Seite:Die Gartenlaube (1853) 130.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wichtigen Körnchen, welche die Pflanze übrigens nicht für uns macht. Sie sind eine Reservenahrung für Neubildungen der Pflanze selbst. Sie kommen auch nicht blos im Samen vor, in welchem sie das Keimpflänzchen ernähren sollen. In den Holzzellen finden wir während des Winters große Vorräthe von Stärkemehl abgelagert, welche durch den aufsteigenden Frühjahrssaft zu gedeihlicher Nahrung aufgelöst werden.




Spanische Reisebriefe.

Von
E. A. Roßmäßler.[1]
Lyon, den 7. März 1853.  

Sie haben gewünscht, werther Freund, daß ich Ihnen für die Gartenlaube Reiseberichte schreibe. Ich thue es gern. Einmal weil die Vorliebe des Lesepublikums für Reiseberichte die Mängel meiner Berichte nachsichtig beurtheilen wird; einmal weil es mir ein wahres Bedürfniß ist, meine Art, die Dinge anzuschauen, Andern zur Beurtheilung vorzulegen. Ihrer Zustimmung glaube ich im Voraus versichert sein zu dürfen, denn ich weiß, daß Sie meine Anschauungsweise theilen. Wir sehen Beide überall und in Allem das Walten der Natur und ihrer Gesetze. Ich will diesem Walten jetzt für einige Zeit in dem südlichsten Himmelsstriche Europa’s lauschen, wo die mächtige Triebfeder, die Wärme, die Pulse des Lebens rascher und voller treibt und neben der anderen, kaum weniger mächtigen, dem Wasser – je nachdem es entweder fehlt oder in Fülle rinnt – entweder glühende Steppen oder üppige Gärten zaubert. Spanien ist, wie Sie wissen, das Ziel und seit lange der ersehnte Pol meines Strebens; Spanien, das ungekannte, und was schlimmer ist, das verkannte Spanien. Sie wissen noch nicht, was ich Ihnen berichten werde, wohl aber können Sie wissen, was ich Ihnen nicht berichten werde – Schilderungen von Schlössern und Palästen, von Domen und Kathedralen, Gemäldegallerien und Arsenalen, Festungen und Universitäten. Von dem Allen und sonstigen Ingredienzen der meisten Reiseberichte erwarten Sie in dem meinigen nichts. Die Natur Spaniens will ich Ihnen und Ihren Lesern schildern, so gut ich ihre Sprache, die überall dieselbe Verständlichkeit für den Naturforscher hat, verstehe.

Deshalb auch heute Nichts von Paris und Lyon. Was mich, den stillen Sohn der Natur, in Paris unsanft, ja roh berührt hat, das ist die Unnatur, die über Paris ausgebreitet, die aus Allem und Jedem hervorblickt. Ich habe mich nicht wohl gefühlt dort. Auch auf der Reise nach Lyon packte mich das Heimweh fast, so unbehaglich fühlte ich mich. Dank sei es meiner klassischen Gymnasialbildung, daß ich 8 Jahre lang wohl Lateinisch und Griechisch, aber kein Französisch gelernt habe. Das Wenige, was von letzterem aus der Lektüre wissenschaftlicher Bücher in den Ecken meines Gedächtnisses hängen geblieben ist, reicht gerade aus, um mich vor dem Hungertode zu schützen und um eine von mir niemals verkannte Wahrheit mir noch tiefer in’s Bewußtsein zu bringen: die Allmacht des Wortes. Man lernt dies niemals mehr würdigen, als in Gesellschaft ewig und immer parlirender Franzosen.


Marseille, den 9. März 1853.  

Das war des Schönen und Erhabenen, des Lieblichen und Anmuthigen, des Neuen und Anziehenden fast zu viel für zwei Tage! – Ueberall habe ich die Provence und Provencalen nur schimpfen hören, und ich bin heute von meiner zweitägigen Rhonefahrt, die größtentheils in der Provence sich bewegte, entzückt, betäubt. Ich weiß aber, woher das kommt. Wer diese Reise im Sommer macht, der findet die baumlose Gegend öde und traurig. Jetzt konnte ich noch kein Grün erwarten und vermißte es daher auch nicht. Der Schauplatz der lieblichen Göttin Flora, als welchen diese die Provence freilich fast ganz verschmäht hat, ist eben hier, von der Rhone aus gesehen, so großartig wie nur irgendwo. In Spanien erwarte ich die tiefsten, die entzückendsten Eindrücke, aber keiner wird den Eindruck der Rhonefahrt verwischen können. Es mag sein, daß meine naturwissenschaftliche Anschauung den Dingen um mich einen größeren Reiz verlieh. Für mich ein Beweis mehr, wie nothwendig es zur menschlichen Bildung gehöre, den leiblichen Sinnen durch naturwissenschaftliches Verständniß zu Hülfe zu kommen.

Lyon, die gewaltige Fabrik, brachte mich unter tausendstimmigem Ufergetöse in das große, aber alte und schmutzige Dampfboot unter. Von den hohen Ufern der Saone schauten die siebenstöckigen Häuser auf das Treiben herab, als wollten sie die Einschiffung ihrer kostbaren Waarenballen überwachen. Nahe unterhalb der Stadt tritt die Rhone – warum machen wir Deutschen den Rhodanus der Römer und le Rhone der Franzosen zu einem weiblichen Wesen? – in die Saone ein, die nun ihren Namen an jene verliert. Mir scheint dies ein Unrecht an ihr zu sein, denn die Saone scheint mir bei ihrer Vereinigung mit der Rhone der größere Fluß; dazu kommt, daß von der Vereinigung beider an die Richtung der vereinten Ströme die der Saone bleibt, ja die schöne blaue Farbe der Rhone wird von der mehr gelblichen der Saone


  1. Unsere Leser werden bereits aus den Zeitungen erfahren haben, daß der bekannte Naturforscher Prof. Roßmäßler mit englischem Gelde vor Kurzem im Interesse der Wissenschaft eine Reise nach Spanien angetreten hat, von der er wahrscheinlich erst nach 6 oder 8 Monaten zurückkehren wird. Es gereicht uns zum besonderen Vergnügen, heute unsern Freunden mittheilen zu können, daß Herr Professor Roßmäßler seine Reiseberichte in der Gartenlaube veröffentlichen wird. Daß diese Berichte nicht in wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern in frischen naturgetreuen Bildern und Schilderungen aus dem schönen Lande bestehen werden, bedarf wohl bei der populairen Tendenz unseres gemüthlichen Blättchens keiner Erwähnung. Die Red.      
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_130.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)