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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Sie, mich diese Nacht in Ihrer Wohnung zu behalten, da ich keinen Freund habe, den ich um diese Gefälligkeit angehen möchte, und unter Fremden mag ich sie nicht verbringen. Ich bin nicht mehr der Mann, den Sie sonst in mir kannten. Ich habe Unglück gehabt, – nicht blos im Spiel, denn eigentlicher Spieler bin ich nie gewesen; Alles ging, wie es nicht gehen sollte. Ich bin gebrochen und habe nichts mehr, – kein Geld, keinen Muth, sonst käme ich nicht zu Ihnen, um Sie um ein Obdach in dieser rauhen Nacht zu bitten. – Helene, Sie kannten Helenen?“

„Ihre Frau?“

„Ja . . Sie können sie so nennen. Nie hat ein Mann ein Weib zärtlicher geliebt, zuvorkommender behandelt, so lange er Mittel besaß . .“

Er schwieg und legte dann die Hand wieder auf die Stirn, als hätte er vergessen, was er habe sagen wollen. So saß er mehrere Minuten lang da und blickte vor sich hin.

„Sie sprachen von Ihrer Frau,“ sagte ich.

„Ja, . . aber schweigen wir von ihr . . Wenn man in jeder Stunde, in jeder Minute, bei Tag und bei Nacht an etwas denkt, spricht man natürlich auch davon und vergißt, daß andere Leute nicht gleiches Interesse daran haben.“

„Sie scheinen in Noth zu sein,“ sagte ich so freundlich als möglich.

„Ja,“ antwortete er, „es stand verzweifelt schlimm, ehe das letzte Unglück hereinbrach. Die Leute werden sagen, ich sei selbst schuld daran. Vielleicht ist’s so, aber das Leben zeigte sich mir nie so wie jetzt. Der Zufall brachte mich auf den unrechten Weg, ehe ich den Unterschied zwischen Recht und Unrecht kannte, und Mancherlei trieb mich auf demselben Wege weiter. Alte Gewohnheiten legen sich schwer ab. Könnte ich das Leben noch einmal von vorne anfangen, würde ich es in anderer Weise thun. Die Erfahrung kömmt fast immer zu spät, als daß man sie nutzen konnte. Und doch hat man kein Mitleid mit Verirrungen, ob es gleich oftmals gar schwer ist, das Rechte zu finden, besonders für einen jungen Mann, der in die Welt hineinlebt, bis er geworden was die Welt einen Taugenichts nennt.“

Er sprach in einem Tone, daß ich ihn bemitleiden mußte. Offenbar litt er unter einem Unglücke, das ihn erst vor Kurzem betroffen hatte. Ich machte mir sogar Vorwürfe darüber, daß ich erst Abneigung gegen ihn gehabt hatte, und dachte bei mir, wie wenige Menschen vielleicht einander hassen würden, wenn Aller Herzen sichtbar wären.

„Meine Kraft ist zu Ende,“ fuhr er fort. „Was mich quält, ist nicht von heute oder gestern. Ich habe äußerlich sorglos mich gezeigt, obgleich ich Dinge im Herzen trug, die jeden Andern um den Verstand gebracht haben würden; länger aber halte ich es nicht aus. Ich bin hin und her gehetzt worden wie ein entlaufener Sclave und fand auf keiner Seite einen Ausweg . . Ich will mich nicht mehr hetzen lassen,“ setzte er hinzu und stand rasch auf.

„Nun, denken Sie nicht mehr daran,“ fiel ich ein. „Wir wollen das Feuer wieder anmachen und es uns in der stürmischen Nacht hier wohl sein lassen.“

Ich legte Holz auf, blies die Kohlen an, setzte mich und bat Falk, sich auch einen Stuhl an das Feuer zu rücken.

„Ich hin so naß und kalt wie eine Hundenase“, sagte er und hielt die Hände vor die lustig aufflackernde Flamme.

„Sie waren auf dem Lande?“ bemerkte ich, da ich sah, daß seine Stiefeln sehr beschmuzt waren.

„Ich bin beute zehn Stunden weit gegangen und der trübe Himmel lastete auf mir, als läge ich lebendig in einem bleiernen Sarge begraben. Nachmittags kam ich an und bin seitdem zwecklos in den schmuzigen Straßen umhergelaufen. Ich glaubte ein Paar Freunde hier zu haben; es war ein Irrthum und ich trage die Schuld. Habe ich mir doch meine Bekannten selbst ausgewählt und ich hätte wissen sollen, wie sie gegen mich sein würden, wenn eine Zeit wie die jetzige gekommen. Von Einem nur erwartete ich mehr,“ fuhr er fort und er blickte stumm in das Feuer, „aber nach dem Benehmen Helenens darf ich nirgends Treue und Redlichkeit in der Welt erwarten. Auch lebte der Freund nicht Jahre lang unter meinem Dache wie sie und schwur mir nicht täglich Liebe zu . . Mag sie im Hospital sterben!“

Mehrmals versuchte ich es, unserm Gespräche eine andere Richtung zu geben; er kam immer wieder auf denselben Gegenstand zurück. Endlich ließ ich ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Nach einiger Zeit schien sein Zorn verraucht zu sein und er versank in düsteres Hinbrüten.

„Ich bin selbst kein reicher Mann, Falk,“ sagte ich und zog die Börse.

„Nein, nein,“ fiel er ein und machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung, „Geld brauche ich nicht. Geben Sie mir ein Obdach für diese Nacht und werde ich Sie in keiner Weise wieder belästigen.“

Ich hätte ihn gern gefragt, was ihn denn eigentlich so betrübe, um ihm wo möglich rathen oder helfen zu können, aber sein offenbar sehr gereiztes Wesen schreckte mich ab. So nahm ich mir denn vor, bis zu einer günstigen Gelegenheit zu warten. Ich beobachtete ihn, wie er so dasaß, der Lampe den Rücken zugekehrt; in seinem Gesicht spiegelten sich unverkennbar die Gedanken, die durch seine Seele zogen. Sie waren finster und unheimlich, so daß ich mich in der Nähe dieses Mannes allmälig sehr unbehaglich fühlte. Ich dachte an die Art, wie wir das letzte Mal geschieden, an die Worte, die wir damals gewechselt. Ich hatte an einem öffentlichen Orte laut Drohungen gegen ihn ausgesprochen. Viel hätte ich darum gegeben, wenn ich ihn hinwegzubringen vermocht; aber es war schon sehr spät und der Regen schlug noch immer klatschend an die Fenster.

„Wollen Sie etwas essen, Falk?“ fragte ich nach einer langen Pause, um nur der unheimlichen Stille ein Ende zu machen.

„Wenn Sie ein Glas Schiedamer haben,“ antwortete er, „oder irgend etwas, das die Lebensgeister anregt …“

„Eine Flasche Wein?“ fragte ich und stand auf, um sie zu holen.

Mein Gast nickte und ich stellte die Flasche vor ihn. Er schenkte sich ein Glas voll und trank es auf einen Zug aus.

„Wollen Sie mit mir trinken?“ fragte er. „Schenken Sie noch einmal ein. Es wird wohl das Beste sein, Ihrem Rathe zu folgen und über die Sache gar nicht mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)