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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und Schwachen sitzen ruhig in dem warmen Sonnenscheine oder in ihrem betreffenden Zimmer, um desto besser die genossene Mahlzeit in Gemüthlichkeit zu verdauen; einige wenige sind mit Lesen beschäftigt. Die Arbeitsfähigen – in dieser Jahreszeit nur eine geringe Anzahl – haben sich bereits an ihre verschiedenen Beschäftigungen begeben; einige arbeiten in den Gärten, andere zupfen Werg aus alten ausgedienten Tauen und Stricken, andere hinwiederum hacken Holz oder arbeiten, im Falle sie eine bestimmte Profession als das Schuhmacher- oder Schneiderhandwerk erlernt haben, für das allgemeine Beste der Anstalt. Die Knaben sind in der Schule unter der geistigen Leitung eines Lehrers. Wir sehen hier eine Anzahl gesunder, wohlgekleideter und durchaus reinlicher Knaben mit lachenden, lebensfrohen Gesichtern, welche unter der Führung eines einsichtsvollen, jungen Mannes, dem die Ausübung seiner Pflichten ein Vergnügen zu sein scheint, lesen, schreiben, buchstabiren und auch wohl ein wenig rechnen lernen.

Von hier begaben wir uns eine Treppe hinauf, um die Schlafzimmer in Augenschein zu nehmen. Der ganze obere Theil des Gebäudes, welches ungefähr 360 Fuß lang ist, besteht aus einer ungeheuren Anzahl von einzelnen Zimmern, welche vermittelst verschiedener breiter Treppen zugänglich sind, jedoch vermittelst eines Ganges in ihrer ganzen Ausdehnung mit den Zimmern der verschiedenen Aufseher und Aufseherinnen in dem Centrum des Gebäudes in unmittelbarer Verbindung stehen. – Diese Schlafzimmer sind hinwiederum in verschiedene Abtheilungen für die Alten, die Schwachen, Arbeitsfähigen, und Knaben abgetrennt; die Schlafzimmer für die weiblichen Insassen befinden sich in dem Flügel, welcher von dem Centralgebäude rechts belegen ist, und sind ganz nach derselben Art wie die der Männer eingetheilt. Jeder einzelne Insasse hat sein eigenes Bett, und da wir, dazu speciell aufgefordert, mehrere dieser Betten genau untersucht haben, so fühlen wir uns zu dem Urtheile berechtigt, daß wie überall, so auch ganz besonders hier in dieser Abtheilung der Anstalt die allergrößte Reinlichkeit und Ordnung herrscht, und die Lüftung (Ventilation), welche für das Gedeihen der menschlichen Constitution von der allergrößten Bedeutung ist, ist durchaus musterhaft.

Wenn wir hinwiederum die breite Treppe hinuntersteigen, welche sich auf der rechten Seite des Centralgebäudes befindet, so gelangen wir in die verschiedenen Zimmer der Frauen, welche nach demselben Plane gebaut und eingetheilt sind, als die der Männer. Die alten Frauen, welche nicht zu schwach sind, haben ihren Stuhl nahe an das geputzte Fenster gerückt und sind mit jugendlichem Eifer mit einem Nähzeuge oder wohl gar mit dem Strickzeuge beschäftigt, welches seit der Erfindung der Strumpfwebedampfmaschienen in England eine außerordentliche Erscheinung ist; andere lesen in tiefster Andacht in dem Buche des Lebens, aus dem sie im vollsten Maaße den Trost schöpfen, welchen sie in den wogenden Verhältnissen des Lebensgebrauses vergeblich gesucht haben, dafür zeugt die Inbrunst, mit welcher sie den Text Wort für Wort in sich aufnehmen, und die tiefgefurchte Stirn und jenes melancholische Auge spricht auf das Unverkennbarste von harten Kämpfen und großen Leiden, ehe sie in diesen Hafen des Friedens ruhig eingelaufen waren. Ja auch diese hochbetagten, hinfälligen Gestalten vor unseren Augen haben einst in Schönheit und übermüthiger Jugendfülle gestrotzt, auch ihr Busen hat einst manche kühnen Träume geborgen, auch ihr Herz war einst voller Wärme und Leidenschaften; das Alles ist nun vorüber und Nichts geblieben, als die Hoffnung auf die seligen Freuden einer besseren Welt. – Andere hinwiederum gehen auf dem Hofe in dem hellen Sonnenscheine spazieren, um ihren Appetit ein wenig mehr für die Tasse Thee zu schärfen, welche mit den schönsten Vorgenüssen erwartet wird. Die Mädchen befinden sich unter der Direction einer Lehrerin und lernen nähen, stricken, lesen und schreiben. Auch besitzt die Anstalt eine kleine Bibliothek nützlicher und erbaulicher Schriften, welche jedem Insassen, alt und jung, zu Gebote steht.

