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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

man ihm beilegen soll. Ist’s der Pactolus, mit dem Goldstaube? oder der blutgekrönte Simois? oder der lorbeerumgrünte Eurotas? Gieb mir die Hand, drücke die Augen zu und wir wollen darüber hinwegspringen.

Wohl, so wären wir denn mitten in das Kaiserreich hineingefallen, und wir befinden uns in Malmaison, dem Ruhesitze der edlen und unglücklichen Josephine, der Wittwe des noch lebenden Napoleon, – nach legaler Scheidung – aber der noch immer von allen Franzosen angebeteten Kaiserin, denn die Franzosen hatten den Ehebund im Herzen auch mit abgeschlossen, und die Franzosen hatten die Scheidungsacte nicht mit unterschrieben.

In ihrem Cabinet, auf ein geöffnetes Pianoforte gestützt, hörte sie lächelnd eine Deputation junger Mädchen an, die zu ihrem Hausstaate gehörten, und welche schüchtern um die Erlaubniß baten, im Schlosse Sprichwörter aufführen zu dürfen. „Sehr gern, lieben Kinder, antwortete die gute Josephine, und ich selbst werde für die Kostüme Sorge tragen. Dank der Großmuth des Kaisers, meine Garderobe wird euch deren im Ueberflusse darbieten. Nehmt hier, was Marchand mir in diesem Augenblicke überbracht hat.“

Und sie stieß nachlässig ein kostbares Pelzwerk, welches über den Teppich hin ausgebreitet war, mit dem Fuße zurück. Dieses Putzstück war so schön, daß Fräulein S. R., die jüngste der Abgesandten, sich nicht enthalten konnte, indem sie voller Verwunderung ihre weißen Händchen zusammenschlug, auszurufen: „Gott! wie glücklich sind Ew. Majestät!“ „Glücklich,“ sagte Josephine leise für sich, „glücklich!“ Sie schien einen Augenblick nachzudenken, ließ ihre Finger zerstreut über das Piano irren und schlug einige Accorde aus der Romanze an, die wir schon kennen:

Der Blume Stern stirbt, wo ihr Stern
 Sollt’ tagen.
Ich ruht’ am Herz Dir, Schwester fern,
 So gern!

Dann der Erinnerungen, die sie niederdrückten, sich erwehrend, erhob sie sich. „Wer mich lieb hat, folgt mir; kommt, Fräulein; ihr möget Euch die Anzüge betrachten, und nach Gefallen auswählen.“

Und, dem jungen wilden Schwarme voranschreitend, begab sie sich in die Garderobe. Nun blickten wohl alle die jungen Mädchen mit verwunderten Augen um sich, wie der Sohn des Holzhäuers, als er zum ersten Male in die Höhle Ali Baba’s hinabgestiegen war.

Da sah man Gaze-Kleider, so leicht, daß sie davon geflogen sein würden, hätte das Gewicht der Edelsteine, mit denen sie besetzt waren, sie nicht niedergehalten; da gab es spanische Mantillen, italienische Mezzaros, Odalisken-Mäntel, noch ganz durchhaucht von den Parfümerien des Harems und dem Puder von Abukir, endlich Madonna-Roben, so schön, daß die heilige Jungfrau von Loretto selbst sich ehedem nur am Tage der Himmelfahrt damit geschmückt haben würde.

„Nun sucht euch heraus, Kinder,“ sagte die gute Kaiserin, „und macht euch vergnügt. Ich überlasse euch alle diese Herrlichkeiten, bei deren Anschauen ihr so große Augen macht, nur mit Ausnahme einer einzigen. Diese ist zu kostbar und mir zu heilig, als daß sie berührt werden dürfte.“ Und als sie bei diesen Worten die lebhafteste Neugier von allen Augen leuchten sah, fügte sie hinzu. „Indeß kann ich euch diesen Schatz sehen lassen.“

Wie da die Einbildungskraft, diese „tolle Hausgenossin“ und – Herrscherin, bei einem Alter von funfzehn Jahren – in den jugendlichen Köpfen ihr Spiel trieb.

Was mußte dies für ein Wunder sein, daß sie es nicht einmal berühren sollten, während sie in all’ den Wundern hier nach Belieben herumwühlen durften?

Eine Robe, modefarben, aus der Sonne oder dem Monde, wie im Märchen von der Eselshaut? Jenes Vogelei, das nach den arabischen Märchen ein Diamant ist und unsichtbar macht? Ein Fächer aus den Flügeln eines Schutzgeistes von Alhambra? ein Feenschleier? oder etwa ein noch kostbareres Stück, das der Kaiser von einem seiner vertrauten Dämonen, dem kleinen rothen Mann, oder dem kleinen grünen Mann herbeibringen lassen? Was in aller Welt mochte es sein?

Endlich hatte Josephine Mitleid mit der ungestümem Neugier, die sie selbst in unschuldiger Bosheit entflammt hatte. Sie suchte in einem Winkel der kaiserlichen Garderobe, und – was brachte sie zum Vorschein? Nicht ein Angebinde Napoleon’s, nicht ein Meisterstück des Genies – es war das Werk und Angebinde des Bretagner Matrosen Peter Hallo, es waren die Schuhe Maria Rosa’s.

Wer hätte es nicht schon errathen, die Kaiserin Josephine und die Tänzerin mit den nackten Füßchen sind eine Person und ein Herz. Als Napoleon mit seinem Degen Europa wie einen Kuchen zerschnitt, war Josephine Maria Rosa Tascher de la Pagerie die Glückliche, sie bekam die Bohne und die Krone. Sie war lange Zeit Herrscherin. Aber, siehe! eines Tages erhob sich ein gewaltiger Sturm in Europa, die Schneewolken Rußlands stiebten empor, um als weißes Leichentuch auf französische Krieger niederzufallen, die vier Winde wehten feindliche Lawinen zu, und es kamen über Frankreich unter dem Blitzen der Schwerter und Kanonen und unter dem schweren Dröhnen der Schlachten Erdbeben, – ebenso furchtbar, als die der Antillen.

Und als endlich der Himmel wieder blau wurde, da war die Prophezeiung der Negerin ganz in Erfüllung gegangen.

Der große, vom Blitze zerschmetterte Condor, – er hatte die Rose fallen lassen, – und die Creolin von den drei Inseln war zweimal Königin geworden; dann war der Sturm gekommen und sie war gestorben.

O. L. H. 


Die zwölfte Stunde des türkischen Reichs.

So verhängnißvoll auch die Eroberung von Konstantinopel durch Mahomed II. am 29. Mai 1453 im ersten Augenblicke für das ganze christliche Abendland schien, so legte gleichwohl dieses Ereigniß die Keime zu einem Umschwung, an dem die damals so gefürchtete Macht des aus Asien eingedrungenen Volkes mit der Zeit brechen sollte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_254.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)