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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

nachzudenken. Spielen Sie mir eine lustige Melodie aus dem „Barbier,“ aus „Figaros Hochzeit“ vor . . Aber nein,“ unterbrach er sich; „Musik stimmt mich wehmüthig, wie lustig sie auch klingen mag. Haben Sie Würfel?“

„Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr zu spielen.“

„Ich auch. Sie können keine triftigeren Gründe haben, den Würfelbecher zu hassen als ich. Spielen wir um Steine, um gar nichts, nur daß eine Stunde schneller vergeht.“

Ich suchte und fand Würfel. Wir setzten uns einander gegenüber am Tische mitten im Zimmer und fingen an zu spielen.

„Hatte ein Spieler jemals solches Glück!“ sagte er nach einigen Würfen. „Damit hätte ich schon eine große Summe gewonnen haben können . . Seltsam! In Homburg kannte ich einen Russen, der jedesmal gewann, wann er um nichts spielte, und jedesmal verlor, wann er auch nur einen Kreuzer setzte . . Da, sehen Sie, schon wieder! Meinen Sie, daß ich anderswo auch Glück haben würde?“

„Jeder Wurf hängt von zahllosen Kleinigkeiten ab, z. B. von der Haltung des Armes, vom dem mehr oder minder öfteren Schütteln, von der Kraft des Wurfes, von der Glätte der Würfelecken, von dem Winkel, in dem sie auf den Tisch fallen. Die einfachste Wirkung liegt an einer Kette von Ursachen, die in alle Ewigkeit zurückläuft; die leiseste Störung in irgend einem Gliede derselben muß auch eine andere Wirkung herbeiführen.“

„Sie haben Recht,“ antwortete er. „Noch ein Glas! Und noch ein Paar Würfe!“

„Es langweilt mich . .“

„Auch gut. So spiele ich gegen mich selbst .. Sehen Sie? Das Glück bleibt dasselbe und wie manche Nacht habe ich geworfen ohne das Glück bannen zu können. Ich könnte mir den Kopf an der Wand einrennen.“

Dabei warf er die Würfel ungestüm hin, ging auf und ab und sprach halblaut; dann trat er nochmals an den Tisch und versuchte die Würfel von neuem. Ich saß in einem Lehnstuhl am Kamine, sah ihm zu und wurde allmälig schläferig. Ich sträubte mich allerdings eine Zeitlang gegen den Schlaf, aber der Wein, den ich getrunken hatte, that das Seinige auch und so schlossen sich meine Augen. Zwar zog ich sie mehrmals mit Anstrengung wieder auf, endlich aber schlief ich ein.

Ich habe mich an die Ereignisse jener Nacht so oft erinnert, daß kein Umstand, kein Gedanke, der mich damals beschäftigte, nach dreizehn Jahren aus meinem Gedächtniß entschwunden ist. Ich weiß genau noch was ich träumte, als ich nach mehreren Stunden fröstelnd erwachte. Es war dunkel und kalt in dem Zimmer. Die Lampe war ausgegangen; gleichwohl sah ich in dem matten Lichte, das durch das Fenster hereinfiel, das Gesicht meines Gastes, der mich von der andern Seite des Tisches her anstierte. Seine Arme lagen auf dem Tische und sein Kinn ruhete auf denselben; seine Augen befanden sich fast in gleicher Linie mit den meinigen. Ich kam da, ich weiß selbst nicht wie, auf den Gedanken, er habe mich überfallen wollen und sei, als er mich eben genauer beobachtet, plötzlich zurückgehalten worden, weil ich die Augen aufgeschlagen. Ich sprang auf und sagte: „Was? Sie sitzen schlaflos ohne Licht und Feuer da?“

Er antwortete nicht.

„Brüten Sie wieder über Ihrem Ungemach?“ fuhr ich in einem gezwungen spöttischen Tone fort.

Er verharrte im Schweigen und machte auch nicht die geringste Bewegung. Ich bückte mich und schürte die Asche im Kamin auf. Es war kein Funke Feuer mehr darin. Dann nahm ich die Lampe und versuchte sie anzuzünden. Alles Oel war darin aufgezehrt. Ich rief meinen Gesellschafter bei seinem Namen, - vergebens. Unentschlossen stand ich da und scheute mich ihm näher zu treten.

„Wenn ihn der Schlag gerührt hätte!“ dachte ich dann, „oder –“ und ein Schauer rieselte durch meine Glieder – „wenn er sich selbst umgebracht hätte!“

Ich wollte Lärm im Hause machen und hatte bereits die Thürklinke in der Hand, aber ich ließ sie schnell wieder los, denn mir fiel ein, man könnte wohl mich für den Mörder halten. Ich wußte ja, wie sinnreich die kleinsten Anzeigen oft gegen den Angeklagten benutzt werden und dachte mit Entsetzen wieder daran, daß ich dem Manne an einem öffentlichen Orte vor vielen Personen, die sich der Sache gewiß noch erinnerten, mit meiner Rache gedroht hatte.

Ich trat wieder an den Tisch. Es war nun gerade hell genug, um in der Nähe einen Gegenstand deutlich erkennen zu können und als ich vom Fenster her zu dem Manne kam, erblickte ich die Bestätigung meiner Muthmaßung. Er hatte sich die Kehle durchgeschnitten; seine Arme waren auf den Tisch, sein Gesicht auf die Arme gesunken, wie ich ihn gleich im Anfange gesehen. Mein Rasirmesseretui stand geöffnet auf dem Tische und eines der Messer hatte er noch in der Hand. Gesicht und Hände waren bereits kalt, vom Puls nichts mehr zu fühlen.

In dieser schrecklichen Lage stellte sich mir die Gefahr, die mich bedrohte, so lebhaft vor, daß ich fast gelähmt wurde. Mein früherer Streit mit ihm, der Umstand, daß das Messer mein Eigenthum war und die Wunde von der Art, wie man sie selten an denen findet, die selbst Hand an sich gelegt, mußten schwer gegen mich zeugen. Und wie viele Mordthaten sind durch geringfügigere Ursachen veranlaßt worden!

So dachte ich, als ich neben dem Todten stand, und unbewußt hatte ich ein neues Zeichen der Schuld hinzugefügt, das mehr noch zu fürchten war als alle früheren: ich war in meiner Aufregung nicht darauf bedacht gewesen, mit dem Blute nicht in Berührung zu kommen und bemerkte nun, daß meine Aermelaufschläge feucht von Blut waren.

Jetzt Lärm zu machen und in meiner Aufregung die Wahrheit meiner seltsamen Geschichte zu behaupten, schien mir sicheres Verderben bringen zu müssen. Nur in der Flucht sei Heil zu finden, flüsterte mir die Furcht zu. Welche Zeit es war, wußte ich nicht; die Dämmerung konnte den nahenden Tag verkünden oder auch das Licht des Mondes hinter Wolken. Ich beschloß also das Nothwendigste zusammen zu nehmen, fortzugehen, meine Thür zuzuschließen und den Versuch zu machen, zunächst an die Grenze und dann wo möglich nach England zu kommen, um da das Weitere abzuwarten.

Als ich noch halbschwankend dastand, war es mir als zeige sich plötzlich ein Schatten am Fenster. Ich drehte mich sofort um und sah mit Entsetzen, daß von draußen Jemand hereinblicke. Täuschen konnte ich mich nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_035.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)