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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Ja! entgegnete dieser. Sie leistet das fast Unmögliche, das non plus ultra der Balletkunst. Ich zähle diesen Abend zu einem der amüssantesten während der Wintersaison.

Das wäre bei mir auch der Fall, wenn meine Gicht im linken Fuße mich nicht so gequält hätte und die dumme Scene mit den Perrücken nicht vorgekommen wäre, brummte Falke. Meinetwegen kann die ganze Welt wissen, daß ich eine Haartour trage, aber nur so mitspielen laß ich mir nicht.

Es ging aber dem andern Herrn auch nicht besser, tröstete begütigend der Nachbar und bot Falken eine Priese.

Mir ist es ganz gleich, bemerkte jetzt Herr Walke, dem keines dieser Worte entgangen war. Mir ist es ganz gleich, ob ganz Dresden es weiß oder nicht, daß ich eine Perrücke trage, und meinetwegen kann die ganze Geschichte morgen im Anzeiger stehen; hätte ich aber gewußt, daß der Herr vor mir, eben wie ich, eine Perrücke trägt, ich hätte ihn gewiß nicht angerührt.

Darum ist es auch um so leichter zu vergessen, tröstete eine junge neben Herrn Walke sitzende Frau, welche jedoch bei der Erinnerung an die Scene selbst ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Aber das Gelächter, der Scandal, die Polizeieinmischung, brummte Walke ärgerlich.

Hm, das ist morgen alles längst vergessen, bemerkte ein anderer Nachbar, während Herr Falke, der dies alles mit angehört, ungläubig den Kopf schüttelte. –

Der zweite Theil des Ballets endete, der Vorhang fiel unter dem rauschendsten Applaus und dem Herausrufen der Lucie Grahn, welche als der Vorhang wieder aufging mit einem Regen von Bouquetts und Kränzen überschüttet wurde. Dann fiel der Vorhang wieder und die Zuschauer entfernten sich.

Auch Falke und Walke traten ihren Rückweg an, und doch wollte es der Zufall, daß, als die nach allen Seiten der Treppe sich zudrängende Menge das Weitervorwärtsschreiten hemmte, beide neben einander zu stehen kamen.

Ich habe von dieser Lucie Grahn viel gehört, was ich aber heute gesehen, übertrifft alle meine Erwartungen, fing Herr Walke etwas verlegen an.

So geht es auch mir, entgegnete Herr Falke, und hätte die Gicht mir in meinem linken Fuße nicht so fürchterlich zu schaffen gemacht, und wäre die fatale Geschichte mit unserer Kopfbedeckung nicht dazu gekommen, so wäre mir dieser Abend einer der genußreichsten gewesen.

Ich bedaure, daß ich so ungeschickt war, betheuerte Walke treuherzig, aber ich konnte nicht ahnen, daß Ihr immerwährendes Aufstehen von Gichtschmerzen herrührte.

Nun ich trage eben so viel Schuld, rief Falke. Doch lassen wir das.

Vergeben und vergessen, bat Walke gutmüthig.

Vergeben und vergessen, rief Falke und schlug herzlich in Walkens dargebotene Hand. – Gehen Sie direct nach Hause? frug er nach einer Pause, während der Menschenknäul sich zu entwickeln begann und Beide langsam die Treppe hinabstiegen.

Nein, ich kehre noch im italienischen Dörfchen ein, entgegnete Walke, denn zu Hause, setzte er komisch hinzu, da wartet meiner Niemand als eine alte Haushälterin.

Just wie bei mir, bemerkte Falke.

Auch nicht verheirathet? frug Walke.

Ich bin ein alter Junggesell, und werde es nun wohl auch bleiben, lächelte Falke.

Just wie bei mir, rief nun Walke lachend. Wahrlich, wir haben manches Aehnliche mit einander.

Sogar die Perrücken, scherzte Falke, und unter traulichem Gespräch wandelten Beide dem italienischen Dörfchen zu, um den Abend in einer der dortigen Restaurationen zu beschließen. Nach 11 Uhr Nachts trennten sich Beide mit dem Versprechen, sich des nächsten Abends hier wieder zu treffen, und hielten auch Wort.

Kein Tag verging später, ohne daß die neuen Freunde sich nicht gefunden, denn diese beiden allein stehenden Männer waren sich bald unentbehrlich geworden und gewannen sich mit jedem Tage lieber. –

Zwei Jahre nach jenem Theaterabend saß Walke am Bette seines Freundes, bei welchem er bereits drei Nächte, mit einem jungen Mediciner abwechselnd gewacht, und tröstete ihn mit baldiger Genesung, denn Falke war plötzlich schwer erkrankt und lag seit Wochen schon darnieder.

Aber Falke schüttelte ungläubig den Kopf und seufzte bang aufathmend: Diesmal wird’s nicht wieder, diesmal geht die Reise fort. – Aber Walke eine Bitte noch!

Und welche, sprich!? frug theilnehmend Walke.

Nimm Dich meiner alten Haushälterin und meines Pudels an, und laß mich ganz in der Stille begraben, flüsterte Falke, dem das Sprechen schwerer zu werden schien.

O sprich nicht so, rief der Freund wehmüthig, während seine Thränen auf die abgezehrten Hände des Kranken herabtropfen, die Walke festhielt, und erschrocken fühlte, wie kalter Schweiß dieselben bedeckte.

Ich fühle es, Bruderherz – es wird bald alle sein, stöhnte Falke, und sank wie erschöpft auf sein Lager zurück, auf welchem er zu seinem Freunde aufblickend sich mit der äußersten Anstrengung all’ seiner Kräfte erhoben hatte.

Wir wollen zum Doctor schicken, begann jetzt leise der junge Mediciner, der zur Nachtwache mit bestellt worden war, indeß Walke voll stummen Schmerzes sich an des Kranken Seite setzte. Seit einer halben Stunde hatte der Patient sich offenbar verändert.

Walke nickte beistimmend, und die Haushälterin lief schluchzend fort, den Arzt zu holen, welcher vor einer Stunde erst den Kranken verlassen, aber es war zu spät; einmal noch versuchte mit Hülfe Walkens der Sterbende sich aufzurichten, sein gebrochenes Auge auf den Freund richtend, als habe er ihm noch etwas anzuvertrauen, aber plötzlich zuckte er das Gesicht krampfhaft verziehend zusammen und starb.

Weinend drückte Walkens Freundes Hand ihm die Augen zu.


Wenige Tage nach Falkens Tode erklärte das Gericht nach Eröffnung des Testaments, welches der Verstorbene hinterlassen, Walken zum Universalerben, welcher die alte Haushälterin, so wie den Pudel des Freundes, treu seinem Versprechen zu sich nahm und bis an deren Ende sorgsam pflegte.

Falkens Perrücke aber lies er, als die Begründung der Freundschaft, welche Beide so herzlich umschlossen, unter Glas einrahmen und unter Falkens Bild, Beides an der Wand seinem Bett gegenüber, befestigen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)