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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

mich auszusprechen, für welches ja, wie ich weiß, Ihr weiblicher Sinn, Ihr mütterliches Herz so wohlbereitet und empfänglich sind.

Ich glaube Ihnen in meinem letzten Brief schon angedeutet zu haben, daß die Kindergärten nicht das Ganze, sondern nur einen Theil der Erziehungsbestrebungen Fröbel’s ausmachen. Ich nannte sie den Grundstein seines Gebäudes, das er zwar nicht selbst auf- und ausgebaut hat, das wir aber nichts destoweniger vollendet nennen dürfen, weil er uns den Riß, den Plan dazu hinterlassen hat. Wenn Fröbel in den spätern Jahren seines Lebens seine praktische Thätigkeit als Erzieher nur auf das erste Kindesalter richtete, so dürfen wir deshalb nicht glauben, daß er in gleicher Selbstbeschränkung auch seine theoretischen Forschungen von dem Gesammtgebiete der Erziehung abgewendet und im Gegensatze zu dem Streben seiner jüngern Jahre seine vortrefflichen Ideen über Menschenerziehung überhaupt und rational deutsche Erziehung insbesondere aufgegeben und eben noch Kraft gehabt hätte, eine Kleinkinder- oder Spielschule zu begründen. Eine Zahl, ein Punkt sind dem Mathematiker genug, um aus ihnen unbekannte Größen und Verhältnisse mit untrüglicher Sicherheit zu beurtheilen, eine Linie genügt dem Künstler, um nach ihr in überrechnender Aehnlichkeit das Bild eines nie gesehenen Menschen zu schaffen. Woher diese wunderbaren Leistungen? Die in allem Erschaffenen und Lebenden herrschende unwandelbare Ordnung und strenge Gesetzmäßigkeit machen es einmal erkannt dem Scharfsinn des Menschen möglich, aus dem Theile das Ganze zu erkennen, aus einem gegebenen einfachen Gesetz die unbekannte Ordnung und Bewegung eines vielgliederigen Organismus zu finden. Mit Fröbel’s letzter Schöpfung, dem Kindergarten, verhält es sich ähnlich. Fröbel hat in seinem Kindergarten dem denkenden Pädagogen gleichsam einen solchen mathematischen Punkt, eine solche Linie vom Gottesantlitz des Menschen hinterlassen, nach welcher der ganze Mensch in seiner ursprünglichen Herrlichkeit und Schönheit gebildet werden kann. - Gott und Natur, frommer Glaube an jenen, treues Anschließen an diese, waren die Ausgangs- und zugleich Zielpunkte von Fröbel’s ganzem auf Veredlung und Beglückung der Menschen gerichteten Wirken. Wie wohlgeordnet, wie schön und erhaben die Natur unter dem harmonischen Zusammenwirken der ihr verliehenen Gesetze sich darstellt, so wollte er, sollte auch der Mensch in seinem Wesen allenthalben den Frieden, die Größe und Liebe seines Schöpfers offenbaren. Daher fortwährende Beziehung Gottes und der Natur auf den Menschen und des Letzteren auf Jene; daher die Forschung freier, d. h. natur- und vernunftgemäßer Entwicklung des Menschen von der Geburt ab bis zur sittlichen Reife und Selbstständigkeit, ja durch das ganze Leben; daher, und weil das häusliche Leben, das Schul- und Erziehungswesen und der ganze Sittenzustand seiner Zeit mit den göttlichen Gesetzen der Natur und Vernunft vielfach in Widerspruch, die Forderung und das Anstreben einer Grundreform der ganzen hergebrachten Erziehung und Bildung des Menschen in Haus, Schule und Leben. Das wollte Fröbel! Er hat so wenig wie Einer seiner reformirenden Vorgänger auf dem Gebiete der Erziehung das was sein inneres Auge als ein vollkommenes Bild anschaute, der Welt in glücklicher Vollendung und zu allseitig faßlichem Verständniß hinzustellen vermocht; – er sah die Abneigung seiner Zeitgenossen gegen die Selbsterkenntniß oder besser das Eingeständniß ihrer Schwächen, und so wendete er sich in sicherer und beruhigender Voraussicht mit dem Schatze seiner Erfahrung und seiner Liebe an das Geschlecht der Zukunft. So ist, was die mündige, afterkluge Welt als Frucht zu sehen und zu genießen verschmähte, dem reinen unschuldvollen Kindesgemüthe als Keim zur Pflege vertraut. Hier werden Zeit und Liebe ihn sicher reifen.

