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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und Freude um den Hals gefallen, stumm, nur mit einer Thräne im Auge. Nur ihre Abwesenheit verhinderte, daß ich mich jetzt ganz glücklich fühlte, so glücklich, als ein Mensch nur sein kann – und ich meine, ein Mensch kann sehr, sehr glücklich sein. – Niemals, auch nicht gestern in Avignon, war ich glücklicher über meine Kraft – ja es ist eine Kraft – mich der Natur freuen zu können, so recht aus Herzensgrunde.

Verzeihen Sie, Freund, diesen Jubel meiner Begeisterung. Sie wissen aber, ich kann nicht anders. Sie müssen meine Briefe schon nehmen, wie Sie mich immer in Freundschaft genommen haben. Ich und meine Briefe sind Eins.

Ich will es versuchen, die unbeschreibliche Schönheit des Ortes mit einigen Worten zu beschreiben.

Vor mir lag das ruhige Meer, das von einem leichten Seewinde überblasen nur in fast regelmäßig abgemessenen Takten wohl dreißig Schritt lange, aber ganz flache Wellen an die sandigen Küstenstellen hinanrollte. Die Sonne stand im Zenith und glitzernde Wellchen warfen millionenfach in einer breiten Fläche ihre Strahlen zurück. Links gegen la Ciotat trat eine lange Bergkette aus dem Lande bis vor in das Meer, deren höchste Gipfel, wohl mehrere Tausend Fuß hoch, nicht die eintönigen weichen Formen der Waldberge, sondern die malerischen Ecken und Klüfte der Felsengebirge hatten. Sie kehrten mir ihre Schattenseite zu und waren daher in einen blauen Duft gehüllt. Rechts glänzten im blendenden Sonnenschein, fast reinweiß, die mit Bastionen gekrönten Kalkfelsen von einigen Inseln, welche den Hafen von Marseille schließen, welches selbst ganz von einem Vorsprunge des Felsenufers sammt dem eigentlichen Hafen verdeckt war. Dahinter dehnte sich das ferne Ufergebirge als blaue zackige Coulisse aus; aber alles fern genug, daß Alles zusammen eben wie Coulissen auf dem Horizonte des Meeres zu stehen schien, und nur die Deutlichkeit und Schärfe, oder die Weichheit und Undeutlichkeit der Einzelheiten ließ das Nahe von dem Fernen unterscheiden. Den linken Vordergrund bildeten über einer selbst schon gegen 100 Fuß hoch gelegenen Straße bergige Gärten, aus deren einem über einen Felsenvorsprung ein krystallklarer Bach herunterstürzte. Er mußte aber vorher einen Theil seines Wassers hergeben, um mitten auf einer Erweiterung des Weges aus einem runden, wohl gegen 20 Schritte breiten Bassin eine Fontaine hoch emporzuspritzen, die, so klar war das Wasser, von weitem kaum zu sehen war. Die bergige Lage, nach dem Wege zu geneigt, gestattete den Blick in die Gärten. Die Seekiefer und die Oelbäume bildeten neben hohen Haidebüschen noch das einzige Grün darin, welches düster von den fast kreideweißen Kalkfelsen hervortrat. Nicht elegante Landhäuser, sondern bunt durcheinanderstehende schlichte Häuschen waren die weit passendere Zuthat der menschlichen Hand zu diesem Werke der Natur. – Dies ungefähr, – meine Worte werden es Sie freilich nicht mir nachempfinden machen – sah und empfand ich heute – und vor kaum mehr als einer Woche sah ich nichts, als die langweiligen schneebedeckten Ebenen Leipzigs!

Von der Stadt und dem Hafen schreibe ich nicht; beide haben Häuser und Schiffe und Verkehrsgewühl wie alle Hafenstädte, nur vielleicht Marseille etwas mehr, als manche andere.

Ich bin ja auch nur erst eine wandernde Schwalbe. Uebermorgen denke ich mich auf dem spanischen Dampfboot el Barcelona einzuschiffen. In Barcelona soll es mich auf spanischem Boden aussetzen. Dort erst will ich das Reisen genießen, dort erst kann ich hoffen, daß meine Briefe Sie einigermaßen zum Mitreisenden machen.




Blätter und Blüthen.

Wellington, Napoleon und Blücher. Der selige General von Müffling erzählt in seinen Denkwürdigkeiten: „Während des Marsches (nach der Schlacht bei Waterloo) hatte Blücher einst die Aussicht, Napoleon gefangen zu nehmen, wonach er auch recht sehr strebte. Den französischen Bevollmächtigten, welche zu ihm gesandt wurden, um einen Waffenstillstand mit ihm zu unterhandeln, stellte er sogleich die Bedingung, Napoleon auszuliefern. Ich wurde von Blücher beauftragt, dem Herzog von Wellington vorzustellen, daß der Wiener Congreß Napoleon für vogelfrei erklärt habe und daß er entschlossen sei, ihn niederschießen zu lassen, sobald er ihm in die Hände falle. Dennoch wünsche er zu wissen, was der Herzog von der Sache denke, denn wenn er (der Herzog) dieselbe Ansicht habe, so würden sie zusammen auf die Erreichung des Zieles hinarbeiten können. Der Herzog sah mich erstaunt an und begann die Richtigkeit der Erklärung, welche sich der Marschall von der Wiener Proclamation mache, zu bestreiten, weil dieselbe durchaus nicht bezwecken könne, zu einem Morde Napoleon’s zu berechtigen oder anzureizen; er meine daher, daß man aus dem erwähnten Document kein Recht entwickeln könne, Napoleon todtzuschießen, falls er zum Gefangenen gemacht werden sollte, auch halte er seine Stellung und die des Marschalls seit dem gewonnenen Siege für eine zu hohe, als daß sie sich eine solche Handlung erlauben dürften. – Ich hatte die Kraft aller Argumente des Herzogs gefühlt, bevor ich die Botschaft überlieferte, welche ich sehr ungern übernommen hatte, daher ich auch nicht geneigt war, dem Herzog zu widersprechen. „Ich wünsche daher,“ fuhr der Herzog fort, „daß mein Freund und College die Sache so ansehen möchte, wie ich es thue; ein solcher Act würde unsere Namen mit Verbrechen befleckt der Geschichte überliefern, und die Nachwelt würde von uns sagen, daß wir nicht werth gewesen wären, Napoleon’s Sieger zu sein. Außerdem würde eine solche That nutzlos sein und kann keinen Zweck haben.“ Ich benutzte von diesen Ausdrücken nur so viel, wie nöthig war, um Blücher von seinem Vorhaben abzubringen.“

Müffling hat in dem Anhange zu seinen Denkwürdigkeiten drei Depeschen mitgetheilt, in denen Blücher den Herzog von Wellington zur Hinrichtung Napoleon’s zu vermögen suchte. Diese Depeschen sind von Gneisenau unterzeichnet und lassen keinen Zweifel, daß man das im Kriege vergossene Blut an der Ursache desselben rächen wollte, wäre diese in die Hände des preußischen Befehlshabers gefallen. Es war Blücher’s fixe Idee, daß der Kaiser an derselben Stelle hingerichtet werde müsse, wo der Herzog von Enghien seinen Tod erhalten hatte. Die letzte Depesche wirft dem Herzog von Wellington eine „romanhafte Großmuth“ vor, welche man im preußischen Hauptquartier nicht begreifen könne. – Wahrscheinlich ist es nur wenigen Franzosen bekannt, daß Napoleon’s Leben mit vieler Mühe von dem Nebenbuhler desselben erhalten wurde.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_132.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)