Bis jetzt haben wir eigentlich noch gar kein wirkliches Elend gefunden; in der That haben wir kaum ein Gesicht gesehen, welches eine tiefe Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Lage verrathen hätte, und die Nahrung, obwohl nicht luxuriös und übermäßig, muß durchaus ausreichend sein, denn überall um uns herum sehen wir Nichts, als blühende Gesundheit. Wir wissen, daß eine gute Gesundheit namentlich von Reinlichkeit, einer gehörigen Lüftung und hinreichender, gesunder Nahrung abhängig ist. Hier herrscht zweifelsohne die größte Reinlichkeit, und die Ventilation ist musterhaft, und wir dürfen aus guten Gründen wohl annehmen, daß auch die verabreichten Nahrungsmittel zuträglich sein müssen, denn sonst würden wir nothwendigerweise elende, verhungerte Wesen antreffen. Wir haben noch das mit der Anstalt verbundene Krankenhaus zu besuchen. Hier in der That befindet sich ein nicht geringes Maaß von Elend, aber es ist ein Leiden der Art, welches wir in dem Inneren eines wohlgeleiteten Hospitals antreffen. Der Leidende sucht hier die Hülfe, welche er in der eigenen Wohnung nicht haben kann. Hier ist der Schlagflüssige, dessen Aufenthalt in der Gesellschaft so viel als möglich unlästig gemacht werden muß; hier ist der Krüppel, welcher für jede Arbeit oder Anstrengung unfähig ist, und dessen Schmerzen unter der Aufsicht chirurgischer Kunst gelindert werden müssen; hier ist auch einer, welcher bei der ungewöhnlich scharfen Kälte des vergangenen Winters den Gebrauch seiner Gliedmaßen einbüßte und er wird in kurzer Zeit völlig hergestellt und arbeitsfähig sein. Die verschiedenen Patienten versichern uns, daß jede Bequemlichkeit, welche sie nur wünschen, sofort gewährt und daß ihnen auf Anweisung des Doctors jedes erforderliche Nahrungsmittel, ja selbst außerordentliche Begünstigungen, welche über die gewöhnliche Diät der Anstalt hinausreichten, mit der größten Bereitwilligkeit verabfolgt wurden. Die umfangreiche Küche mit ihren ungeheuren kupfernen Kesseln und riesigen Pfannen und in der Alles mit Dampf gekocht und gebraten wird; die Waschanstalt, in der sämmtliche Wäsche des Hauses gewaschen, gerollt und geplattet wird; dann die niedliche Kapelle, in der die üblichen Morgen- und Abendgebete gehalten, und des Sonntags der Gottesdienst stattfindet, machen den Beschluß unserer Rundschau.

Welches ist nun der Zweck eines solchen Unions-Arbeitshauses, welches den hülfsbedürftigen Armen unstreitig größere Bequemlichkeiten bietet, als sie möglicherweise in ihren eigenen Wohnungen haben können; ist es ein Ort, in welchem der Arme sein ganzes Leben zu verbringen wünscht? Nein durchaus nicht. Denn wenn dies der Fall

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)