Seite:Die Gartenlaube (1853) 036.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Der Unbekannte am Fenster stand eine Zeit lang still; dann trat er bald an die, bald an jene Seite, als wolle er sich überzeugen, was ich hinter mir zu verbergen suche; aber trotz meiner Angst bewegte ich mich jedesmal nach derselben Seite hin, daß ich immer so vor dem Todten stand, daß er von Außen nicht gesehen werden konnte. Anfangs glaubte ich, es wäre mein Nachbar gegenüber, ein Maler, aber die Figur kam mir größer vor. Jedenfalls hatte etwas in meinem Zimmer die Aufmerksamkeit des Unbekannten erregt; vielleicht hatte er schon früher hereingesehen, wohl gar bemerkt, wie ich mit dem Messer in der Hand mich über den Dasitzenden gebückt.

Die Figur stand wiederum still; eben horchte sie offenbar und endlich hörte ich deutlich mit den Nägeln an die Scheibe pochen. Die schwache Hoffnung, daß ich in dem dunkeln Zimmer nicht gesehen worden sei, veranlaßte mich still zu bleiben. Das Pochen wurde wiederholt, bald aber sah ich, daß die Figur verschwand und auf den Stufen hinabging, die vor dem Hause, in dem ich wohnte, hinunterführten.

Ging der Mann fort um Anzeige zu machen, mich verhaften zu lassen? Ich trat an das Fenster und sah hinaus, ohne irgend Jemand zu erblicken. Dann zog ich den Laden zu, kleidete mich etwas anders an, steckte Geld zu mir, nahm einen Stock und ging hinaus, schloß meine Thür zu und schlich mich in dem Flur hin. Die Hausthür konnte ich leicht öffnen; ich that es so geräuschlos als möglich, schloß sie wieder zu und eilte davon.

Es schlug eben drei Uhr. Am Thor fragte mich ein Mann, wohin ich gehe. Ich sagte, ich sei ein Arzt und gehe zu einem Kranken, zu dem ich eben gerufen worden; ich durfte ungehindert weiter wandern. Die ganze Nacht lief ich, als würde ich schon verfolgt. Früh kehrte ich in einem kleinen Dorfe ein. Von da an vermied ich die Straße und ging ängstlich auf Feldwegen hin, denn ich wußte recht wohl, daß ich meine Lage durch die Flucht um vieles verschlimmert hatte. Was konnte ich sagen, wenn ich angehalten wurde, nachdem zu allen übrigen Anzeichen der Schuld die noch gekommen waren, daß ich in der Nacht aus meiner Wohnung entflohen war, alles was mir gehörte in Stich gelassen, im Thore eine falsche Angabe gemacht hatte und nun zu Fuße der Grenze zueilte? Es half nichts, daß ich es bereute, nicht sogleich die Wahrheit angegeben und meiner Unschuld vertraut zu haben.

Ich hatte so viel Zeit auf Nebenwegen verloren, daß ich erst am dritten Tage über die Grenze kam. Am vierten erreichte ich Arras, wo ich von meiner Müdigkeit etwas auszuruhen beschloß, hauptsächlich aber Zeitungen suchen wollte, um nachzusehen, ob über den Mord und meine Flucht etwas bereits darin erwähnt sei. Es war dunkel und ich hielt mich in enge Gassen, bis ich ein kleines Wirthshaus traf. In dieses trat ich und ließ mir etwas zu Essen geben. Meinen Platz nahm ich in einer Ecke allein und fragte dann schüchtern nach einer Zeitung. Man brachte mir die Gazette du Nord.

Zitternd las ich darin bald die Ueberschrift: Geheimnißvolle Flucht und ein Todesfall, und da hieß es:

„Am vergangenen Freitag klopft der Hausmann Clärs in dem Hause Nr. 6, Straße …, Brüssel, an die Thür des Herrn W., welcher da im ersten Geschoß wohnte und wunderte sich, daß derselbe noch nicht aufgestanden, da doch bereits Mittag vorüber war. Da er auch nach mehreren Stunden nichts von ihm vernahm, wurde er besorgt und öffnete die Thür mit dem Hauptschlüssel. Bei dem Eintreten bot sich ihm ein grauenhafter Anblick dar. Auf einem Stuhle an dem Tische saß ein todter Unbekannter, über und über von Blut aus einer tiefen Halswunde bedeckt. Auf dein Tische lag ein mit Blut beflecktes Rasirmesser. Der Todte war ein gewisser Falk, wie sich bald ergab. Sonst fand sich nichts Bemerkenswerthes. Anzeigen von einem Kampfe zeigten sich nicht; da aber der Bewohner des Zimmers verschwunden war, fiel Verdacht auf ihn. Der Hausmann erinnerte sich, daß der Fremde am Abende vorher nach Herrn W. gefragt. Herr Vandermere, ein Maler, der dem Hause gegenüber wohnte und ein Freund W.’s gewesen, sagte aus, er habe in jener Nacht bis nach Mitternacht Licht in dem Zimmer W.’s gesehen und da er wegen seiner kranken Tochter in die Apotheke habe gehen müssen, an das Fenster des Freundes geklopft, aber keine Antwort erhalten; dies sei halb zwei Uhr früh gewesen. Seitdem hat sich ergeben, daß kein Mord vorliegt, da der Verstorbene am Tage vorher an einen Bekannten in Brüssel geschrieben und ihm gemeldet, daß er in der nächsten Nacht sich das Leben nehmen wolle. Verlust am Spieltische und die Furcht vor Verhaftung wegen einer Betrügerei sollen ihn zu diesem verzweifelten Schritte betrieben haben. Das Verschwinden W’s ist noch ein Geheimniß.“

Gott sei Dank, es blieb nicht lange ein Geheimniß, denn es war mir eine Centnerlast vom Herzen genommen, ich kehrte nach Brüssel zurück und machte Anzeige von dem Geschehenen. Niemals aber aß, trank und schlief ich wieder in jenem grauenhaften Zimmer und nach acht Tagen bereits verließ ich auch Brüssel, das ich um keinen Preis wiedersehen mag.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Vierter Brief. Die Vulkane. (Schluß.)

Es ist eine schöne Sache um eine treffende Vergleichung, wobei man gleich das Wesen des verglichenen Dinges handgreiflich vor Augen hat. Ich kenne keine treffendere Vergleichung, als indem der große Naturforscher Alexander von Humboldt die Vulkane Sicherheitsventile der Erde nennt. Du weißt doch, was ein Sicherheitsventil ist? sonst freilich geht Dir das Treffende dieser vergleichenden Benennung verloren. Ein Sicherheitsventil

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_036.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)