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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Darf ich Ihnen einen Flügel dieses Huhns vorlegen?“

„Ich kann gerade nicht sagen, daß ich den Flügel am liebsten mag.“

„Ein Stück von der Brust also, Madame?“

„Es ist wohl sehr zäh, wie?“

„Nein, es scheint sehr zart zu sein.“

„Wahrscheinlich zu Faden gekocht.“

„Im Gegentheil, der Saft folgt dem Messer -“

„Oh, gräßlich - es ist noch roh!“

„Wirklich nicht - darf ich Ihnen dieses Stück? -“

„Ich esse nicht gern Geflügel, ausgenommen kalt.“

„Ach, dann ist hier ein allerliebstes kaltes Huhn - wenn Sie mir vielleicht erlauben -“

„Ich danke vielmals, ich mache mir Nichts aus Fleisch Morgens.“

Abgeblitzt.

Ihre Frau Gemahlin zieht vielleicht etwas geräuchertes Fleisch vor - oder Zunge oder -

„Diese Dame ist nicht meine Frau Gemahlin, Madame Rothkalb“ unterbrach ich jedoch die Wirthin, aus Furcht, daß die Bemerkung vielleicht von der andern Seite sonst kräftiger zurückgewiesen würde.

„O Jemine, bitte um Entschuldigung - aber Sie wissen wohl, wenn ein Herr und eine Dame zusammen reisen - es ist so natürlich -“

„Vollkommen natürlich, Madame Rothkalb.“

„Vielleicht wünscht die Madame ein Bischen Käse, oder ein Stückchen Apfeltorte, oder etwas eingekochte Früchte oder -“

Ich weiß nicht, wie die etwas krittliche Dame dies Alles aufgenommen haben würde, glücklicher Weise bließ aber der Postillon, ehe sie ein Wort darauf erwiedern konnte, und ich half ihr wieder in den Wagen. Gerade als sie einstieg, wagte ich einen andern Blick und es kam mir fast so vor, als ob sie ein wenig - vielleicht nur ein ganz klein wenig ordinair aussähe - aber lieber Gott, wer konnte das entscheiden. Napoleon hat gesagt, es sei nur ein Schritt von dem Sublimen zum Lächerlichen, und wir alle wissen, daß es zwischen dem wirklichen Weltton und förmlicher Gemeinheit oft weniger als das ist, und doch liegen Bildung und gesunder Menschenverstand dazwischen. Die Dame hielt sich also jedenfalls zu einem der Extreme, und es wäre unartig gewesen zu genau nachzuforschen zu welchem; dies ging überdies weit mehr Capitain Johnson von den Scharfschützen an, der sich darauf auch wahrscheinlich besser verstand als ich.

Indessen war die Dame ihrer früheren Schweigsamkeit müde, und redselig geworden. Sie sprach in einem fort, besonders von ihrem „Pa“ - und von sich. Ihr „Pa“ war ein Quäker - sie war aber kein Quäker. Sie hatten sie aus der Gemeinde, wegen ihrer Heirath mit Capitain Johnson, gestoßen. - Ihr „Pa“ war ein Kaufmann etc. etc. -

Lieber Leser, ich will Dir die Erzählung alles dessen, was ich an dem Tage litt, ersparen. - Das Temperament der Dame war keines der sanftmüthigsten, und Fahren schien ihr nur höchst mittelmäßig zuzusagen. Wenn wir anhielten, saß sie wie auf Kohlen, daß wir wieder abführen, wenn wir fuhren, wollte sie überall anhalten; wo wir zu essen bekommen konnten, hatte sie keinen Appetit und unterwegs fortwährend einen schmählichen Hunger. Hundert Mal mußte ich wenigstens absteigen und ihr Taschentuch aufheben, oder nach ihrem Gepäck sehn, und hundert Mal wenigstens wünschte ich sie in die Arme des Capitain Johnson von den Scharfschützen. Ich ertrug aber Alles mit einem wahrhaft stoischen Gleichmuth und rechne mir es noch bis auf den heutigen Tag zu einem nicht geringen Verdienst von damals, ohne die Geduld zu verlieren, Nichts versäumt zu haben was Pflicht und Artigkeit von mir verlangten.

Meine Begleiterin schien das allerdings kaum verdient zu haben, es war aber eine Frau, und ich würde schon deshalb manche kleine Eigenthümlichkeiten, so unbequem sie mir auch manchmal vorkamen, haben übersehn müssen, wäre ihr Gatte selbst nicht Capitain in der Armee gewesen. - Die Frau eines wackeren Officiers aber, der seinem Vaterland zu Land oder See dient, hat doppelte Ansprüche auf die Achtung und den Schutz ihrer Landsleute.

Endlich erreichten wir Baltimore; ich rief augenblicklich eine Droschke und erkundigte mich nun, wohin ich das Vergnügen haben könnte meine schöne Begleiterin zu führen.

„Zum Anker, - Straße, Fells Point“ lautete die Antwort.

Nach dem was ich den Tag erlebt über nichts mehr erstaunt, nannte ich dem Kutscher den Ort unserer Bestimmung und stieg nach ihr ein.

„Liegt ein Theil des Scharfschützen-Regiments an Fell’s Point im Quartier?“ frug ich.

„Ich weiß nicht“ sagte die Dame.

„Gehört Ihr Gemahl nicht zu diesem Regiment?“

„Mein Mann? - i bewahre, Capitain Johnson ist kein Soldat.“

„Ich habe mich dann verhört; ich glaubte verstanden zu haben, daß er Capitain bei den Scharfschützen sei.“

„Von dem Scharfschützen, Sir, er ist Capitän vom „Scharfschützen,“ ein Schoner der zwischen Baltimore und Nord-Carolina läuft und Theer, Terpentin und dergleichen Dinge herauf bringt. „Dort ist das Haus“ fuhr sie fort - „und wie ich sehe - da ist auch Mr. Johnson auf und wohl.“

Die bedeutete Person war ein kleiner untersetzter kräftig gebauter und gemein genug aussehender Seemann, halb angetrunken, mit einem Wachstuchhut auf dem Kopf, und einem furchtbaren Priemchen in der einen Backe.

„Wie geht's, Polly?“ rief er, als er seiner Frau aus dem Wagen half und ihr einen Schmatz gab, den man über die ganze Straße hinüber hören konnte - „wer ist der Herr da? - ein Schiffskamerad von Dir?“

„Das ist der Herr, dem mich Pa zu Hause anempfohlen?“

„Der Supercargo, ah? - kommen Sie, Mister, steigen Sie ab, und lassen Sie uns einen kleinen nehmen.“

Ich dankte dem Capitain und rief dem Kutscher zu weiter zu fahren, war aber fest entschlossen, welche Thorheiten ich auch sonst noch ausführen möge, mir doch nie wieder, so ich es irgend vermeiden könnte, „eine Dame anempfehlen zu lassen.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_078.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)