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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Schiller’s Gärtchen!“ – Dieses Gärtchen umfaßt ohngefähr 6 Quadrat-Ruthen und enthält nichts mehr von Schiller, als den nun prachtvollen wilden Weinstock, der einst die Laube seiner Zurückgezogenheit und Erholung im Grünen bildete, als noch Garten an Garten sich reihte. Jetzt ist es ein, zwischen den Mauern von 3 Häusern eingeschlossener, und für die auf der Straße Vorübergehenden sichtbar gemachter, fast sonnenloser Raum, der sich durch die Sorgfalt des wackern Castellans jährlich in ein sehr niedliches Blumengärtchen verwandeln soll und mit der herrlichen, über zwei Stockwerke hohen wilden Rebe Schiller’s prunkt. Uns drängte es nach andern Räumen, und da wir weder Architekten noch Archäologen sind, so verschmähten wir den Besuch des Schiller’schen Buschhauses, obgleich es uns sehr merkwürdig wegen seines Gewölbes geschildert wurde und einst Weimars Münzstätte gewesen ist.

Unser eigentliches Ziel, Schiller’s Wohnung, umfaßt das zweite Stockwerk. Ein wohlthuender Schauer durchrieselte uns, als der Schlüssel des Castellans in dem Schloß sich drehte. Die Thür geht auf: Wir stehen in einem Vorsälchen mit allerlei Bildern und Gipswerken geschmückt, wovon nichts dem großen Dichter gehörte, weil keine Erinnerung sich der unter ihm hier bestandenen Einrichtung entsinnen konnte. Der Thür gegenüber am Boden stehen Duzende reinlicher Hausschuhe – für die Besucher. Man muß sich bequemen, sie als Ueberschuhe anzuziehen, damit man nicht der Arbeit der Frauen und Mädchen Weimars im nächsten Zimmer wehe thue. Man ist noch nicht in dem eigentlichen Heiligthum. Auch von dieses Zimmers Einrichtung unter Schiller ist nichts mehr bekannt, und so hat man, meines Erachtens, wohl gethan, eine solche Einrichtung einst fingiren zu wollen. Das wirklich schöne Geschlecht Weimars stickte mit vereinten Kräften einen köstlichen Blumenteppich für den Fußboden und reizende Ueberzüge für die Polster. Der Stadtrath ließ das Zimmer malen und durch Arabesken am Deckengesims manche Gedichte Schiller’s illustriren. Ob Wille und That, Kunst und Geschmack hierbei immer Hand in Hand gegangen, habe ich in der That keiner Untersuchung gewürdigt: die Kritik muß zu rechter Zeit frei sprechen, aber auch zu rechter Zeit zu schweigen wissen, an geweihten Stätten dem Gefühl sein heiliges Recht unverkümmert lassen.

Die dritte Thür eröffnet das eigentliche ersehnte Heiligthum, Schiller’s Arbeits- und Schlafzimmer. Die miserable Menschennatur begann sich auch in mir zu regen und sprach sich bei den Damen durch seltsame O! und Ach! und Ei! lebendiger aus. Der Contrast dieser Einfachheit mit dem Prunk des vorliegenden Zimmers macht Anfangs einen nicht angenehmen, fast schmerzlichen Eindruck. Unwillkürlich denkt man sich den großen Lieblingsdichter der Nation hier auf dem peinvollen Krankenlager in beengten äußeren Verhältnissen. Dieses unangenehme Gefühl würde sich nicht aufdrängen, wäre es vergönnt gewesen unmittelbar zuvor die fast noch größere Einfachheit vom Studir- und Schlafzimmer des nach außen viel mehr begünstigten Goethe zu betrachten. Die deutschen Größen jener Zeit hatten noch keinen Sinn für das elegante Comfort- und das prunkende Nippeswesen unserer modernen Arbeitszimmer, im Gegentheil schien ihnen nur wohl zu sein in einer gewissen Vergegenwärtigung ihrer früheren Wohnungen und Schulanstalten und auf Universitäten, und sie hatten deshalb mitunter manchen schweren Strauß mit ihren Frauen zu bestehen. Sie überließen sich gern dem süßen Hang zu dem Gewohnten, und fühlten sich behaglich in einer Bequemlichkeit, die auf keine Weise durch Glanz sie genirte, dem [Verke]hr und dem Träumen mit den Musen so hold war, in einer Art von Durcheinander dennoch eine gewisse Ordnung aufrecht erhielt, leicht finden ließ, was man gerade brauchte und suchte.

