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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und behorchen, Euch hinsichtlich Eurer Lebensweise bis in’s Kleinste examiniren, und Euch in Bezug auf Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Bewegung und Ruhe, Wärme und Kälte u. s. w. Aufklärung und Verhaltungsmaßregeln geben, die dem Ausspruche Wunderlich’s beistimmen: „wo die Receptensucht aufhört, fängt die Therapie an“, oder mit Grießelich behaupten: „die edelste Aufgabe der Heilkunst bestehe darin, sich selber überflüssig zu machen. Solche Aerzte nun nennt man rationelle oder vernünftige, von ratio, die Vernunft, und die neuere Heilkunde, welche durch die richtige Einsicht in den gesunden und kranken, lebenden und todten menschlichen Körper solche Heilkünstler zu bilden strebt, heißt die rationelle oder physiologische Medicin. Dieser Wissenschaft wird es gar nicht einfallen, auf gut Glück diese oder jene Heilmethode bei Krankheiten zu probiren oder immer und immer wieder die seit Jahrhunderten von den Verfertigern der Heilmittellehren empfohlenen, aber schon längst als ganz nutzlos erfundenen Arzneimittel in Gebrauch zu ziehen, da sie durch die Mithülfe der Naturwissenschaften weiß, wie naturwidrig dieses Gebahren ist. Sie strebt dagegen darnach die Unordnungen in der Oeconomie des menschlichen Körpers und deren Ursachen zuvörderst richtig zu erkennen und lehrt dann dieselben zu vermeiden oder auf naturgemäßem Wege allmälig wieder in Ordnung zu bringen; sie zeigt uns auch, wie die meisten Krankheiten ohne Medicamente, nur bei gehöriger Einwirkung der richtigen Lebensbedürfnisse in Gesundheit übergehen oder, wo dies nicht geschieht, wie dann auch alle Arzneimittel und Heilungsversuche erfolglos bleiben.

Laßt Euch das Wirken eines rationellen Haus-Arztes in Kürze beschreiben. Zuvörderst würde derselbe Euch über das Klima und den Ort, welchen Ihr eben bewohnt, solche Aufklärung geben, welche zur Erhaltung Eurer Gesundheit beitrüge; sodann müßte er Euch in der Wahl und Einrichtung der Wohnung unterstützen und hier vorzüglich die gesündeste Stube zum Schlafzimmer und zum Aufenthalte für die Kinder auswählen; ja sogar die Geräthschaften der Küche und die Beschaffenheit der Abtritte dürften nicht unbeachtet von demselben bleiben. Was Euere eigene Person betrifft, so würde Euch ein solcher Arzt auf diejenigen Euerer Gewohnheiten (z. B. in Bezug auf Essen und Trinken, Kleidung, geistige und körperliche Thätigkeit u. s. w.), welche nach und nach die Gesundheit untergraben können, aufmerksam machen und zugleich die passenden Mittel und Wege zur Kräftigung Eures Körpers angeben. Sein Hauptaugenmerk würde aber auf die Kinder gerichtet sein und diese müssen von demselben nicht blos in körperlicher, sondern, – wie die Schulen zur Zeit beschaffen sind, – auch in geistiger Beziehung streng überwacht werden. Alle die genannten Pflichten des Arztes würde freilich ein jeder verständige Erwachsene recht gut selbst übernehmen können, wenn er in der Schule sich selbst hätte kennen lernen oder wenn er sich nach den Schuljahren um die Natur und die Einrichtung seines Körpers bekümmert hätte. Wie die Sachen aber jetzt stehen, brauchen fast alle Menschen bis in ihr spätestes Alter noch einen ärztlichen Vormund, und der Arzt darf nicht blos auf den kranken Körper angewiesen sein.

