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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

mit Waffen von Eisen und Stahl, sondern durch die Schöpfungen und Erfindungen seines Genies. Das klingt stolz. Ein Bischen Stolz kann uns aber gar nichts schaden; wir haben ein Recht dazu und sind überhaupt viel zu bescheiden als Volk und im Ganzen und Großen. Doch davon später, wenn wir darauf kommen, was die Deutschen in England und Deutschland Alles gethan haben und thun, um den Engländern Geschmack, geschmackvolle Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes und Gemüthlichkeit beizubringen. Haben wir den Engländer erst gemüthlich gemacht, so baut er auch Lauben in seine Gärten, und dann haben wir wieder eine Eroberung gemacht, größer als alle, die den größten Schlachten folgten.

Ich versprach Ihnen, von London zu erzählen. Von London, dem „Herzen der Welt“, dem kalten, kaufmännischen Herzen der Welt. Das menschliche, wärmere Herz der Welt, das Gemüth der Menschheit schlägt in unserm geliebten Deutschland, der zärtlichen Mutter und dem weisen Vater alles Großen und Schönen der Erde, der Engländer und Amerikaner, des Christenthums und der Buchdruckerkunst, der Künste und Wissenschaften, der Stickmuster und Kinderspielsachen für alle Völker der Erde. London ist das kalte kaufmännische Herz der Welt; man kann deshalb auch sagen der Geldbeutel der Erde, das Central-Comtoir aller Menschen und Völker, die Gewerbe und Handel treiben. Das sind keine Redensarten; es ist vielleicht nichts so buchstäblich und genau wahr. Man kann nur nicht Alles gleich auf’m Flecke beweisen und durch Schilderung anschaulich machen; aber kommen soll’s schon noch.

Und wie sieht denn nun dieses London aus? Das ist eine kitzliche Frage. Es ist, wie gewisse Gespenster aus vergangener Zeit, fast immer unsichtbar und zeigt sich nur bei gewissen feierlichen Gelegenheiten, aber auch nur stark verschleiert. Es ist fast immer doppelt eingewickelt, erstens in Rauch, zweitens in Nebel. Wenn ich hier von Rauch und Nebel spreche, so muß man bei Leibe nicht an den gemüthlichen, bläulichen Rauch denken, der sich still vergnügt aus deutschen Schornsteinen in die Luft verliert, und nicht an die liebenswürdigen deutschen März- und Herbstnebel, die gegen Mittag ehrerbietig der Sonne weichen oder sich in einen soliden Regen verlieren, der endlich einmal aufhört. London hat mehr Schornsteine, als manches kleine Königreich Einwohner. Aus jedem dieser Schornsteine kommt Euch eine Masse, der man im höchsten Grade schmeichelt, wenn man sie Rauch nennt. Es ist ein so schmutziger, dicker, hartnäckiger, schwerfälliger, träger Qualm, daß er kaum mit Gewalt aus den röthlichen, runden Schornsteinarmen herauszubringen ist. Und dann pflanzt er sich sogleich breitbeinig in die Luft, nein in den Nebel hin und blickt trotzig um sich, als wollt’ er sagen: Wer will es wagen, mir den Platz zu verwehren? Ich bin ein freier Engländer und mache was ich will. Ich verschließe den Londonern Luft und Licht und Himmel und Sonne und weiter brauche und will ich nichts. Wozu brauchen die auch Luft und Licht und Himmel? Sie haben ihren Himmel auf Erden, ihre Geschäfte, ihre Pfunde, ihr gutes Fleisch und Bier und brennen den ganzen Tag Gas, wobei das Gold und die 500,000 Läden immer viel besser aussehen, als bei dem nüchternen Sonnenlichte, das nur erfunden zu sein scheint, um den Gas-Compagnien Schaden zu thun.

Dieser dicke, träge Qualm hüllt London ewig in einen dicken Pelz. Damit’s ihm aber darunter nicht zu warm werde, kommt sehr häufig ein College von ihm über London aus der tiefebenen Nachbarschaft, ein noch dickerer, feuchter, graugrüner Nebel, der manchmal allen den Millionen Gasflammen spottet und selbst das beste Wachslicht in der Stube dicht verschleiert. Dieser Nebel hält sich manchmal wochenlang in London auf, besonders im Winter, wo er das Landleben nicht zu lieben scheint. Der Himmel hängt dann nicht voller Geigen, sondern voller Schinken; er sieht dann wie ein einziger unaufhörlicher halbgeräucherter Schinken aus. Fängt’s dann dazu noch zu regnen an, so hört es in den ersten Wochen nicht wieder auf, wie z. B. diesen Winter.

Merkwürdig, und mitten in diesem ewigen Qualm und Nebel wohnen nicht nur Menschen, sondern auch über 21/2 Millionen Menschen dicht beisammen und wohnen nicht nur da, sondern machen auch mehr Geschäfte, als irgend in der Welt gemacht werden, und leben nicht nur besser, als anderswo, sondern auch länger und gesünder. London ist, erwiesen durch langjährig fortgesetzte medicinische Statistik, der gesündeste Ort auf der ganzen Erde, und in London selbst die dichteste Mitte, die City, der gesundeste Theil. Mag das jetzt Manchem noch so unglaublich klingen, es ist wahr, es ist eine durch sorgfältige Wissenschaft und Erfahrung festgestellte Thatsache, über die wir gelegentlich wohl auch noch ein möglichst vernünftiges Wort sprechen.

Wollen wir London zu Fuße messen? Nicht doch, es könnte uns sonst so gehen, wie jenem Liebespaare, das an dem einen Ende Londons in benachbarten Häusern wohnte und dem die Aeltern wehrten, zusammen zu kommen. So beschlossen sie denn, um London herum nach entgegengesetzten Richtungen abzugehen und sich am andern Ende unter einem Baume zu treffen. Man muß mir aber diese spaßige Geschichte, die ich in einem Witzblatte las, nicht übel nehmen; ich spreche gern, wie mir’s eben einfällt. Sie trafen sich zwar endlich, die Liebenden, an dem verabredeten andern Ende Londons, aber wie viel Zeit sie dazu gebraucht haben müssen, geht schon aus dem Umstande hervor, daß er bereits Vater von zwei Kindern und sie zum zweiten Male Wittwe war. Ich habe diese Geschichte blos deshalb mit erzählt, weil sie uns mittelbar wenigstens einen ganz annähernden Begriff von der Größe Londons für Fußgänger giebt. Aber in London geht Niemand zu Fuße, wenigstens läuft er dann. Im Uebrigen fährt er stets mit einem der 10,000 Omnibusse, oder einer Stadteisenbahn, oder dem Local-Dampfschiff, deren über 300 stets die verschiedenen Stadttheile verbinden, und sollte es auch nur mit dem „Hepny-Boote“ sein, wo man einen halben englischen Pfennig bezahlt, um von der City nach dem Westende zu kommen. Gentlemen fahren in einer der Tausende von Droschken und Cab’s. Von letzteren giebt’s eine zweirädrige Sorte, welche vielleicht das achte Weltwunder zu den sieben zu sein verdient, so leicht und schnell und sicher winden sie sich aalartig durch ewig von Fuhrwerk vollgepfropfte Straßen dem bezeichneten Ziele zu.

Oben auf dem Dache eines Londoner Omnibus, wo

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)