nothschuß an den Meeresklippen, an den Steinpalästen des Westendes bricht, wenn er aus dem Quartier der Noth überhaupt in das Quartier der Eleganz je hinüberreicht, dann weiß man wahrlich kaum, wie man diese beiden Gegensätze in Gedanken neben einander ordnen soll. Lassen Sie darüber unseren nüchternen Freund Bradelle sprechen. Er scheint die Sache zu verstehen, und äußert sich darüber folgendermaßen:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_014.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)