Der Kindergarten ist zu dem Worte Fröbel’s über erste Erziehung die That, zur Theorie die Praxis. Er ist aufgerichtet zwischen Haus und Schule; zu diesen beiden verhält er sich nicht als ein blos nützliches aber zur Noth entbehrliches, sondern als ein nothwendiges Verbindungsglied. Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Erziehung des Kindes vom Augenblicke der Geburt zu beginnen habe, d. h. daß das Kind vom ersten Lebenstage ab nach bestimmten, festen Grundsätzen zu pflegen, zu leiten und in seiner Entwicklung naturgemäß zu unterstützen sei, – mußte Fröbel eine neben andern Mängeln sehr bemerkbare Lücke in der Hauserziehung auszufüllen bedacht sein. Diese Lücke fällt in die dem schulfähigen Alter des Kindes vorhergehenden Jahre. So lange das Kind seiner Glieder, seiner Sinne, und der Sprache unabhängig von der Umgebung noch nicht frei sich bedienen kann, wird für dasselbe von den dazu berufenen Personen wohl oder übel das Nothwendigste geleistet; allein von dieser Zeit, also etwa vom dritten Jahre ab, bis zur Schule, also bis zu erfülltem sechsten oder siebenten Jahre, werden die Kinder im Aelternhause zuviel sich selbst und tausend Zufälligkeiten überlassen. Und doch ist es gerade diese Altersperiode, in welcher die Erziehung schon mehr als nur Pflege sein muß, da ja jetzt nach verhältnismäßig vollendeter Körperkräftigung das geistige Leben im Kinde mächtiger sich zu regen beginnt und immer nach Nahrung von Außen verlangt. Vernachlässigungen in diesen Jahren hindern ein naturgemäßes Fortschreiten des Kindes und erschweren den Uebergang zu der späterem strengeren und methodischen Schulerziehung. Besonders gefährlich für die erste sittliche Erziehung sind aber in dieser Zeit die Fortschritte, wie man es nennen möchte, welche die Kinder unter der Aufsicht unvorsichtiger oder leichtsinniger Aeltern oder Wärterinnen in der Kenntniß der Gewohnheiten, Neigungen und Sitten der Erwachsenen machen, wodurch sie der Sphäre der Kindheit oft frühzeitig entrückt werden. - Hier also nimmt der Kindergarten seine Stelle ein, hier bietet er dem Hause und der Schule seine Vermittelung an.

Der Kindergarten, in seiner äußern Erscheinung ein Spiel- und Tummelplatz munterer Kinder, ist doch seinem Wesen und seinen Wirkungen nach eine für das ganze spätere Leben seiner Zöglinge wichtige Erziehungsstätte. Er bietet seinen Zöglingen eine, die kindliche Natur allseitig erfassende, alle ihre Kräfte und Fähigkeiten naturgemäß eutwickelnde erste Erziehung. Er gewährt demnach den Kleinen was sie im Aelternhause nur mehr oder weniger unvollkommen oder gar nicht empfangen und was die Schule wenn es einmal versäumt ist, in spätern Jahren durch ihre Mittel nicht nachzuholen vermag. Der kindlichen Natur geschieht hier keinerlei Zwang und ebenso wenig entfremdet der Kindergarten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)