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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Irland, das arme verkümmernde Kind der Mutter Britannia, ist reich, wie kaum ein anderes europäisches Land, an großartigen, oft bizarren Landschaften, und besonders ist es seine Küste, welche der Natur und dem Naturfreunde hundertfältig Stoff und Ueberraschung bietet.

Wir sehen die natürliche Brücke von Kilkee an der irischen Küste. Drei Bogen spannen sich über kleine Busen des Meeres, getragen von zwei Pfeilern, von denen der eine vielleicht kaum noch ein Jahrhundert – eine Minute höchstens im Alter der Erde – den andringenden Wogen widerstehen wird. Dann stützt vielleicht der auf unserem Bilde rechts liegende Theil dieser Felsenbrücke in die brausenden Wogen, die dann triumphirend hoch aufspritzen werden. Dann kommt vielleicht der linke Pfeiler an die Reihe, der jetzt seinen dem Untergange bereits verfallener Nachbar schützt.

Die Felsenbrücke von Kilkee erinnert uns mächtig an eine würdige Aufgabe, welche der große englische Naturforscher Lyell[WS 1] zum Gegenstande eines Werkes gewählt hat, zu ergründen und nachzuweisen, wie die fort und fort noch in Thätigkeit begriffenen elementaren Wirkungen unsere Erdoberfläche verändern; wenn der Genannte auch darin bei den Naturforschern keine Zustimmung gefunden hat, daß nach seiner Meinung diese elementaren Wirkungen, wie sie jetzt noch statt finden, überhaupt es gewesen und stets ausreichend gewesen sein sollen, unserer Erdoberfläche ihre gegenwärtige Beschaffenheit zu geben. Was diese jetzt vermögen ist nichts gegen frühere Wasser- und Feuersgewalt, welche zu wiederholten Malen über den Erdkreis schritt.

Wir sehen auf dieser Schaubühne einer gewaltigen Naturscene die dazugehörigen Statisten. So kann man recht eigentlich jene meist weißen Vögel nennen, welche in zahllosen Schaaren jene nördlichen Klippen theils wolkengleich umschwärmen, theils regungslos auf den Vorsprüngen derselben sitzen oder vielmehr stehen, da den meisten ihre sonderbare Einfügung der Beine am hintersten Ende des Leibes, wobei der kurze steife Schwanz gewissermaßen die Rolle eines dritten Beines spielt, das Stehen viel bequemer als das Sitzen macht.

Wir nannten vorher das Toben des Meerwassers ein Anstürmen an das eigene Werk. Unser Bild zeigt das deutlich. Diese geschichteten Felsen sind in der Urzeit von Wasserfluthen abgesetzt worden, und jetzt ist es wieder Wasser, welches sie benagt und zuletzt vertilgen wird.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Sechster Brief.
Das Wasser.

Es mag wohl sein, daß Du, mein lieber Freund, es für einen argen Sprung hältst, von den Gallwespen, von welchen ich Dir in meinem letzten Briefe Einiges erzählte, heute auf das Wasser zu kommen. Dagegen fürchte ich nicht, daß Du Dich über die Wahl meines heutigen Stoffes wunderst. Du kennst ja meine Weise, alltäglichen Dingen und Erscheinungen eine mehr als alltägliche Aufmerksamkeit zu schenken. Du hast es früher schon erfahren, daß dabei das Gewöhnlichste für mich und für die, welchen ich dann meine Betrachtungen mittheile, einen neuen ungewöhnlichen Reiz gewinnt.

Laß Dir also heute einmal gefallen, daß ich Dir in meinem Briefe Wasser vorsetze, ein sauberes Glas voll hellen, klaren Wassers. Geh hinaus an den klaren Quell hinter Deinem Hof und laß Dir ein Glas davon voll laufen und trink es aus. Auswendig die frische Winterluft und inwendig das kühlende Naß – kommt nicht ein Gefühl über Dich, als schwebtest Du zwischen den beiden mächtigen Elementen in der Mitte, von ihnen getragen wie ein Schifflein auf einem spiegelhellen norwegischen See?

Was wäre die Erde ohne Wasser? Was mag der Mond sein, der ja bekanntlich kein Wasser hat!

Und dennoch sind in der Urzeit unserer Erdbildung viele Jahrtausende vergangen, während welcher wohl ein ungeheurer Dunstkreis von Wasserdampf den glühendheißen Erdkörper umgab, aber kein Tropfen Wasser sich auf ihm fand; ebensowenig, wie wir Wasser in ein glühendes Gefäß von Eisen gießen können, ohne daß es sogleich in zischenden Dampf verwandelt und als solcher in die Luft verjagt wird. Damals war unsere Erde aber auch noch kein Wohnplatz für Thiere und Pflanzen. Es mag lange gedauert haben, bis sich ihre Oberfläche so weit abkühlte, daß sich tropfbares Wasser auf ihr erhalten konnte; und abermals mag es lange gedauert haben, bis dieses tief genug unter den Siedepunkt herab gesunken war, so daß sich die ersten Thier- und Pflanzenwesen in ihm bilden konnten.

Jedoch ich will heute nicht von der gewaltigen, in großen Erscheinungen sich kund gebenden Macht des Wassers sprechen. Ich habe mir im Gegentheil vorgenommen, Dir Einiges von den kleinen, verborgenen Werken des Wassers zu erzählen, die allerdings in ihren Wirkungen dennoch nicht minder Großartiges leisten, weil sie unzählig und ununterbrochen in Thätigkeit sind.

Du bist ja auf dem Schwarzwalde bekannt. Denke Dich einmal an seinen westlichen Abhang. Ich weiß, daß Du ihn zweimal von Rastatt bis hinauf an die südliche Grenze von Baden bereist hast. Besinnst Du Dich noch auf die zahllosen Bäche und Bächlein, die alle vom Schwarzwalde

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sir Charles Lyell, britischer Geologe (1797–1875) (Quelle: Wikipedia)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_071.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)