Seite:Die Gartenlaube (1853) 072.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

herab kommen und dem Vater Rhein zueilen, um in seinem Schooße ihren kleinen Beitrag auszuschütten? Das läuft, das rennt! wie die geschäftigen Menschen in den Gassen einer großen Stadt. Oben auf dem Schwarzwalde stehen die alten, ehrwürdigen Tannen, und um ihre Füße herum breiten sich die feuchten, schwellenden Moospolster aus. Das ist die Werkstatt, wo die lebensspendende Wassergöttin alle die tausend Bäche und Bächlein macht, mit ihren dienstfertigen Gehülfen, den Sonnenstrahlen.

Denke Dir alle Wälder und Moose von dem Schwarzwalde hinweg – und in wenigen Jahren würde der Rhein um ein Bedeutendes wasserärmer unten in den Niederlanden ankommen.

Das weiß zwar Jedermann. Aber ich glaube doch, daß es Dich unterhalten wird, wenn ich Dir erzähle, wie es bei dieser so überaus wichtigen Quellenspeisung hergeht. Das ist’s ja eben, was ich allen meinen Mitmenschen wünschen möchte, und darin erblicke ich die edle Aufgabe der Naturwissenschaft, daß Alle in ihrer schönen mütterlichen Heimath heimisch werden sollen. Freude an der Natur – das ist der Balsam auf die Wunden, welche sich die Menschen in Unbrüderlichkeit täglich schlagen.

Die Bäume und überhaupt die Gewächse unserer Ströme entsendenden Waldgebirge sind die Wohlthäter, denen wir großenteils den Wasserreichthum unserer Quellen, Bäche, Flüsse und Ströme verdanken.

Nun magst Du meine heutigen Zeichnungen zur Hand nehmen. Figur 1 zeigt Dir den Bau eines feinen Wurzelspitzchens, wie deren ein Baum viele Tausende hat. Versuche es einmal zu denken, wie unendlich groß die Zahl solcher Wurzelspitzchen im Erdboden eines Waldgebirges sein mag! Sie sind vor Allem bei der Erhaltung des Wasserreichthums der Erdoberfläche thätig. Das Figürchen links (wie auch an Fig. 3 und 4) zeigt Dir die natürliche Größe. Die Wurzelspitzchen, die man gewöhnlich Thau- oder Saugwürzelchen nennt, bestehen aus kleinen Zellen. Du mußt Dir eine einzelne junge Pflanzenzelle (alle und jede Pflanzenmasse besteht aus Zellen und daraus sich bildenden, oft überaus zierlich beschaffenen zarten Schläuchen) als eine kleine Blase vorstellen, welche von einer sehr dünnen und zarten Haut, der Zellenhaut, umschlossen ist, und inwendig einen wässrigen Saft, den Zellsaft, enthält. Die Haut der jungen Zellen hat niemals Löcher, und dennoch nehmen die zarten Wurzelzellen das Wasser aus dem Boden auf. Um Dir das begreiflich zu machen, muß ich Dich mit einem sehr wichtigen Naturgesetze bekannt machen. Es ist die sogenannte Endosmose oder wie man es deutsch ausdrücken kann, die Durchschwitzung. Fig. 2. stellt ein mit Wasser gefülltes Gefäß dar, in welchem eine oben und unten offene Glasröhre, welche zum Theil mit Zuckerwasser oder dünnem Gummischleim oder Essig oder etwas dergl. gefüllt ist, steht. Unten ist sie mit Darmhaut fest zugebunden. Diese Darmhaut trennt also das Wasser im Gefäße von dem Zuckerwasser in der Röhre. Obgleich die Darmhaut auch ganz dicht ist und nicht die kleinsten Löcher hat, so fangen beide Flüssigkeiten doch bald an, durch sie zu einander hindurch zu dringen. Die Röhre wird nach und nach voll, bis sie überläuft. Dies dauert so lange, bis der Unterschied zwischen beiden Flüssigkeiten durch gegenseitiges Ueberdringen zu und in einander aufgehört hat. Hätten wir auch in die Röhre reines Wasser gegossen, so würde die Endosmose nicht statt gefunden haben. Sie tritt blos dann ein, wenn zwei Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit durch eine thierische oder pflanzliche Haut getrennt sind; und findet so lange ununterbrochen statt, bis diese Dichtigkeitsverschiedenheit in beiden Flüssigkeiten aufgehört hat, ausgeglichen worden ist. Nun denke Dir, der Erdboden sei das Gefäß mit Wasser, und jedes Wurzelchen ein mit dem etwas dichtigern Zellsaft gefülltes Röhrchen – und Du wirst leicht begreifen, welche Kraft es ist, welche das Bodenwasser durch die dichte Haut der Wurzelzellen in die Wurzel hinein treibt: die Endosmose ist es. Dieselbe Kraft leitet nun das Wasser von Zelle zu Zelle, bis in den Mittelpunkt der Wurzel, wo gestreckte fadenförmige Zellen dasselbe aufnehmen und nun immer höher in die dicken Wurzeläste, in den Stamm, in die Zweige leiten. Der Holzkörper dieser letzteren leitet es nun – es ist aber unterwegs von dem Verdauungsproceß der Pflanze bereits verändert worden – nach den Knospen und den sich daraus entfaltenden Blättern. Im Holze sind deswegen die meisten Zellen lang gestreckt und wie bei den sogenannten Gefäßen hat ihre Haut kleine Löcher, wodurch das Wasser leicht weiter dringen kann. Du siehst das an Fig. 3, welche ein Stückchen Eichenholz ebenfalls in sehr starker Vergrößerung darstellt. In der Mitte sehen wir ein Stück eines punktirten Gefäßes der Länge nach gespalten, welche auf dem Querschnitte die bekannten großen Poren des Eichenholzes bilden.

Jetzt wenden wir uns zu den Blättern. Sie geben aus, was die Wurzeln eingenommen haben. Daß die Blätter unter Umständen auch Feuchtigkeit aus der Luft einfangen können, sei hier blos beiläufig erwähnt. Aushauchung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)