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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 15. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Drei Heimgegangene.

Frühlingsbild
von
Ferdinand Stolle.

Frühling! Frühling! ewig grünes, rosengeschmücktes Evangelium, uns Staubgebornen alljährlich gesendet, daß wir an ihn glauben, den Vater der Liebe; daß wir erkennen, wie es das Licht ist und die Liebe, welche Recht behalten nach den Winterstürmen der Erde. Und hat der Winter seine Eispaläste noch so hoch gethürmt und hat er den Himmel und seine Sonnen noch so dicht verhangen; und hat er die Herzen noch so erkältet und kleinmüthig gemacht, daß sie oft verzaget, ob es je wieder Frühling werden könne – Ein Frühlingsgruß, Ein himmlischer Klang, und die Eispaläste brechen zusammen und die Wolkendecken zerreißen, und die Herzen athmen gläubig, und die Knospen schwellen und die Frühlingsglocken hallen klar und Sieg verkündend durch den himmlischen Saal.

O beneidenswerthes Menschenherz, in welchem die Frühlingsglocken wiederhallen bis in die tiefsten Tiefen, in welchem darum nie ganz Winter wird, mag solcher noch so gewaltig sein eisiges Haupt schütteln. Und ein solches Herz war Dir beschieden, theurer Vollendeter, der Du an jenem Frühlingsheiligenabende einsam hinauswandertest nach dem stillen Eichenhaine.

Wie der Wüstenwandrer nach der quellenreichen Oase hattest Du Dich lange gesehnt aus dem lärmvollen Altagleben, aus dem Staub der Geschäfte, aus dem Kreise unerquicklicher Gesellen nach einer stillen friedenvollen Abendstunde, draußen in freier Gotteswelt, wo der Abendstern still über dem Walde stand und im tiefen Gebüsch ein Vöglein wie im Frühlingstraum von Zeit zu Zeit seine leise Stimme erhob.

In den Kronen der alten Eichen rauschte es frühlingverheißend; die schwellenden Knospen umspielte weiche warme Abendluft – rings athmete tiefe Ruhe. Wiederholt warst Du hinausgetreten auf den grünen Rasenteppich, der im weiten Kreise vom Walde umgrenzt wird und Dein Auge hing lange, lange an dem stillen Abendsterne, der in wunderbarem Glanze über dem Walde stand. Und leise sprachst Du für Dich:

O dringe doch, Du Himmelsschein,
In jede Menschenseele ein,
Und decke so, Du Himmelsruh,
Ein jedes Herz und Auge zu.

Noch einmal überfloh Dein Auge die weite Waldrotunde, die immer tiefer in die Schatten des Abends hinabsank; dann kehrtest Du in den Hauptgang zurück und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_155.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)