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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Ich sei daher, erlaubt mir die Bitte
In Eurem Bunde der Dritte.“

„Wir können heut das glückliche Kleeblatt in höchst eigener Person aufführen.“

Berthold faltete mit rührender Komik die Hände: „Einmal drei Glückliche bei einander“ sprach er, „dies ist doch noch was Rareres als ein guter Bürgermeister.“

„Und dieser himmelvolle Frühlingsabend,“ schwärmte Lortzing, indem sein sprechendes Auge über den Himmel schweifte, der sich immer mehr mit Sternen füllte.

„Ja, aber geliebte Glückskinder,“ gab der stets für sein Rheuma besorgte Doctor, zu bedenken, unser Postament, fühle ich, wird nicht wärmer. Hütten bauen können wir hier einmal nicht, dies zu gestatten würde ein wohllöblicher Magistrat, am Eingange des Rosenthals, gerechten Anstand nehmen. Also wohin?“

„Freunde,“ sprach der noch immer freudig erregte Lortzing, indem er von Neuem des Doctors und Berthold’s Hand ergriff, „solcher Sonnenblicke im Leben gibt es so wenige, laßt sie uns nicht in philiströser Eintönigkeit vorüberziehen. Wir bleiben heute Abend beisammen. Ihr seid meine Gäste bei Alippi.“[1]

„Auf die heutigen Nachrichten schmeckt allerdings ein Trunk,“ sprach Berthold, „aber da muß ich mich vor allen Dingen erst zu einem selbstständigen Staatsbürger machen und meinen Hausschlüssel holen.“

„Albert,“ rezitirte der Doctor, „den Gedanken gab Dir ein Gott ein. Ich habe noch ein paar Flaschen Tokaier von der ungarischen Gräfin, die bring’ ich mit. Wir lassen Czaar und Zimmermann leben, den knospenden Frühling – die künftige Rosenblüthe – die Sterne der Nacht – das deutsche Lied – die Clothilden, Clementinen – Paulinen und was der angenehmen Gegenstände mehr sind.“

Die drei Glücklichen waren bis zu Herloßsohn’s Wohnung in der Hainstraße gelangt, wo sie sich trennten.

„Also um Neun Uhr?“ frug Berthold.

„Punct Neun,“ commandirte der Compositeur des Czaar und Zimmermann.

„So lebt denn wohl, edle Pairs des Königreichs,“ sprach Herloßsohn, „ich muß noch eine nichtswürdige Correctur lesen, lebt wohl – “

„Bei Alippi sehen wir uns wieder!“

Mit diesen Worten war er in der Hausflur verschwunden.


Kennt ihr jene geheimnißvollen Räume, wo hinab kein Sonnenblick fällt, wo nie das holde Licht des Tages freundlich geleuchtet; und wo tief Unten zwischen engen Kerkerwänden der Muscatello duftet; die Perlen des Rheingaus in unvergleichlicher Schöne funkeln und uns Märchen erzählen, lieblich und schön, von dem Rauschen des grünen Rheinstroms, von dem Singen der Pirole, von den weinfröhlichen Hügeln des Sankt Johannes, und den dunkeln Nußbaumwäldern Sankt Goa’s? Während die Julisonne glühend auf den Dächern und Fluren ruht, Alles versengend in erstickender Hitze, herrscht da unten eine ewig erquickende Kühle. Italien schüttet seine Goldorangen und das Morgenland seine Trauben und Mandeln in die dunkeln Tiefen. Während oben das Leben und Treiben der Menschen sich prosaisch abspinnt in unerquicklicher Hast, im Lärm der Geschäfte, waltet hier unten heilige Ruhe und leise auf den Zehen kommt herbeigeschlichen ein reizend Kind aus fremden Wunderhimmeln, die – Poesie.

Eine solche prächtige Weingruft hatten sich auch unsre drei Freunde, die wir auf der Hainstraße verlassen hatten, ausgesucht. Sie saßen bei einander in freundlich erhelltem Raume in allerhöchster Gemüthlichkeit, und waren eben in der angenehmen Beschäftigung begriffen, die Perlen eines kostbaren, milden Scharlachbergers prüfend über die Lippen gleiten zu lassen. Im Vorgemach duftete italisch eine Pyramide Apfelsinen.

Die unferne Rathhausuhr verkündete die zehnte Stunde. Der Ruf des Feuerwächters ertönte – die Straßen wurden stiller und leer. Oben blühte ein wundervoller Sternenhimmel.

Kaum waren die zehn Schläge der Rathhausuhr verklungen, als Berthold fromm die Hände faltete. „Kinder,“ sprach er feierlich, „jetzt betet, daß uns der Teufel oder sonst ein böser Gnome keinen Schauspieler herabschickt.“

„Und keinen Literaten,“ setzte Herloßsohn dazu.

„Und keinen Weinreisenden,“ schloß Lortzing.

„Uebrigens,“ fuhr Letztrer fort, „wir könnten es ja Rossi sagen, daß er die Klappe oben zumacht.“

Der stets für Recht und Billigkeit besorgte Doctor gab das nicht zu.

„Bis um Elf,“ sprach er, „muß offen bleiben. Dies verlangt das Geschäft so.“ Er hatte kaum diese Worte gesprochen, als es die unfernen Stiegen herabklirrte und zwei lebensmüde Börsenjünglinge, die sich bereits auf der ersten Gallerie ennuyirt, bei Kühl und Großberger ennuyirt, bei Riedel ennuyirt, und sonst wo ennuyirt, traten mit Geräusch und Nonchalance, den Hut auf dem Kopfe, in die Weingruft.

„Ah sieh da – der Herloßsohn, der Berthold, der Lortzing – famos – Rossi – halbe Julien – die Günther süberb – dies Stück abominabel – “

Mit diesen, in etwas näselndem Tone gesprochenen Worten, nahm der Längere in möglichst nachlässig bequemer Stellung neben Herloßsohn Platz.

„Pyramidal ennuyirt – sprach der Kleinre, der sich ebenfalls auf einen Sessel geworfen – „Ringelhard verdient gehangen zu werden – Rossi – Glas Zuckerwasser – Apropos, Berthold ist die Kleine – mon dieu, wie heißt sie – Schwarzkopf, Burgstraße, engagirt?“

„Ja,“ sprach Berthold, dem der Bissen eines tranchirten Cotelettes im Munde quoll, trocken und im Doppelsinne, „die wird wohl engagirt sein.“

„Süberbe Taille. – Ringelhard ist ein Knicker.“

„Doctor,“ fuhr der Andre, der die langen Füße unterdeß auf einen Stuhl placirt hatte, in fast wagerechter Stellung fort, – „der Champagner schmeckt nicht mehr – La fitte nicht mehr – Dom Dechanei nicht mehr – Kirchenstock nicht mehr – rathen Sie Doctor.“

„Da gehen Sie doch in’s Wasser, guter Freund,“ rieth Herloßsohn, „was trinken muß der Mensch.“

„Famoser Witz – immer geistreich der Doctor – war nahe daran, Doctor – die verfluchten Kiel-Altonaer – schließe ab 65 – Gloggnitz 73 – fängt der


  1. Ein bekannter Weinkeller in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)