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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

pflegen, und eilen dann nach Shoterbury, wahrscheinlich auf demselben Fußwege, auf welchem Shakspeare an dem ruhigen Sommerabende mit hoffendem Herzen hinzueilen pflegte, um Anne Hathaway zu werben. Was thut es, daß sie nun ein Paar Jahre älter war als er? Ich habe manches an Jahren wohlgereifte Mädchen gesehen, welches, meiner Meinung nach durchaus fähig war, ein junges warmes Herz mit sehnsüchtiger Liebe zu erfüllen.

Das Innere des Zimmers, in dem Shakspeare am 23. April 1564 geboren ist.

Der Grund ist, Liebe kümmert sich nicht um Kleinigkeiten. Anna Hathaway wurde von Shakspeare herzlich geliebt, und sie war – wir wagen zu behaupten – ein schönes, geistreiches Landmädchen, als sie ihren William in dem alten Landhause erwartete, welches noch dasteht mit demselben Bette und derselben Bank, auf welcher der Dichter mit seinem Liebchen zu kosen pflegte. Wir hätten lange in Shoterbury verweilen können, Alles schien so ächt, so natürlich; doch wir hatten noch die Geburtsstätte des großen Dichters, jetzt ein alter elender Schlächterladen in Henleystreet zu besuchen und bald befanden wir uns in dem fraglichen Zimmer. Wir erkannten es instinktmäßig – das Fenster – die Wände – übersäet mit unzähligen autographischen Verewigungen, schienen uns so heimisch, so wohl bekannt, als hätten wir sie alle Tage besucht. Man kann eine gute Weile an einem solchen Orte zubringen, ohne von der Langenweile geplagt zu werden. Mancherlei und zahlreich waren die ehrenwerthen Namen, welche wir dort gewahrten. Scott und Sockhart waren dagewesen und hatten, wie billig, ihre Namen zusammen gezeichnet. In derselben Weise sahen wir Charles Dickens, Catherine Fox und ihr gemeinsamer Freund Forster. Auch hocharistokratische Namen waren da im Ueberfluß. – König William; König von Sachsen; Königin Adelaide; Gräfin von Nesselrode und die Großherzogin von Rußland. Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Italiener, kurz fast alle Nationen haben hier ihre Repräsentanten. Washington Irving hat nicht blos seinen Namen, sondern auch die folgenden Verse niedergeschrieben:

Des mächt’gen Shakespear’s Wiegenstätt ist da!
Die, wo er starb, vergeblich suchst Du sie!
Unnütz die Müh’, unsterblich ist er ja,
Und was unsterblich ist, vergehet nie.

Eine Frau Baroneß Wilson hat ihrer Signatur folgende Worte beigefügt:

Bard des unsterblichen Reim’s
Bard des Gesanges, der nie wird alten,
Dein Lied war für alle Zeit.
Dein lyrisches Feuer wird nie erkalten,
Unlöschbar Licht aus Dir entsprang,
Du Meisterzauberer im Gesang.

Als Curiosum führen wir noch folgende Verse an, welche mit Rothstift geschrieben sich in der einen Ecke des Zimmers befinden:

Auch Schulze war hier mit Müller
Beim Vater von Göthe und Schiller,
Auch Lessing’s Wiege stand hier,
Jean Paul mit ihnen macht vier!
Glücklicher Vater! der solche Söhne gebar,
Glückliche Söhne, denen solch ein Vater war.

Dieses sind nicht die einzigen poetischen Herzensergießungen. In dem Zimmer sind einige schreckliche Erzeugnisse zu Tage gefördert worden; Erzeugnisse, welche noch viel weniger guten Geschmack verrathen, als wir je in dem Stammbuch einer jungen Dame gesehen haben. Es würde in der That eine große Freundlichkeit sein, die Namen, Vornamen, Straßen, Alter, Stand und Beschäftigung der bedauernswerten Wesen durch den Druck zu verewigen, welche alljährlich die geweihte Stätte besuchen, und durch ihre poetischen Ungestalten nicht den Genius Shakspeare’s, wohl aber das Fremdenbuch und den Gemeinsinn auf das allerempfindlichste beleidigen. Zum Schlusse fügen wir noch ein Ereigniß bei, welches uns in der That mit großer Freude erfüllte. Während der Zeit nämlich, daß wir uns in dem Zimmer befanden und damit beschäftigt waren, die Namen der Großen und Guten zu lesen, welche nicht nur zur Befriedigung einer kindischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)