Ich werde später dem Leser noch weiter auseinander zu setzen suchen, wie von einem rationellen Arzte recht gut bei Kindern die so oft tödtlich ablaufenden Krankheiten, als Bräune, Lungenentzündung, Brechdurchfall und hitziger Wasserkopf (Hirnkrämpfe) vermieden werden können; wie krumme und lahme Beine, Buckel und blöde Sinne nicht zu existiren brauchten; wie Blutarmuth (Bleichsucht) und Lungenschwindsucht seltener sein könnten. Für das höhere Lebensalter würde ein richtiger Arzt aber insofern von schützendem Einflusse sein können, als er dem Auftreten von Gicht und Rheumatismus, von Hypochondrie und Hysterie, von Nervenschwäche und Unterleibsbeschwerden, von Lähmungen und selbst dem Schlagflusse entgegen zu treten im Stande ist. Was machen aber die Aerzte und die Laien jetzt? Sie warten beide, selbst wenn sie eine Krankheit schon deutlich herannahen sehen, bis die genannten Uebel sich zu einem solchen Grade ausgebildet haben, daß von einer völligen Wiederherstellung der Gesundheit gewöhnlich gar nicht mehr die Rede sein kann und dann wandern die meisten Patienten aus der Hand des einen Quacksalbers in die vieler anderer, um endlich durch die dunklen Kräfte der Somnambülen[WS 1], der Wunderdoctoren und Geheimmittel zehn bis zwanzig Jahre zu früh in das dunkle Grab gestoßen zu werden. Die meisten Aerzte beruhigen sich dann damit, daß sie sich Mühe gegeben und Alles gethan, um es, wie Goethe dem Mephistopheles von der Medicin sagen läßt, am Ende gehen zu lassen, wie’s Gott gefällt. Hätten sie es doch lieber gleich vom Anfange gehen lassen, aber wie’s Gott gefällt. Uebrigens gibt es doch auch noch einzelne Aerzte, die darüber Gewissensbisse bekommen, daß sie dem Verstorbenen vor seinem Tode nicht noch einige Blutigel ge- und dieses oder jenes Medicament versetzt haben. Sie gleichen jenem Landarzte, der bei innern Krankheiten zuletzt, wenn kein Mittel mehr anschlagen wollte, noch einen Zahn auszog. Höre also auf meinen wohlgemeinten Rath, lieber Leser, nimm Dir einen rationellen Arzt so lange Du gesund bist und laß Dich von demselben vor Krankheit beschützen, denn zur Zeit der Noth ist, wie Du doch endlich von selbst merken solltest, die Macht des Arztes eine sehr geringe, die der Arzneien aber eine blos eingebildete.


III.
Verdienen die meisten Menschen rationelle Aerzte?

Nein! nein! und nochmals nein! Die meisten Menschen verdienen bei ihrem hartnäckigen Sträuben gegen die Aufklärung durch die Naturwissenschaften, bei ihren blödsinnigen Ansichten über die Naturerscheinungen und über die Beschaffenheit ihres eigenen Körpers, sowie wegen ihrer Willensschwäche, ihrer Inhumanität und Selbstsucht gerade jetzt recht tüchtig gerademachert[WS 2], geschrothet[WS 3] und geprießnitzt[WS 4] zu werden; denn wer nicht hört, muß fühlen. Doch gibt es auch noch immer eine Menge gutmüthiger Menschenfreunde, denen das leibliche Wohl der Menschen in der Gegenwart und für die Zukunft am Herzen liegt, und für diese sind die in den nächsten Nummern folgenden Gesundheits- und Krankheitsregeln bestimmt. Am meisten würde freilich durch dieselben genützt werden, wenn

Anmerkungen (Wikisource)

  1. schlafwandelnde Person
  2. Johann Gottfried Rademacher (1772–1850), deutscher Arzt, medizinischer Autor und Schöpfer eines eigenen heilkundlichen Systems.
  3. Johann Schroth (1798–1856), österreichischer Naturheilkundler, Erfinder der Schrothkur.
  4. Vincenz Prießnitz (1799–1851), österreichisch-schlesischer Hydrotherapeut.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_226.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)