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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Wir Menschen gehören zwar auch mit auf den Schauplatz dieser Geschichte, aber wir sind zu allerletzt darauf getreten. Vor uns haben zwar noch keine menschenähnlichen Geschöpfe, aber Tausende von Thier- und Pflanzenarten ihr Rolle in dieser Geschichte gespielt, deren letzte Nachkommen längst ausgestorben sind, und neuern Thier- und Pflanzenformen Platz machen mußten.

Weiß man auch nicht, wie viele Jahrtausende seit der Bildung der ältesten oder, um mich deutlicher auszudrücken, der zuerst entstandenen dieser versteinert bis auf unsere Zeiten gekommenen Wesen verflossen sind, so hat die Naturwissenschaft doch Gründe, diese Zeit nicht nach Jahrhunderten, selbst nicht nach Jahrtausenden, sondern nach Millionen von Jahren zu schätzen. Darf man doch annehmen, daß seit der Bildung der Steinkohlen – und schon lange vor dieser Zeit lebten Thiere und Pflanzen auf der Erde – acht Millionen Jahre verflossen sind. Und dennoch kann man sich heute noch ein ziemlich vollständiges Bild von der Pflanzenwelt machen, welche ihre Leiber zur Bildung der Steinkohlen hergegeben haben. Und die Fische und andern Thiere, die lange vor der Steinkohlenbildung gelebt haben, kennt man größtentheils, wenigstens ihrer äußeren Gestalt nach, heute eben so genau wie unsere Karpfen und Insekten.

Wie unsere Urahnen, wenn auch nicht in Gestalt doch in Sitten und Gewohnheiten, in Kunst und Wissenschaft desto mehr von uns abweichen in je älteren Zeiten sie vor uns gelebt haben, so weichen auch jene vorweltlichen Thiere und Pflanzen, wie man sie mit einem höchst sonderbar gewählten Worte bezeichnet, von der heutigen ebenfalls um so mehr ab, in je älteren Perioden des Erdlebens sie gelebt haben. Die Versteinerung – wie diese stattfindet, erzähle ich Dir vielleicht einmal später – hat aber ihre äußere Gestalt oft so vollkommen erhalten, ja nicht selten sogar ihren innern Bau, daß ihnen oft nicht viel mehr als das Leben fehlt, nur daß ihre meist weiche, lebenerfüllte Körpermasse in todten, starren Stein umgewandelt ist.

Mein heutiges Bild zeigt Dir die naturgetreuen Abbildungen von einigen Versteinerungen aus der ältesten Zeit unserer Erdgeschichte.

Fig. 1 stellt eine Muschel aus jener Periode vor, welche derjenigen vorausging, an deren Ende die mächtigen Steinkohlenlager sich bilden. Sie ist also einer der allerältesten Urahnen der heutigen Muschelwelt. Du siehst übrigens, daß sie von unsern heutigen See- und Süßwassermuscheln sehr abweicht, indem die eine Schale schnabelförmig vor der anderen hervorragt, was bei keiner Muschel der Jetztwelt der Fall ist. Wenn aber auch unsere heutigen Muscheln von denen jener Urzeiten bedeutend abweichen, so haben wir eben doch noch Muscheln. Das gilt aber nicht von den andern Thieren. Fig. 2 Wahrscheinlich ist es ein Thier gewesen, was wir, wenn es jetzt noch lebendig vorkäme, im Systeme in die Nähe der Krebse oder Asseten stellen müßten. Seine Art, seine Gattung, seine Familie, d. h. seine näheren Systemverwandten sind längst gänzlich aus der Reihe der lebenden Thiere verschwunden. Diese wunderbaren Thiere lebten, aber in großer Menge und Mannigfaltigkeit der Arten, eben nur in der allerältesten Zeit, noch lange vor der Steinkohlenzeit. Nur einige wenige Arten erhielten sich bis in diese, um dann für immer zu verschwinden. Man nennt sie alle zusammen deshalb Paläaden, was etwa uralte Thiere bedeutet.

Figur 3. stellt ein Stück eines mehrartigen, gegliederten Stengels dar, eines Calamiten, welcher einer ausgestorbenen Pflanzenfamilie angehörte, die an der Bildung der Steinkohle einen großen Antheil gehabt hat. Was wirst Du aber zu der letzten Figur meines Bildes sagen? Es ist ein Rindenstückchen, in natürlicher Größe, von einem Baume, von dessen Holze die Steinkohlen größtentheils herrühren. Man nennt diese Bäume, eben wegen dieser zierlichen Bildungen auf der Rinde, Schuppenbäume. Es waren Bäume von der Größe und dem Ansehen unserer Fichten, standen aber auf der verwandtschaftlichen Stufenleiter des Gewächsreiches viel tiefer, da es nur riesige Bärlapp-Arten waren, und als solche zu den Farrenkräutern gehörten. Ueberhaupt hatte es die damalige Pflanzenwelt nicht weit über die Farrenkräuter hinaus gebracht, indem es außer einer großen Menge baumartiger Farren blos noch einige wenige Nadelhölzer, den unsrigen ähnlich, gab. Von allen diesen Pflanzen findet man die Ueberreste, als Rinde, Blätter, Früchte, in den Schieferthon- und Sandsteinschichten, welche zwischen den Steinkohlenflötzen liegen, und zwar als Abdrücke, auf welchen der abgedruckte Pflanzentheil meist deutlich als zarte Steinkohlenkruste, worin er verwandelt wurde, zu erkennen ist. Die Schuppenbäume hatten lange, schmale Nadelblätter, ähnlich unseren Kiefern. Man findet in den Steinkohlengebirgen häufig in den Schieferthonschichten Zweige davon mit den ansitzenden, verkohlten und abgedrückten Nadeln und zapfenartigen Früchten.

Wenn ich Dir nun hierzu bemerke, daß man aus den Schichten der Steinkohlenperiode Pflanzenüberreste von bereits über 500 Arten kennt, die meist ein vollständiges Bild der Pflanzen, von denen sie herrühren, geben, so wirst Du mir zugeben, daß wir dieselben, (wie überhaupt alle Versteinerungen), mit Fug und Recht geschichtliche Denkmale nennen können. Denn man kann an ihnen erkennen, wie in früheren Jahrtausenden das Pflanzenreich beschaffen war, man liest aus ihnen die Geschichte des Pflanzenreichs, die wieder ein Theil der Geschichte unseres Erdkörpers ist.

Unsere Erdoberfläche ist mit zahlreichen geschichteten Gebirgsmassen bedeckt, die sich in dem langen Verlaufe der Umbildung derselben zu ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit aus großen Wasserfluthen niederschlugen. Diese Schichten bilden gewissermaßen die Riesenblätter eines Geschichtsbuches. Was sie uns erzählen, würden wir ohne die Versteinerungen darin schwer verstehen. Die Versteinerungen sind aber die erläuternden Figuren, die Illustrationen, in diesem unermeßlichen, uralten Buche der Erdgeschichte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)