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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Schönheiten nicht verschleiert, sondern im Gegentheil sehen und wirken läßt.“

„Ist es nicht trostlos, daß sie sich nicht mit dem Triumphe über das Herz ihres Gatten begnügt!“

„Sie würden doch nicht verlangen,“ rief staunend der Franzose, „daß Ihre Frau Ihnen allein zu gefallen suche?“

„Wir Deutschen haben diese Anmaßung.“

„Wenn Sie das durchsetzen, wünsche ich Ihnen viel Glück,“ höhnte ungläubig der Franzose. „Eine Pariserin würde eine solche Forderung gar nicht begreifen und nur mit Lachen und Mitleiden erwidern.“ – – –

In diesem Augenblicke trat ein schlankgewachsener Mann, sehr elegant gekleidet, mit einem glattrasirten Gesichte, lebhaften Zügen und einem Blick, der nach Verschiedenheit der Personen, auf die er gerichtet war, einen verschiedenen aber immer sprechenden Ausdruck annahm, in den Salon. Er war alt. Die Furchen auf der Stirn, der tief eingegrabene Krähfuß um die Augen, die ergrauten Haare, und die Zahnlücken, beträchtlich an Zahl, zeigten auf 60 oder wenigstens nahe an dieses Alter. In seinem Auftreten zeigte sich eine etwas absichtliche Nachlässigkeit; aber nichts desto weniger waren seine Verbeugungen gegen die verschiedenen Personen, die er begrüßte und überhaupt seine Bewegungen von auffallender Anmuth und Rundung. Die Unterhaltung war für einen Augenblick unterbrochen; denn Aller Blicke und Aufmerksamkeit wendeten sich dem Ankömmling zu; es ist leicht zu denken, wie meine Neugierde, zu wissen, wer dieser Mann sei, durch diese Signale einer ausgezeichneten Persönlichkeit, gespannt wurde. Doch da es mir nicht passend und nicht großstädtisch genug vorkam nach dem Gegenstand der allgemeinen Theilnahme den Ersten Besten aus der Gesellschaft zu fragen, und mein Freund in einem lebhaften Gespräche mit einigen Damen begriffen war, begnügte ich mich vorläufig damit, diese neue Erscheinung zu beobachten, und so bemerkte ich denn, daß ihm die schöne Hausfrau mit mehr als Freundlichkeit, mit einer Art von Huldigung entgegenkam; sie beschäftigte sich von nun an so ausschließlich mit ihm, als es nur der Anstand zuließ. Sie lauschte auf seine Worte mit einer Andacht, als ob Orakelsprüche aus seinem Munde gekommen wären.

Das Spiel, das sie vorhin mit Blicken und andern Reizen getrieben, hörte plötzlich auf; sie war von dem einen Gaste so ganz und gar in Anspruch genommen, daß sie die übrige Umgebung zu vergessen schien; sie wollte nun, so wenigstens kam es mir vor, gar Niemandem mehr gefallen, als diesem Einen. Mich setzte dieses Benehmen der jungen Hausfrau in Erstaunen; doch gewahrte ich nichts von einer ähnlichen Wirkung an den übrigen Gästen, wie ich auch forschen mochte. Herr Lamont selbst, dessen Gesichtszüge ich mit der größten Aufmerksamkeit prüfte, sah so unangefochten aus, als ob ihn das Betragen seiner Frau gar nichts anginge. Kaum einen gleichgültigen Blick warf er auf die Beiden, deren Unterhaltung seine schöne Ehehälfte so gänzlich einnahm. – Die Sache war mir ein Räthsel, aber so zarter Natur, daß es mir widerstrebte, meinen jungen Freund um dessen Lösung zu bitten. Ich beschränkte mich also, da ich mit ihm unbelauscht sprechen konnte, auf die leicht hingeworfene Frage:

„Wer ist dieser Herr?“ indem ich auf den auffallend Begünstigten zeigte.

„Es ist der große Schauspieler Frederic Lemaitre“ antwortete mir ohne weitere Bemerkung der Franzose.

Wochen vergingen; ich hatte in dem bewegten wechselvollen Pariser Leben die vorübergehenden Begegnungen dieses Abends längst vergessen, als mir eine Geschichte zu Ohren kam, in welcher Madame Lamont die Heldenrolle spielt und die in den verschiedensten Kreisen der Gesellschaft so viel Aufsehen machte als eben eine Geschichte in Paris, wo sich Geschichten wie Menschen rasch verdrängen, zu machen pflegt.

Herr Lamont hatte seit einiger Zeit zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß sich seine Frau an gewissen Tagen zu gewissen Stunden vom Hause entfernt, ohne jemals von diesen Gängen und deren Zweck ein Wort zu sprechen. Wie sehr sich auch Herr Lamont bemühte alle beunruhigenden Gedanken in Bezug auf seine Frau von sich zu weisen, sie kamen dennoch mit der bekannten Zudringlichkeit unangenehmer Gedanken und warfen dunkle Schatten auf sein Herz und sein Vertrauen. Eines Tages, nachdem er lange und vergebens mit sich selbst gekämpft hatte, frug er seine Gattin mit so viel Ruhe, als er eben zu behaupten im Stande war, was es denn mit den auffallend häufig und regelmäßig sich wiederholenden Gängen für eine Bewandtniß habe. In der unverkennbarsten Verlegenheit durch diese Frage, suchte Madame sich zu sammeln und antwortete mit unsicherer Stimme, daß sie in der letzten Zeit viel bei ihrer Putzmacherin zu thun gehabt. Nun ließ Herr Lamont seine Gattin nicht mehr aus den Augen und so wie es ohne auffallend zu sein geschehen konnte, begab er sich zur Putzmacherin seiner Frau.

„Madame Lamont hat eine Broche, ein kostbares Andenken von ihrer Mutter verloren. Ist es nicht vielleicht bei Ihnen hier gefunden worden?“ frug Herr Lamont gespannt die Verschönerungskünstlerin.

„Madame Lamont war heute gar nicht hier, Monsieur,“ antwortete die so angeredete Putzmacherin.

„Vielleicht gestern?“ frug Herr Lamont weiter.

„Auch gestern habe ich nicht die Ehre gehabt.“

„Also vorgestern?“

„Die Toilette der Madame Lamont für diese Saison ist seit 14 Tagen vollständig, und es ist sehr lange, daß ich nicht das Vergnügen ihres Besuches gehabt.“

Herr Lamont stürzte fort; er war außer sich vor Wuth und Erbitterung, und Gedanken an Scheidung von der Frau, die ihn so glücklich und so unglücklich gemacht, berührten seine Seele.

Zum Glücke ist der Weg von der bezeichneten Putzmacherin bis in seine Wohnung ein langer, so daß er Zeit hatte sich zu fassen und ließ sich die Stimme, welche noch keinem eifersüchtigen Manne geschwiegen, vernehmen, welche ihm zurief: Vielleicht ist sie doch unschuldig. Auf diese Weise besänftigt, nahm sich Herr Lamont vor, keine Uebereilung zu begehen und sich vollkommene Gewißheit des Frevels zu verschaffen, bevor er ihn bestrafen würde. Es fiel ihm ein, was ihm längst hätte auffallen können, daß er ja den Zweck der geheimnißvollen Gänge durch ein unbemerktes Auflauern ermitteln könnte. Er beschloß die theils traurige, theils lächerliche Rolle zu spielen, die schon so viele Thoren und vernünftige Leute vor ihm gespielt.

Er hielt sich eines Tages in der Straße verborgen, bis er seine Frau mit eiligen Schritten aus dem Hause

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_135.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)