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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Williams einen großen Theil seines Lebens zubrachte, scheinen den Letzteren gewissermaßen überwacht zu haben.

An diese Thatsachen reihen sich noch andere, nicht minder wichtige Umstände, unter denen der eine besondere Beachtung verdient, daß Louis Philipp als Herzog von Orleans, begleitet von seinen Brüdern, in den neunziger Jahren bei den Indianern im westlichen New-York, so wie auch in New-Orleans, in der Nähe des eben erwähnten Belanger, waren. Ferner, daß Eleazer Williams bis zur Stunde über dem linken Auge und auf der rechten Seite der Nase die Spuren einer Mißhandlung an sich trägt, die er von seinem grausamen Kerkermeister, dem Schuhflicker Simon, zu erdulden hatte; auch sind seine Kniee ganz mit skrophulösen Narben bedeckt, und es ist Thatsache, daß der Dauphin hauptsächlich an dieser Krankheit litt. Dann ist zu erwähnen, daß Schachteln mit Kleidern und Medaillen von Ludwig XVI. und Maria Antoinette bei dem Kinde zurückgelassen wurden, von denen eine, so wie ein Kleid der unglücklichen Königin sich noch im Besitze Williams’ befinden.

Der Aehnlichkeit Eleazer Williams mit den bekannten Familienzügen der Bourbonen – und das Portrait des Indianer-Missionärs sieht dem Ludwig’s XVIII. auf’s Haar ähnlich – ist schon erwähnt, doch wird eine genauere Beschreibung seiner Persönlichkeit für die Leser gewiß von Interesse sein. Sein Teint zeigt uns die Farbe, wie sie bei Jemandem zu sein pflegt, der lange im Freien gelebt hat, und er gilt deshalb für einen Halbindianer. Aber seine Züge sind entschieden die eines Europäers, sie sind mehr breit, und ganz charakteristisch sind die vollen, hervorragenden, österreichischen Lippen. Jeder Kundige weiß, daß solche niemals bei den Eingeborenen, und selbst sehr selten bei den Amerikanern gefunden werden. Sein Kopf ist wohlgebildet und sitzt stolz auf den Schultern. Seine Augen sind dunkel, aber nicht schwarz. Sein Haar kann schwarz genannt werden, ist dicht und glänzend, aber mit Grau gemischt. Seine Augenbrauen sind voll, von derselben Farbe – am linken findet sich eine Narbe. Sein Bart ist stark, sein Nase gebogen, die Nasenlöcher sind weit und scharfgeschnitten. Sein Temperament ist heiter; er hat etwas sehr Lebendiges in seinen Manieren, liebt gute Kost und neigt zur Wohlbeleibtheit, wie dies in der bourbonischen Familie gewöhnlich ist.

