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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

noch einmal zu hören, ich will daher der Kürze wegen nur mittheilen, von wo an in Dresden sich mein heilloses Pech anfing.“

„Es mochte gegen 11 Uhr Vormittags sein, als wir in Dresden angekommen und ich meinen Gasthof verließ, um mich in der Stadt umzusehen; da aber bis zum Mittagsessen mir noch zwei volle Stunden Zeit blieben, war mein erster Gang in einen Hutmacherladen, um meine Reisemütze mit einer anständigern Kopfbedeckung zu vertauschen, denn mit der Mütze auf dem Kopfe, dachte ich, sieht jeder daß du aus der Provinz bist, und das wollte ich vermeiden, indem ich ohnedem gezwungen war, einen Besuch beim Rentier Busch zu machen, an welchen ich einen Brief eines Chemnitzer Verwandten abzugeben hatte.“

„Merkst du was?“ zischelte der Acciseinnehmer dem Postmeister zu.

„Sobald ich meinen Pariser Filz mit 3 Thaler bezahlt, und meine Mütze in den Gasthof zurückgetragen, trat ich in eine der vielen bayrischen Bierstuben ein, die zu Dutzenden auf allen Straßen der Altstadt zu finden sind. Die, welche ich gewählt, befand sich auf der großen Brüdergasse und schien eine der nobelsten zu sein, das bemerkte ich an der Gesellschaft, welche ich hier traf und an dem Betrage meiner Zeche, denn ich hatte den Wirth derselben kaum angesehen und ein Glas Wein nebst etwas Caviar zu mir genommen, als ich auch einen halben Thaler los war. Aber gut und fein, das läßt sich nicht läugnen, war alles und eine Bedienung, na schön guten Morgen, da sind wir hier noch um 50 Jahr zurück.“

„Oha!“ brummte der Wirth der Harmonie, der im Hintergrunde des Zimmers stand und aufmerksam zuhörte.

„Nun, dachte ich, gehst du weiter und besiehst dir das neue Museum und die Zwingerruinen und dann wird es Zeit zum Essen sein. Ich stehe also auf und will fort, greife nach meinem Hute, den ich unweit meines Platzes an einen Haken gehängt, aber all die Hüte, die ich mir besah, hatten ihren Herrn und mein neuer Pariser war fort. Der Wirth, ein gewandter freundlicher Mann, der mir ansah was mir fehlte, bat mich, einige Minuten noch zu verweilen, da um diese Zeit gewöhnlich sämmtliche Gäste sich entfernten, denn nur aus Versehen könnte eine Vertauschung meines Hutes stattgefunden haben, und jedenfalls müßte doch ein Anderer dafür übrig bleiben. Mir blieb natürlich auch weiter nichts übrig, ich wartete bis der letzte Gast fort war, aber es blieb kein Hut zurück, denn der, welcher mir den Meinigen genommen hatte, hatte wahrscheinlich eine Mütze getragen, und diese auf Raub ausgehend, in die Tasche gesteckt. Verstimmt darüber, kaum eine Stunde in Dresden zu sein und auch schon bestohlen und noch dazu in so anständiger Gesellschaft, verließ ich diese Restauration und begab mich mit einer Mütze des Wirths versehen nach dem nächsten Hutmacherladen, um den zweiten Hut zu kaufen, und sendete die geborgte Mütze von meinem Gasthofe aus dem Restaurateur zurück, der, wie er mir wiederholt versichert hatte, um so unangenehmer durch diesen Vorfall berührt worden war, als seit Jahren ein Hutdiebstahl oder ein ähnlicher Gaunerstreich in seinem Lokale nicht stattgefunden.

„Doch bald hatte ich an der Table d’hôte meines Gasthofes unter heiterer Tischgesellschaft und bei einer Flasche Liebfrauenmilch die Geschichte vergessen, und im Laufe des Gesprächs mit mehreren der Anwesenden verabredet, den Nachmittag auf’s Link’sche Bad in’s Concert zu kommen, wo Musikdirector Hünerfürst mit seinem Chore spielte, und von dessen Leistungen wie es schien, ganz Dresden entzückt war. Ich dachte, i nu, das paßt, das Concert ist vor Beginn des Theaters zu Ende, und solltest du das Letztere auch heute nicht besuchen, so bleibt dir morgen noch Zeit und damit gut. Ehe wir aber noch von Tisch aufbrachen, kam zufällig das Gespräch auf das Postwesen, und mein Nachbar zur Linken, ein Hessenkass’ler äußerte so hingeworfen, daß er noch nie eine sächsische Paßkarte gesehen. Aus Höflichkeit nahm ich die Meinige aus der Brieftasche und übergab sie demselben, vertiefte mich dann noch mit meinem Nachbar zur Rechten in ein Gespräch über den Zollverband, worauf wir von unserm Industrie- und Fabrikwesen auf wollene Strümpfe und Damastwirkerei, auf Leinenwaaren und Kattundruck, auf Oesterreich und England und von da bis nach Californien und Australien auf Goldsucherei und Mord und Todtschlag kamen, dann uns aber in recht rosiger Laune trennten, denn der ersten Flasche Liebfrauenmilch war eine zweite nachgefolgt, und ich fühlte bereits, daß ich im besten Zuge war, einen Haarbeutel zu erhalten, denn ich fing an mit der Zunge anzustoßen und erblickte, als ich von meinem Nachbar auf Wiedersehen Adieu nahm in dessen Gesicht statt einer Nase zwei, und statt zwei Augen vier.

„Um den Nachmittag nicht zu verschlafen, eilte ich, wieder auf die Straße zu kommen und traf nach einem stundenlangen Spaziergange Punkt 3 Uhr auf dem Bade ein. Aber einen Platz dort erlangen zu können, dazu war keine Aussicht, denn obgleich es ein gewöhnlicher Wochentag war, so stand und saß doch alles Kopf an Kopf bis an die Thüren des Saales, der übrigens nebenbei gesagt, unserm Schießhaussaale nicht das Wasser reicht.“

„Was, so ein Saal in der Residenz sollte nicht dem Unsrigen hier gleich kommen?“ frug der Webermeister und Stadtverordnetenvorstand Giltnisch.

„Ja, Buttlich hat recht“, bekräftigte der Postmeister dessen Urtheil. „Dresden hat keinen einzigen zweckmäßigen und schönen Saal auf alle den Restaurationen, die zu den besuchtesten Concertorten gehören. Nichts als Lerchengebauer und Flickwerk.“

„Wie gesagt“, fuhr Buttlich fort, „es war gestopft voll, und aller Augen waren nach der Musik gerichtet, und dabei herrschte eine Stille wie in der Kirche. Aber wahr ist es, schöner und graziöser kann man aber auch kein Concert, wie man sie auf öffentlichen Orten großer Städte hört, vortragen hören, als hier die Leistungen dieses Hugo Hünerfürst’s und seines Chors. Und die Damenwelt hättet ihr betrachten sollen, alle Blicke der Augen so vieler Schönen hingen an des Directors Violinenbogen und Tactbewegungen, der aber dirigirte ernst und ruhig; aber merken mochte er es wohl, daß er so aufmerksam beobachtet wurde, denn er lächelte manchmal verstohlen nach dieser oder jener Gegend des Saales hin, nur wollte mir die Stille auf die Länge der Zeit bei diesem Concerte nicht gefallen, denn wo man Cigarren raucht und Kaffee und Bier trinkt, da halte ich nicht gern lange Ruhe, aber hier mußte ich, denn als ich einige Male während des Spiels mit meinem Nachbar zu sprechen begann, da tönte es rechts

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)