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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Rottmeister aber kopfschüttelnd und mißtrauisch dem bald seinen Blicken entschwundenen Reiter nachsah.

Nach Verlauf von einer guten halben Stunde, seit Becker’s Entfernung aus dem Schlosse, trat der wachthabende Trabant in das Berathungszimmer und übergab dem zufällig der Thüre nahe getretenen Grafen von Hallermund die Pergamentrolle mit dem Bemerken, daß ein herzoglicher Reiterhauptmann diese von dem Commandanten der Festung auf dem Kalkberge überbracht, und in der herzoglichen Hofküche auf Antwort warte.

„Was gibt es?“ frug der Herzog sich nach dem Grafen wendend.

„Ein Schreiben der Stadt Lüneburg wahrscheinlich, mit der Bitte, der Stadt die Zahlung der Lösegelder zu erlassen,“ spöttelte der Graf. – „Doch nein,“ setzte er hinzu und übergab das Schreiben dem Herzog, „ich irre mich, Euer Commandant vom Kalkberge hat es durch einen Eurer Kriegshauptleute übersendet.“

Der Herzog nahm das Schreiben und warf es dem Kanzler von Spörk zu, „leset, Kanzler, was das Krämervolk wieder ausgeheckt.“

Dieser öffnete bedächtig das Schreiben, aber kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, als er, erschreckt durch den Inhalt desselben, einen Schritt zurücktrat.

„Nun, Kanzler, was zögert Ihr?“ rief Herzog Magnus.

„Unglaublich!“ stammelte der Kanzler, „dies hat kein herzoglicher Kriegshauptmann überbracht, dies hat die Stadt durch einen der Ihrigen übersendet, die sich gegen Euch, Herr Herzog, auflehnt und Euch Fehde ankündigt.“

„Wie!“ schrie der Herzog. „Seid Ihr verrückt, und tanzen Euch etwa die gemalten Schnörkel verkehrt vor den Augen. Noch einmal erklärt deutlich: was enthält dies Schreiben?!“

Die Stadt Lüneburg sagt hiermit dem Herzog Magnus von Braunschweig Huth und Weide, Gehorsam und Unterthänigkeit auf für ewige Zeiten,“ las jetzt der Kanzler mit langsamer aber zitternder Stimme.

„Ha, diese Hunde,“ knirschte Magnus und riß dem Kanzler das Schreiben aus der Hand, warf einige Blicke auf dasselbe, und als er sich von der Wahrheit dessen, was Spörk vorgetragen, überzeugt, zerriß er das Pergament und trat es vor Wuth schäumend mit Füßen.

„Wo ist der Bote?“ brüllte er nach einer kurzen Pause. „Schafft ihn herbei! Verstümmelt auf ein Roß geschmiedet, soll er der Rebellenstadt die Antwort bringen.“

Eilig stürzten mehrere der Anwesenden aus dem Gemache, den Befehl des, in seinem Zorne von Allen gefürchteten, Herzogs zu erfüllen, aber vergebens durchsuchten hunderte von Kriegsleuten und Dienern die weiten Räume des Schlosses, der lüneburgische Hauptmann war nirgends zu finden. Bald darauf sprengten Bewaffnete der Richtung nach Lüneburg zu, den Geflüchteten zu ereilen, während die Signale der Schlachthörner die in und um Celle lagernden Kriegsvölker zum Aufbruch riefen.




Aber nicht so schnell als es den erbitterten Herzog in seiner zürnenden Hast drängte, konnte er der Stadt Lüneburg mit seiner Rache nahen, denn an demselben Tage, an welchem er den Absagebrief dieser Stadt erhalten, und im Begriff war, sich mit seinen Kriegsvölkern gegen Lüneburg zu wenden, kamen Eilboten von Hannover, meldend, daß sich Herzog Albert von Sachsen mit starker Kriegsmacht dahin gewendet, und als vereinige sich alles ihm Feindliche, um seine Macht mit einem Male zu brechen, so erschienen noch an demselben Tage Flüchtlinge, welche den im finstern Groll mitten unter seinen im Aufbruch begriffenen Reiterschaaren haltenden Herzog verkündeten, daß die Heerhaufen der Bischöfe von Münster und Hildesheim sich mit dem Herzog von Mecklenburg verbunden und gegen Braunschweig zögen, so wie bald darauf die Kunde an Magnus gelangte, daß die Städte Harburg, Uelzen, Lüdershausen, Hannover und Winsen dem Beispiele der Stadt Lüneburg gefolgt, und ihm den Gehorsam aufgesagt. –

Seine Macht theilend und die Rache gegen seine rebellischen Städte auf spätere Zeiten sparend, wendete sich Herzog Magnus zum Kampfe gegen Sachsen und Mecklenburg; die Bürger Lüneburgs aber, wohl wissend, daß, so lange die Festung auf dem Kalkberge nicht in ihren Händen, die Stadt fortwährend den Schrecknissen nächtlicher Ueberfälle und Brandunglücks Preis gegeben sei, beschlossen in derselben Nacht, in welcher der Kriegshauptmann Becker mit dem Absagebrief nach Celle geritten, sich zum Kampf vorzubereiten und durch List oder Gewalt sich in den Besitz der Burg zu setzen. –

Und dazu gab der Ablaß, der im Benedictinerkloster, welches in den Ringmauern der Festung sich befand, jedes Jahr am Tage der Lichtmesse ausgetheilt wurde, die günstigste Gelegenheit. In der vierten Morgenstunde des 2. Februar 1371 (Lichtmeß), als noch finstere Nacht über die Häusermassen und Thürme der Stadt Lüneburg lagerte, setzte sich vom Marktplatze aus, eine Anzahl Mönche an der Spitze, ein langer Zug von hunderten der Frauen Lüneburgs geweihte Kerzen tragend, nach dem Kalkberge zu in Bewegung. Arglos, den frommen Brauch ehrend, ließ der wachthaltende Kriegsmann die äußern Thore der Festung öffnen, während von der Kirche des Benedictinerklosters her, Geläute der Glocken den Beginn der feierlichen Ablaßertheilung verkündeten.

Neugierig folgte die wachthaltende Abtheilung der Besatzung dem Zuge der Frauen, indeß der Commandant der Festung sowie der größte Theil der streitbaren Mannschaft noch im tiefen Schlafe ruhete. Aber kaum im Innern der Festung angelangt, verwandelten sich mit Blitzesschnelle die Mönche und bußfertigen Frauengestalten in wohlgerüstete Krieger, die mit Schild und Schwert, mit Streitaxt und Lanze über die keines Ueberfalls sich vermuthenden herzoglichen Söldner herfielen und dieselben niedermetzelten.

Zu gleicher Zeit drangen von der Stadt aus, in welcher die Stille der Nacht durch ein wildes von Waffengeklirr begleitetes Treiben unterbrochen wurde, neue Streitkräfte in die Festung, und als der Commandant des Kalkberges, Ritter Segebald vom Berge, halbangekleidet an der Spitze der übrigen noch schlaftrunkenen Besatzung herbeieilte, waren die Bürger schon im Besitz des größten Theils der Festung. Schritt vor Schritt aber mußten die Lüneburger das Eindringen in das Innere derselben erstreiten, und nur als der mit Löwenmuth kämpfende Commandant v. Berge, von dem Schwerte des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)