Unter den mehrfach über einander geklebten Tapeten hatte man glücklicherweise noch Schiller’s Tapete gefunden. Da sie selbst unmöglich ganz zu Tage gefördert werden konnte, fertigte ein hiesiger Fabrikant getreu nach dem Muster eine neue. Diese Form wird gewiß nicht Mode werden, sie erinnert in Allem an Armuth in Kunstfertigkeit und Geschmack. Aber hier hilft sie die Seele in die rechte Stimmung zu versetzen und eine gewisse Harmonie über alle diese Dinge zu verbreiten: Schiller’s Schreibtisch und Tabaksdose, sein außerordentlich einfaches Bettgestell, sein Clavierchen, das ihm so oft Erholung und Schwung verlieh, die Guitarre, die unansehnlichen Wandbilder mit ihren armen Rahmen, die einfachen Stühle. Das Alles beschäftigte die Herzen und Phantasien unserer weiblichen Wesen beinahe ausschließlich, sie konnten nicht loskommen von Betrachtungen und Vergleichungen zwischen damals und jetzt und wollten nicht begreifen, wie Frau von Schiller eine solche Möblirung ertragen, wie Schiller selbst in solcher Umgebung seine Seele zu so erhabenen Gedanken, Gefühlen und Anschauungen aufschwingen konnte.

Die Schillerbibliothek wird täglich interessanter: die verschiedenen Ausgaben von Schiller’s Werken, die Uebersetzungen Englands und Frankreichs, andere auf Schiller selbst oder seine Werke Bezug nehmenden Bücher, sammeln sich mehr und mehr. Es ist in der That der Mühe werth, durch wiederholte öffentliche Aufforderungen an Buchhändler in Deutschland, England und Frankreich dieser werthvollen Schiller-Bibliothek fort und fort neuen Zuwachs zu verschaffen, nach und nach der Vollständigkeit näher zu kommen. Daraus sollten sich die Redactionen der deutschen Hauptzeitschriften ein eigenes angelegentliches Geschäft machen und auch daran erinnern, daß wir 1859 das Fest aller Deutschen, Schiller’s Säkularfeier zu begehen haben. Die Nation bedarf solcher Aufrechterhaltung und Ermunterung, ihre Einheits- und Centralelemente beruhen ja lediglich in den großen Geistern, die deutsch schreiben und unsere Sprache zu ihrer vollen Herrlichkeit herangebildet haben.

Endlich hatten sich die Frauen von der Mobiliarinspection losgemacht und waren nun an das Fremdenbuch gerathen, worin auch wir unsere werthen Namen eintragen mußten. Auch abgesehen von der allgewöhnlichen Neugierde, gewährt die Durchsicht dieses Buchs der Schillerhausbesucher einen eigenthümlichen Reiz und fesselt unwiderstehlich. Es ist keine Höhe und keine Tiefe der Gesellschaft, es gibt keinen noch so obscuren Winkel Deutschlands, der nicht hier mit einigen Namen verträten wäre, die Throne haben ihre Repräsentanten hierher gesendet und aus allen Landen Europa’s kamen Besucher der Stätte, die der Seher und Prophet des neunzehnten Jahrhunderts bewohnt hatte. Nord- und Südamerika sendeten ihre Boten des Grußes und der Verehrung den Manen des Sängers der Humanität und der edelsten Freiheit. Wie peinigte und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)