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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

fünf Tage vorüber, noch nicht eingetroffen, und die Mitglieder der Harmonie Lichtenbergs, welche sich von dem als einem der gemüthlichsten Gesellschafter allgemein geschätzten Senator Buttlich gar viel des Neuen und Interessanten aus dem Residenzleben versprachen, waren aus Neugierde eben so aufgeregt über die ungewöhnlich lange Abwesenheit Buttlich’s, als dies seine Gattin aus banger Besorgniß war, da diese Letztere, als der vierte Tag vorüber ohne den Gatten zurückzubringen, anfangs zwar fest entschlossen war, ihm, so wie er nur erst wieder in seinen vier Pfählen sei, derb und tüchtig den Text wegen ungebührlichen Herumtreibens zu lesen, die aber als der Morgen des fünften Tages anbrach, sich den ängstlichsten Vermuthungen hingab, und ihren Buttlich im Geiste in Dresden krank liegen sah, oder durch irgend einen andern Unfall betroffen wähnte. Um dieser quälenden Ungewißheit zu entgehen, welche von Stunde zu Stunde peinigender wurde, entschloß sich Madam Buttlich am Abend des fünften Tages, den andern Morgen in Begleitung ihres Schwagers nach Chemnitz zu fahren und von da nach Dresden zu reisen, dort aber bei allen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizeibeamten Nachfrage wegen des abhanden gekommenen Gemahls anzustellen, die mit Hülfe der verstärkten Nachtwächterschaar gewiß nicht ohne Erfolg bleiben würden. In der Lichtenberger Harmonie dachte man aber durch die Bemerkungen des pensionirten Acciseinnehmers Wärmdich und des Postmeisters Grober aufmerksam gemacht ganz anders, und war darüber einig geworden, daß Buttlich, als Lebemann bekannt, diese Gelegenheit benutze, unbemerkt von Frau und Gevatterschaft den Genüssen der Residenzvergnügungen sich ungestört hinzugeben, da einmal nach Lichtenberg zurückgekehrt, wohl Jahre vergehen könnten, ehe es ihm wieder gelingen möchte, sich so frei und ungehemmt zu bewegen, und daß er gegenwärtig gewiß weit weniger Sehnsucht nach Frau und Verwandten in Lichtenberg fühle, als diese nach ihm.

Der fünfte Tag war vorüber. Madame Buttlich, welche alles gepackt und vorgerichtet, um die Entdeckungsreise nach Dresden anzutreten, hoffend, daß er doch noch kommen könnte, gab auch den sechsten Tag zu, als aber der siebente Tag sich zu Ende neigte und weder von Dresden noch von Chemnitz, wohin man an Verwandte geschrieben, Nachrichten über den abhanden gekommenen Ehemann eintrafen, da litt es die geängstete Gattin nicht länger in Lichtenberg, und eben im Begriff mit der Abendpost nach Chemnitz und von da mit dem Nachtzuge nach Dresden zu fahren, verbreitete sich plötzlich die Nachricht, daß Herr Buttlich mit dem Neukirchner Botenwagen zum Thore hereinfahre. Es konnte daher nicht fehlen, daß die sämmtlich mit Buttlich’s bis in’s zehnte und funfzehnte Glied verwandte Frauenwelt Lichtenbergs pflichtschuldigst auf den Beinen war, um sich zu überzeugen, daß er auch wirklich da sei, und auf welche Weise die Freude des Wiedersehens bei dem Buttlich’schen Ehepaare sich kund geben würde, während diesen Abend die Mitglieder der Harmonie sich zahlreicher als gewöhnlich einfanden, sicher darauf rechnend, daß, sobald Buttlich nicht durch ernstliches Unwohlsein zu Hause zurückgehalten, er auch nach den ersten Begrüßungen und beruhigenden Mittheilungen, aus dem Kreise der Seinigen in den Kreis der Freunde eilen würde. Und dem war auch so. Nach acht Uhr Abends, als schon Mehrere die Hoffnung aufgegeben hatten, den längst Erwarteten noch heute zu sehen, und die Anwesenden zum großen Theile sich an Scat- und Schafkopftische vertheilt hatten, trat Buttlich ein.

„Endlich!“ tönte es von allen Seiten, und die Karten wurden weggelegt.

„Endlich!“ wiederholte der Bürgermeister, und reichte dem Eintretenden die Hand, während die Uebrigen sich nach dem großen runden Räsonnirtische drängten, um Buttlich so nahe als möglich Platz zu nehmen; und gewiß, der freundliche Leser wird diesen Heißhunger der Lichtenberger nach Neuigkeiten nicht unnatürlich finden, wenn er berücksichtigt, daß dieses Städtchen eines von denjenigen ist, welche von allen Eisenbahnen und Handelsstraßen abgeschnitten, und nur durch einen Communfahrweg mit einer in Verfall gekommenen Chaussee in Verbindung stehen. –

„Ei, ei, Gevatter, sind dies zwei Tage?“ tönte es lachend von mehreren Seiten als Buttlich Platz genommen und sein scharlachrothes Sammetmützchen aufgesetzt – denn ein solches trug als Zeichen der Mitgliedschaft der Lichtenberger Harmonie jeder der Anwesenden.

„Ihr habt gut lachen“, entgegnete ernst der Gefragte. „Aber ich kann Euch versichern, zwanzig Thaler wollt’ ich darum geben, wenn ich nicht nach Dresden gefahren wäre, wenigstens will ich an diese Parthie denken, so lange ich lebe.“

„Also doch Unglück gehabt?“ frug theilnehmend der Postmeister.

„Nun gerade genug, um sobald nicht gleich wieder einen Abstecher nach der Residenz zu machen.“

„Und wie so?“ rief neugierig der Accisinspector.

„Ja, meine Herren“, entgegnete lächelnd der Senator, „das ist eine lange Geschichte, und nach überstandenem Arrest, und nun heute von der Eisenbahn- und Botenwagenfahrt müde und matt, habe ich wahrlich nicht viel Lust es mitzutheilen.“

„In Arrest, der Teufel auch!“ brummte der alte Oberförster, der zwei Stunden von Lichtenberg wohnend, alle Wochen einmal Abends in’s Städtchen kam.

„In Arrest!“ rief staunend der Bürgermeister, während dem Accisinspector vor Neugier die thönerne Pfeife aus dem Munde fiel.

„Und warum?“ fuhr Buttlich fort, absichtlich die Spannung der Freunde steigernd. „Warum?“ wiederholte er und nahm sein rothes Sammetkäppchen ab, indem er es Allen zur Beschauung hinhielt. „Nur dieses Abzeichens unserer Harmoniegesellschaft wegen.“

„Ah!“ tönte es betroffen von allen Seiten.

„Drück’ Er los, Er Sacrementer!“ lachte der alte Oberförster. „Ich komme unter acht Tagen nicht wieder in Euer Nest, und möchte es gern heute mit nach Haus bringen, was Euch passirt. Frau Wirthin, eine Bowle Punsch zur Feier der Wiederkehr unseres Landstreichers.“

„Ja, eine Bowle Punsch zur Wiederkehrfeier“, riefen alle lachend. „Aber erzählt, Buttlich.“ –

„Nun denn, es sei“, entgegnete der Bestürmte, brannte sich die lange Pfeife an und begann, nachdem er einen langen Zug aus seinem Biertöpfchen gethan: „Die Beschreibung der feierlichen Eröffnungsfahrt habt Ihr schon in allen Wochenblättern gelesen und braucht sie also von mir nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)