Sprechen nun alle diese Thatsachen und äußeren Erscheinungen dafür, den jetzt 68jährigen Eleazer Williams für Ludwig XVII. zu halten, so wird man in diesem Glauben noch durch ein wichtiges Ereigniß bestärkt, das sich im October 1841 zutrug, und das eigentlich die Hauptveranlassung war, den bis dahin mit seiner Abstammung unbekannten Williams zu der Ueberzeugung zu bringen, daß er wirklich der sei, für den ihn dunkle, unbestimmte Gerüchte ausgaben. Im genannten Jahre, im October, besuchte nämlich der Prinz von Joinville die Vereinigten Staaten und stellte im Staate New-York sorgfältige Nachforschungen nach dem Geistlichen Eleazer Williams an. Am 18. October traf der Prinz in dem am Michigan-See belegenen Hafen von Mackinac mit demselben Dampfschiffe ein, auf welchem Williams, der dasselbe erwartet hatte, nach Green-Bay fahren wollte. Der Prinz machte gleich nach der Ankunft des Dampfbootes mit seiner Gesellschaft einen kurzen Ausflug nach einer Berggegend und während seiner Abwesenheit theilte der Kapitain des Schiffes, Mr. Shook, Williams mit, daß ihn der Prinz während der Fahrt von Buffalo her zwei bis dreimal nach einem Herrn Williams gefragt habe, der Missionär unter den Indianern in Green-Bay wäre. Der Kapitain bemerkte, nur er (Williams) könne der sein, den der Prinz suche, und obgleich Williams dies nicht für wahrscheinlich hielt, da er den Prinzen gar nicht kenne, so war doch der Letztere kaum zurückgekehrt, als ihm Williams von dem Kapitän vorgestellt wurde. Beim Anblicke des Missionärs verrieth der Prinz Ueberraschung und Verwunderung, dann ergriff er Williams Hände, drückte sie lebhaft und sprach wiederholt seine große Freude aus, daß ihn sein gutes Glück mit Jenem zusammengeführt. Williams befand sich nun drei Tage in der Gesellschaft des Prinzen, der sich mit ihm ausschließlich über die erste französische Revolution und über die wichtigen Dienste unterhielt, die Ludwig XVI. den Nordamerikanern in ihrem Kampfe gegen England geleistet. Es schien, als wollte der Prinz den Missionär durch diese Unterhaltung gleichsam auf die wichtige Enthüllung vorbereiten, die er ihm am nächsten Tage, 19. October, als kaum das Dampfschiff gelandet war, machte. Der Prinz von Joinville offenbarte nämlich dem erstaunten Eleazer Williams, daß er der Sohn Ludwig’s XVI. sei und legte ihm zugleich eine Urkunde vor mit der Aufforderung, dieselbe zu unterzeichnen und damit allen Ansprüchen auf den Thron von Frankreich gegen Zusicherung eines glänzenden Auskommens zu entsagen. Der Prinz ließ den tieferschütterten Williams zehn bis funfzehn Minuten allein, damit er sich sammeln könne, und als er, zu ihm zurückgekehrt, seine Aufforderung wiederholte, gab der Missionär dieselbe Antwort, die Ludwig XVIII. im Jahre 1802 Napoleon ertheilte: „Obgleich arm, elend und verbannt, kann ich doch meine Ehre nicht opfern!“

Am folgenden Tage, 20. October, verabschiedete sich der Prinz auf die wohlwollendste Weise von Williams und kehrte nach New-York zurück. Ueber diese hochwichtige Zusammenkunft hat sich Williams, der auf das Entschiedenste erklärt hat, daß er niemals auf den Thron Anspruch machen werde, in seinem Tagebuche ausführlich ausgelassen, auch ist es erwiesen, daß nach der Rückkehr des Prinzen nach Frankreich Ludwig Philipp eigenhändig an Williams geschrieben hat.

Alle diese Thatsachen, die hier aufgeführt wurden, um die Identität des Indianer-Missionärs Eleazer Williams mit Ludwig XVII. darzuthun, sind ausführlich in einer so eben in Dessau erschienenen Broschüre behandelt, die indessen nur die deutsche Uebersetzung eines größeren Aufsatzes ist, der im Februarheft von Putnam’s Monthly Magazine of American Literature, Science and Art mitgetheilt wird. Der Verfasser dieses Aufsatzes ist der oben erwähnte Geistliche Hanson, der keine Mühe scheut, diese wunderbare Geschichte vollständig zu enthüllen, mit Eleazer Williams im engsten Verkehr steht und mit seiner Genehmigung jenen Aufsatz veröffentlicht, auch den Prinzen von Joinville als Gentleman gleichsam aufgefordert hat, vor der Welt Zeugniß abzulegen über das, was er in Green-Bay mit Eleazer Williams verhandelte. Es ist demselben bereits geglückt, abermals einige „neue und wichtige Thatsachen“ aufzufinden und er wird dieselben in einem der nächsten Hefte des genannten amerikanischen Magazins mittheilen.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_161.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)