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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

statt der herrlichen Abwechslung von Bäumen, Blumen und Früchten auf Erden finden.“

„Ja, ja, Florence, ich glaube, Du hast Recht – aber habe Gnade mit meinem armen Kopf; er ist zu klein, um so viel neue Ideen auf einmal aufzunehmen – thue was Du willst.“ Und das kleine Fräulein fing mit großem Eifer an, vor dem Spiegel ein neues Pas zu versuchen.


Wir treten in ein sehr kleines Zimmer, das sein Licht nur durch ein Fenster erhielt. Der Boden war nicht mit einem Teppich bedeckt; in einem Winkel stand ein sauberes, aber dürftiges Bett; in dem andern ein Küchenschrank mit wenigen Schüsseln und Tellern, an der Wand eine Komode; und vor dem Fenster stand ein ganz kleines neues Tischchen von Kirschholz, das freilich aber der einzige neue Gegenstand in dem ganzen Zimmer zu sein schien.

Ein blasses, krank aussehendes Weib von ungefähr vierzig Jahren lag in ihrem Sorgenstuhl mit geschlossenen Augen und die Lippen wie im Schmerz zusammengepreßt, zurück gelehnt. So lag sie wenige Minuten, drückte dann die Hand fest auf die Augen und nahm langsam wieder ihre feine Näharbeit vor, mit der sie vom frühen Morgen an beschäftigt gewesen war. Da ging die Thür auf und ein kleines, schlankes Mädchen von etwa zwölf Jahren trat herein; ihre großen blauen Augen strahlten vor Freude, als sie ihrer Mutter den Rosenstock, den sie in Händen trug, zeigte.

„Oh, Mutter, sieh doch! da ist eine aufgeblühte und hier sind zwei halb offene Knospen, und dann noch so viele kleine reizende Knöspchen, die zwischen den Blättern hervorgucken.“

Das Antlitz der armen Frau leuchtete, als sie erst die Rose und dann ihr bleiches Kind betrachtete, auf deren Wangen sie seit Monden nicht so frische Farben gesehen hatte.

„Gott segne sie!“ rief sie unwillkürlich aus.

„Miß Florence – ja ich wußte, daß es Dich freuen würde. Thut es Deinem Kopf nicht wohl, eine so schöne Blume zu sehen? Nun wirst Du auf dem Markt nicht mehr so sehnsüchtig auf die Blumentöpfe hinblicken, denn wir haben eine Rose hier, die schöner ist, als sie alle. Mir ist sie eben so viel werth, wie der kleine Garten, den wir früher hatten. Sieh nur die vielen hübschen Knöspchen! Ich will sie ’mal zählen – ach, und wie schön sie riecht! Wo sollen wir sie nur hinstellen?“ Und Mary sprang umher, stellte ihre Blume bald so bald so, und trat dann zurück, um zu sehen, wie sie sich ausnähme, bis die Mutter sie lächelnd darauf aufmerksam machte, daß die Rose nicht gedeihen könne, wenn sie kein Sonnenlicht habe.

„Ach ja, das ist wahr,“ sagte Mary, „nun, dann muß sie auf unserm neuen Tischchen stehen. Wie freue ich mich, daß wir einen so hübschen neuen Tisch dafür haben, sie wird um so schöner aussehen.“ Und Mrs. Stephens legte ihre Arbeit fort und faltete ein Stück Zeitungspapier zusammen, worauf der Schatz sorgfältig hingestellt wurde.

„So,“ sagte Mary, Alles noch mit sorgfältigem Blicke prüfend, „so ist’s gut – nein, doch noch nicht; die beiden offenen Knospen sind so nicht zu sehen; wir müssen den Topf noch ein bischen mehr herum drehen – so ist’s besser;“ und nun ging Mary rund um den Tisch, um die Rose in den verschiedensten Stellungen zu betrachten, worauf sie die Mutter nöthigte, mit ihr hinaus zu gehen, um die Blume von außen anzuschauen.

„Wie hübsch war es von Miß Florence, daß sie daran gedacht hat, uns die Rose zu schenken,“ sagte Mary; „obwohl sie so viel für uns gethan und uns so schöne Sachen gegeben hat, so scheint mir dieses doch das Beste von Allem, weil es zeigt, daß sie an uns gedacht hat und weiß, wie wir fühlen; und das thun so Wenige, nicht wahr, Mutter?“

Welch’ einen schönen lichten Nachmittag bereitete diese kleine Gabe in dem bescheidenen Zimmer. Wie viel schneller flogen Mary’s Finger bei ihrer anhaltenden Arbeit, und Mrs. Stephens vergaß über der Glückseligkeit ihres Kindes, daß sie Kopfschmerzen habe, und meinte, als sie Abends ihren Thee trank, sie fühle sich viel kräftiger als seit langer Zeit.

Diese Rose! ihr wohlthuender Einfluß schwand nicht mit dem ersten Tage. Den langen, kalten Winter hindurch weckte die Wartung, Pflege und Liebkosung der Blume tausend heitere Gedanken und Empfindungen, die die Einförmigkeit und die Last ihres täglichen Lebens auf erquickende Weise schwinden machten; jeden Tag zeigte die holde Blume einen neuen Reiz - bald hier ein Blättchen, dort eine Knospe oder einen frischen Schößling und Alles weckte immer wieder Lust und Freude in dem Herzen ihrer Eigenthümerin. Wenn die Blume so im Fenster stand, blieb mancher Vorübergehende stehen und betrachtete sie voller Bewunderung, und dann fühlte Mary sich stolz und glücklich; und selbst die ernste sorgenbeladene Wittwe war nicht unempfindlich für dergleichen, ihrem Lieblinge dargebrachten Huldigungen.

Florence aber, als sie das Geschenk machte, glaubte wohl nicht, daß ein unsichtbarer Faden sich um die Blume schlinge, der weit und stark mit dem Gewebe ihres Geschickes verflochten sei.

An einem kalten Nachmittage im Frühjahr trat ein großer, eleganter Herr in das niedrige Zimmer, um den Bewohnerinnen eine Rechnung für angefertigte Arbeit zu zahlen. Es war ein Reisender, dem sie durch die Freundlichkeit eines ihrer Gönner empfohlen waren. Als er gehen wollte, ruhte sein Auge bewundernd auf dem Rosenstock, und er blieb stehen, um ihn zu betrachten.

„Wie schön!“ sagte er.

„Ja, und die, welche sie uns schenkte,“ entgegnete die kleine Mary, „ist eben so schön und hold wie die Blume.“

„So,“ sagte der Fremde, angenehm durch die Antwort berührt, indem er ein Paar schöner, schwarzer Augen auf sie richtete, „und wie kam sie denn dazu, sie Dir zu schenken, mein Kind?“

„Oh, weil Mutter arm und krank ist, und weil wir uns nie etwas Hübsches anschaffen können. Früher hatten wir einen Garten und liebten die Blumen so sehr, und das wußte Miß Florence, und da gab sie uns die Rose.“

„Florence!“ wiederholte der Fremde.

„Ja, – Miß Florence l’Estrange – eine schöne Dame. Sie soll eine Fremde sein, spricht aber Englisch wie die anderen Damen, nur noch weicher.“

„Ist sie noch hier? Lebt sie in dieser Stadt?“ fragte der Fremde ungestüm.

„Nein, sie ist vor einigen Monaten fortgereist,“ entgegnete die Wittwe, und bemerkte hierbei, wie ein Schatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_069.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2019)