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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

nach der Mischung überwältigt. Mir schien dabei die Rhone das schöne Bild eines Menschen, welcher Namen und Ruhm einem Anderen abtritt, nachdem er sich zu gemeinsamem Wirken mit ihm vereinigt hat.

Die schon von Lyon aus hohen Ufer bilden sich bald zu einer Doppelreihe malerischer Berggelände aus, mit Weinbergsterrassen bedeckt, wo es nur irgend möglich war, sie anzulegen. Zahllose Ortschaften säumen die Ufer; nur vermißte ich an ihnen die freundlichen rothen Ziegeldächer und die helle Tünche der rheinischen Uferstädte. Dies und der Mangel der Bewaldung der Uferberge stellt eine Rhonefahrt allein gegen eine Rheinfahrt zurück. Außerdem muß ich jener den Vorzug der Großartigkeit einräumen. Doch ich will jetzt keine Beschreibung der Einzelnheiten versuchen. Mein Brief würde sonst fast das Ansehen einer geologischen Skizze annehmen. War es ja doch vornehmlich der vielfach wechselnde Blick in die Schichtengliederung der zu beiden Seiten aufgethürmten Berge, was mich unaufhörlich in der aufmerksamsten Spannung erhielt. Auch der Ortschaften, von durchaus südlichem Character, will ich nicht namentlich gedenken. Nur die zierlichen Drahtbrücken, deren bis Avignon nicht weniger als 13 beide Ufer verbinden, will ich erwähnen, als einen Beweis, wie sehr der Franzose mehr als der Deutsche darauf bedacht ist, den Verkehr zu fördern. Daneben gereicht ihm freilich die Unkenntniß seines eigenen Landes, soweit diese dessen geographische Seite betrifft, zu schlechter Ehre, denn wohl sechs meiner französischen Reisegefährten fragte ich vergeblich nach dem Namen des Gebirges, welches am rechten Ufer seine schneebedeckten Berge über die niedrigen Höhen emporschauen ließ. Ohne Zweifel sind es die Cevennen. Unterhalb Vienne aber mußten diese unbekannten Berge in meiner Beachtung plötzlich entschieden zurücktreten, denn in längerer Reihe dehnte sich am östlichen Horizonte die schneeweiße Kette der Alpen aus. Wiederum konnte mir Niemand, auch nicht der Capitain des Bootes, sagen, welches der mächtigen Häupter darin der Montblanc sei; und doch mußte er darunter sein, da man ihn schon von den Lyoner Höhen sehen kann. Mit dem Sinken der Sonne verwandelte sich das blendende Weiß der Alpenkette in ein liebliches Rosa und mein überraschtes Staunen in ein begeistertes Entzücken, welchem ich glücklicherweise Worte geben konnte, da ich kurz vorher auf dem Verdeck zwei deutsche Reisegefährten ausfindig gemacht hatte. Fern von nationaler Bornirtheit machte mich das doch sehr glücklich. Es war eben nur die Allmächtige, die Sprache, das Wort, unter deren Botmäßigkeit ich wieder trat, während ich bisher ein Verlassener gewesen war.

