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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

dich selbst! das war eine ernste Mahnung, die die alten Griechen über die Thüren ihrer Tempel schrieben und diese Mahnung sollten wir Alle in großen Buchstaben in unserem Zimmer aufhängen; wie z. B. unser Freund Keil den goldenen Spruch in seinem Zimmer aufgehängt hat. „Zeit ist Geld!“

Erkenne Dich selbst! Ja, das ist wohl ebenso nothwendig, als daß man die große, schöne Natur kennen lernt. Kennt man die Natur und sich selbst, ach, dann ist man gescheidter als mancher Gelehrte und kann für sich und Andere nützlicher sein, als hundert Professoren und Geheimräthe. Wie nun ein wackrer Mann hier in der Gartenlaube Euch die Geheimnisse der Natur erkennen lehrt, so möchte ich Euch die Geheimnisse im Menschengemüth erkennen lehren. Freilich, jene sind viel schöner, viel heiterer und viel angenehmer als diese; deshalb auch werdet Ihr wohl lieber ihm als mir zuhören, und wenn Ihr Euch bei ihm oft verwundert, so werdet Ihr Euch bei mir oft ärgern, denn ich muß oft recht herbe Wahrheit sagen, und die will nie so recht gut schmecken; aber sie ist heilsam, wie eine gute Arznei für den Körper und dann geht sie auch wieder Hand in Hand mit der Lehre aus der Natur. Ist der Körper und die Seele des Menschen gesund, dann wird ihm die Natur immer schöner und immer näher sein, bis er ganz und gar darin lebt, wie in seiner wirklichen Heimath. Und je besser ein Mensch ist, desto gebildeter ist er, denn die schönste Bildung ist doch immer die: ein tüchtiger, braver Mensch zu sein. Die gelehrte Bildung thut's nicht und auch nicht die vornehme: ich kenne sehr viele gelehrt und vornehm gebildete Menschen, die eigentlich gar keine wahre Bildung haben. Und diese wahre Bildung macht den Menschen auch innerlich frei, so daß er sich als ein freier Mann fühlen kann, wenn er auch in Deutschland lebt, und ist so eine innere Freiheit erst einmal durch Alle gedrungen, nun, dann bringt sie auch die äußere Freiheit für Alle, „trotz Alledem und Alledem. –“

So lauscht denn nun recht wacker auf das, was Euch von der Natur erzählt wird und dann haltet Euch bei mir still und horcht, was ich Euch vom Menschen sage. Und seid nicht bös, wenn es weh thut. Es hat hier auch Keiner was voraus; ein Jeder kriegt sein Theil. – Alte und Junge, Frauen und Mädchen, Vornehm und Gering: Alle können hier was finden, was sie für sich brauchen können. Ich will nun nicht geradezu so sagen: das ist so und so, sondern ich will immer vorher Euer eigenes Nachdenken anreden; Euch jede Woche einige Fragen aufstellen, die mögt Ihr dann die Woche mit Euch herumtragen und sie Euch selbst und Euch unter einander beantworten. Die Woche darauf hört Ihr dann auch meine Meinung darüber und die könnt Ihr dann vergleichen mit der Euern, und dann sehen, wer es getroffen hat. –

Es würde mich nun auch gar sehr freuen, wenn da der Eine oder der Andere von Euch sich hinsetzte und so eine Frage nach seiner Ansicht beantwortete und mir die Antwort, durch den Verleger dieses Blattes zusendete. Ich würde sie aufmerksam durchlesen und gewiß manch Gutes für mich selbst und für uns Alle herausfinden und das Beste davon müßte dann auch wieder in die Gartenlaube kommen. – Nun will ich einmal anfangen zu fragen.

1. Frage: Was thun wir gewöhnlich mit Dem, was wir nicht verstehen? Und warum?

2. Frage: Gegen Wen sind wir gewöhnlich am dankbarsten? Und warum?

3. Frage: Warum loben wir oft so gern einen Menschen oder eine gute Handlung?

4. Frage: Warum sind wir oft rauh und streng gegen Jemand, den wir eigentlich hoch schätzen?

5. Frage: Warum loben wir meist so gerne und so leicht die Todten?

6. Frage: Was wird wohl am häufigsten mit der sogenannten Humanität oder Duldung verwechselt? Und warum?

7. Frage: Was ist oft der wahre Grund zu einer muthigen That?

8. Frage: Wer erscheint in einer Gesellschaft oft am geistreichsten? Und warum?

9. Frage: Wem bieten wir am liebsten unsere Wohlthaten an?

10. Frage: Warum fühlen wir es so rasch, wenn ein Anderer uns langweilt? und so spät, wenn wir einen Andern langweilen?

Nun will ich es aber vor der Hand mit diesen 10 Fragen bewenden lassen, damit ich Euch selbst nicht langweilig werde, und nun denkt hübsch nach bis zur nächsten Woche.




Blätter und Blüthen.

Ein Märchen und die Natur. Gleich mir wird Mancher in seiner Jugend das Märchen gelesen haben, das erzählt, ein König habe einst die drei Prinzen, seine Söhne, ausgesandt, damit sie ihm das Merkwürdigste aus den fernen Ländern brächten. Der, welcher ihm das Außerordentlichste vorlegte, solle sein Nachfolger auf dem Throne sein. Dieser Glückliche war der Jüngste, denn er brachte - eine Nuß. Eine Nuß? Ja. Seine Brüder lächelten auch verächtlich. In der Nuß befand sich aber eine Erbse, in der Erbse ein Hanfkorn, in dem Hanfkorn ein Hirsekorn und aus dem Hirsekorn zieht man - ein Stück Zeug von zwanzig Ellen.

Wie staunte ich damals! Allmälig aber lernte ich erkennen, daß das wirkliche Leben hundert Mal mehr Wunder enthalte als die wunderreichsten Märchen und daß die Wunder der Märchen Kinderspiele gegen die Wunder der Natur sind. Bleiben wir einmal bei dem Hirsekorn mit den zwanzig Ellen Zeug darin, über das ich als Knabe so sehr gestaunt. Was ist Außerordentliches dabei?

Da habe ich ein Samenkorn, das viel kleiner ist als ein Hirsekorn, ein Samenkörnchen von der Nachtkerze (Oenothera). Stecke ich dies in die Erde, so kommt eine große schöne Pflanze mit Blättern und Blumen von lieblichem Geruch aus ihm hervor, dann fünf, sechs, hundert Pflanzen. Dieses kleine Samenkorn enthält für alle Zeiten endlose Geschlechter ähnlicher Pflanzen mit ihren Blättern, ihren Blüthen und ihrem Duft. Stecke ich es in die Erde, so werden aus ihm lange noch, nachdem alle Menschen gestorben sind, die jetzt die Erde bedecken, andere Blüthen und andere Körner hervorgehen, die wieder andere Blüthen erzeugen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_031.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)