Seite:Die Gartenlaube (1853) 238.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Neugierde, sondern aus innerer Hochachtung für das Schöne und Wahre diese Stelle betreten hatten, erschien plötzlich ein gewöhnlicher Tagearbeiter mit seiner Ehefrau, und die stille Ehrfurcht, welche sich in ihrem ganzen Wesen so unzweideutig zu erkennen gab, zeigte deutlich die edlen Gefühle, welche ihre Brust erfüllten. Welch’ ein Triumph für den Barden! welch’ ein Ruhm für den ungelehrten Landmann!




Blätter und Blüthen.

Die Léperos. Von all den verschiedenen Klassen des mexikanischen Volkes sind keine mehr geeignet, einen Fremden mit Abscheu und Ekel zu erfüllen, als jene Vagabundenzünfte beiderlei Geschlechts, die man mit dem Namen „Léperos“ bezeichnet. Im höchsten Grade schmuzig und abstoßend in ihrer äußern Erscheinung, sind sie Bettler, Spieler und Diebe zugleich. Man würde ungerecht sein, wollte man einen Lépero nur in einer dieser drei Eigenschaften schildern, denn er zeigt abwechselnd die eigenthümlichen Merkmale jeder einzelnen und die Schnelligkeit, mit welcher er von einem Charakter zum anderen übergeht, ist wahrhaft überraschend.

Seht jenen elenden Menschen mit gekrümmter Gestalt und boshaftem Gesichte, dessen verbundenes Bein unter dem Gewichte seines Körpers zu zittern scheint, indem er stöhnend und ächzend seinen alten Sombrero ausstreckt, um eine mildthätige Gabe von Euch zu fordern. „Um der Liebe der heiligen Jungfrau willen,“ fleht er Euch an, „habet Erbarmen mit mir! Bei den Seufzern und Wunden des sterbenden Erlösers beschwöre ich Euch, habet Mitleid mit meinen Qualen! Bei Eurer Hoffnung auf himmlische Seligkeit bemitleidet meinen Jammer! Habet Ihr eine Mutter? – Um ihretwillen, um der heiligen Mutter willen da oben im Himmel schauet mit Erbarmen auf mich! Habet Ihr ein Weib? Möchte das theure Andenken an sie Euch bewegen, mein Elend zu lindern! Habet Ihr Kinder? – Um ihretwillen, um jenes heiligen Kindes willen – hört mich an und schenkt mir Euer Mitleid! Ich will beten und flehen, das alle Segnungen der Erde und des Himmels auf ewig Euer Theil sein mögen!“

Ihr gehet vorüber, ohne dem Bettler das erwartete Almosen zu reichen; seine Stirne zieht sich in Falten, sein Gesicht verfinstert sich, indem er sich abwendet, und sein Flehen verwandelt sich in Verwünschungen „Mögen alle Furien der bodenlosen Hölle Dich verfolgen! Mögen Schlangenzungen und Natterngift Dich vernichten! Mögen alle Heiligen des Himmels auf ewig Dich verdammen! Möge jedes Labsal Dir versagt, der Himmel auf ewig Dir verschlossen sein! Dein Weib und Deine Kinder mögen Deinen Armen entrissen werden und vor Deinen Augen jämmerlich umkommen! Möge Dein Fleisch an Deinen Knochen langsam verfaulen, Dein Tod von Qualen und Grauen begleitet sein und Dein Körper ewig unbegraben bleiben!“ In dieser Weise ergießt sich der verhärtete Bösewicht in Bitten und Drohungen, in Gebete und Verwünschungen und es ist ein Glück für Euch, daß Ihr Euch nicht in seiner Gewalt befindet.

Aber so entsittlicht die Léperos im Ganzen auch sein mögen, so sind sie doch nicht alle in gleichem Grade verderbt, und man findet dann und wann einen unter ihnen, der etwas weniger schlecht ist als die große Menge. Jeder Aufklärung und sittlichen Veredlung entrückt, sind diese Menschen fast zur Stufe der Thiere herabgesunken, findet man aber dann und wann wirklich einige versöhnende Ausnahmen, so erscheinen sie des Contrastes wegen nur um so bemitleidenswerther.

Ein Freund von mir traf einen Lépero in Attakapas, der auf einer der dortigen Prairien, die man zur Viehzucht und zur Weide benutzt, als Hirt diente. Durch eigenthümliche Umstände in jene Gegend verschlagen, lebte er friedlicher und ehrbarer und folglich auch glücklicher als zuvor. „In seinem Aeußeren,“ sagte mein Freund, „erhob er sich über das durchschnittliche Maß der Mexikaner seiner Klasse; sein Körper war kräftiger, sein Gesicht weniger abstoßend und obgleich seine Geschichte furchtbar und schrecklich war, so verrieth doch die Art, mit welcher er sie erzählte, oft genug das Vorhandenstein eines keineswegs kalten und fühllosen Herzens.“

„Vielleicht wissen Sie,“ fuhr mein Freund fort, „daß die Prairien von Attakapas eigentlich nichts weiter sind, als Landstrecken, die sich aus Bäumen gebildet haben, welche entweder gefallen oder aus Seen, die später ihre Zuflüsse verloren haben, angeschwemmt worden sind. Dieser Niederschlag hat mit der Zeit eine feste Oberfläche angenommen, so daß hier Menschen wohnen, leichte Schuppen und Hütten erbauen und Viehzucht treiben können. Die Bodendecke ist jedoch an manchen Stellen so dünn, daß durch das Gewicht einiger Ochsen eine zitternde, bebende Bewegung entsteht, und dieser Eigenthümlichkeit wegen heißen sie die zitternden oder bebenden Prairien. An manchen Stellen, besonders in der Nähe der Grenzen, sinkt die Erde zuweilen ein, und es bilden sich Vertiefungen und Risse, in welche mit der Zelt das Salzwasser aus dem mexikanischen Meerbusen seinen Weg findet. Aber ich wollte Ihnen die Geschichte des Lépero mittheilen. Er erzählte sie mir mit folgenden Worten:

„Es sind fast zwei Jahre, Sennor, als ich zum ersten Male meinem ärgsten Feinde begegnete. Es war in einem sehr gefüllten Spielhause in der Stadt Mexiko, das von unserer Klasse fleißig besucht wird, und der Zufall machte uns in den ersten Nächten zu Spielgenossen. Es war ein kleiner, aber kräftiger Mann mit Augen, die wie brennende Kohlen zu glühen schienen und fast aus ihren Höhlen traten, wenn das Glück sich von ihm abwendete.

„Der Mann, von welchem ich rede, war einer der glücklichsten Spieler in Mexiko – schlau und geschickt, aber er bediente sich zuweilen unredlicher Kunstgriffe, die ihm sehr geläufig waren – so daß ich mich nicht enthalten konnte, sein Verfahren bloßzustellen, als ich einige Tage später im Spiele sein Gegner wurde. Er wies meine Behauptung mit lautem Geschrei zurück, und als ich sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_238.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)