Gegen Abend landeten wir in Valence. Der scharfe Luftzug der Rhonefahrt hatte mir neckisch verhehlt, daß ich mich bereits in milderen Lüften befinde. Es lag für mich aber eben darin eine fast zauberhafte Ueberraschung, als ich am Ufer warme Frühlingsluft mich anwehen fühlte. Als ich weiter ging, ragten über eine Gartenmauer drei Cypressen hervor. Ich mußte sie laut begrüßen – meine zwei deutschen Reisegefährten hatten sie nicht beachtet – und rieft „ja nun bin ich im Süden!“ Doch bevor ich Marseille erreichte, sollte der Zauber des Südens noch mächtiger über mich kommen. Um 2 Uhr des folgenden Tages verließen wir in Avignon das Boot. Eilig überantworteten wir uns einem der sich um unseren Besitz fast prügelnden Führer. Gegen Abend, vor Abfahrt der Eisenbahn nach Marseille, besuchten wir allein zum zweitenmale die Höhe, auf welcher der päbstliche Palast liegt. Wer vermag diese Rundschau zu beschreiben! Dicht neben uns der Palast, – jetzt ein Gefängnis! – mit der alten Kirche, deren Portal ein Ueberrest eines römischen Tempels ist; um uns blühende Gesträuche eines südlichen Himmels und rings um unsern Standpunkt herum ein fast vollständiges Rundgemälde von der mannigfaltigsten Zusammensetzung. Zu unseren Füßen die Rhone und die alte graue Stadt, gegen Osten die ferne Alpenkette, aus der in größerer Nähe der mächtige Mont Ventoux in rosiger Abendbeleuchtung emporragte. Unser Führer hatte uns die Stelle bezeichnet, wo die berühmte source de Vaucluse rinnt, wo Petrarca um seine Laura trauerte. Im Museum hatten wir den überraschenden Reichthum hier gefundener römischer Alterthümer überblickt; im einsamen Garten desselben, eingehegt von den edeln Frauen des Gebäudes, hatten mich die Düfte der Myrten und Lorbeerbäume betäubt – – werden Sie sich wundern, daß ich mich nur schwer von dem päbstlichen Palaste Avignons trennte? Es musste aber sein, denn ich reise nicht in meinem eignen Interesse allein, wie Sie wissen, sondern um der Wissenschaft und Denen zu dienen, die mir im Interesse jener das Reisegeld gaben. Um 8 Uhr fuhr ich mit dem pfeilschnellen Abendzuge der Eisenbahn ab und traf mit dem einen meiner deutschen Reisegefährten um 10 Uhr in Marseille ein.

Bis hierher schrieb ich meinen Brief, ehe ich mir den Besuch der Stadt und Umgegend gestattete, um nicht durch neue die gestrigen Eindrücke zu verwischen oder wenigstens zu stören. Ich hatte Recht daran gethan, denn nicht umsonst nennt der Franzose Marseille die schönste Stadt Frankreichs. Von 11 bis Nachmittag 4 Uhr irrten wir in der unbeschreiblich malerischen Gegend umher. Wir überließen es, ich und mein Reisegefährte, einem Fiakre, uns an einem entlegenen geeigneten Punkte aus der Stadt an das Ufer zu führen. Ich sah das Meer nicht zum ersten Male; in Triest hatte ich schon die stürmende Adria gesehen. Jetzt verschwand sie vor der Pracht des Hafens von Marseille. Der Anblick des tiefblauen Meeres unter dem klaren Himmel wäre mir ein hinreichender Genuß gewesen; nun aber stand ich sprachlos vor Staunen und Entzücken, als ich Meer und Himmel gewissermaßen blos als den Hintergrund fand, auf welchem die großartigste Berglandschaft gemalt ist. Es schmerzte mich, als ich daran denken mußte – ich weiß nicht, wie mir der Gedanke kam – daß auch hier in diesem Tempel der neuen, großen Natur die Menschen wohl auch nur die Menschen von anderwärts sein werden. Sie werden nicht über mich lachen, denn Sie verstehen mich, – belächeln mußte ich meine fromme Kühnheit selbst – ich dachte: Reisen, Reisen der Menschen zueinander, der bevorzugten Marseilleser zu den Stiefkindern der nordischen Haiden und dieser zu jenen, das muß die Menschen einander nähern; ja, die Menschen sollten reisen müssen; es müßte Nationalsache – doch weg mit den Nationen, die würden dann keine trennende Bedeutung mehr haben – es müßte Sache der Menschheit und ihrer Erziehung werden. – Ich dachte an die Meinigen daheim; ich fragte mich lächelnd, was sie jetzt wohl machen würden, wenn ich sie mit auf die Reise hätte nehmen, ihnen diesen Genuß bieten können. O gewiß, sie wären mir vor Dank

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)