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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

welche in der Dachstube zu Bett geben, im Keller wieder aufwachen.“

Der Musiker riß die Augen auf, dankte für den guten Rath und fragte, wo er denn eine solide Wohnung finden solle?

„Ich kam,“ sagte der junge Mann, „Sie zu bitten, bei mir zu wohnen.“

„Sie sind also Besitzer eines Gasthofs?“

„Das nicht, Herr; ich bin ein Pianist.“

„Ein Pianist?“ rief Henrich, indem er zurückfuhr.

Ausländische Pianisten, welche sich in einem Lande, wie Californien, begegnen, begnügen sich nicht, wie Engländer in der Wüste, mit abgezogenem Hute an einander vorüberzugehen. Jedermann kennt die Geschichte von dem Engländer, welcher einen hohen Berg bestieg und sich den Ersten glaubte, der dieses Unternehmen vollbracht, als er aber die Hand in ein Felsenloch steckte, die Visitenkarte eines Landsmanns fand. Ungefähr eben so groß war das Erstaunen unseres Musikus, als er bereits einen Bruder Pianisten in Californien vorfand.

„Sind Sie schon lange hier gewesen?“ fragte er neugierig.

„Nein, erst ein Jahr. Es waren erst zehn oder zwölf Buden da, als ich ankam. Ich fand schon einen Italiener vor, der Unterricht und Concerte gab. Aber als er eines Tages mit einem seiner Schüler, der etwas jähzorniger Gemüthsart war, in Streit gerieth, wurde er getödtet, und mir fiel sein Piano und seine Kundschaft zu. Es geht mir hier ziemlich gut. Ich habe ein Haus gekauft, und ich würde der glücklichste Mensch in der Welt sein, wenn der berühmte Henrich Herz meine bescheidene Gastlichkeit nicht verschmähen wollte.“

Noch denselben Abend wohnte Henrich Herz mit seinem Kollegen unter einem Dache. Jedoch, obgleich er in dem besten Zimmer des Hauses einquartiert war, konnte er nicht schlafen. Er konnte die Leichtfertigkeit beim Häuserbau, von welcher sein junger Wirth gesprochen, nicht aus dem Kopfe bringen. Er hatte ein Vorgefühl der Gefahr und bat ernstlich, daß sein Bett in einem anderen Theile des Gebäudes aufgeschlagen werden möchte. Der junge Deutsche lachte ihn aus, gab aber doch nach, und Beide stellten das Bett um. Kaum hatten sie das vollbracht, als die Seite des Hauses, in welcher Herz geschlafen hatte, wich und mit donnerndem Geräusch einstürzte. Der junge Pianist war in Verzweiflung. Herz versuchte ihn zu trösten, indem er sagte: „Thut nichts, lieber Freund! Nichts ist verloren, so lange wir ein Piano haben.“ Aber auch das hatte er nicht mehr. Sein einziges Instrument war unter den Trümmern begraben, ein Piano von fünf Oktaven, von denen zwei freilich keinen Ton mehr gegeben hatten; dennoch hatte es ihn in den Stand gesetzt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Jedoch Henrich Herz hatte glücklicher Weise zwei seiner schönsten Piano’s nach St. Francisco vorausgeschickt, und mit ihnen beschloß er morgen ein Concert zu geben, von dessen Ertrag seines jungen Freundes Besitzthum wieder hergestellt werden sollte. Zu diesem Ende mußten zunächst die Piano’s nach dem Theater geschafft werden.

Herz ging aus, um Vorbereitungen zu seinem Concert zu treffen. Als er an einem Kaffeehaus vorüberkam, umringten ihn drei oder vier Unbekannte. Er kannte nicht einmal die Namen dieser Herren, deren Anzug mehr als nachlässig war; aber er hatte sie oft in der französischen Oper und im Café de Paris gesehen. Der Freundlichste derselben überschüttete ihn mit Artigkeiten und Dienstanerbietungen.

„Wollen Sie,“ sprach der Musiker, „die Güte haben, mir zu sagen, wo ich Jemand finde, der meine Piano’s nach dem Theater bringt?“

„Gewiß! Niemand soll sagen, daß wir einen Landsmann in Verlegenheit gelassen hätten. Kommen Sie, Vicomte, helfen Sie mir! Wir wollen des Herrn Piano tragen. Erlauben Sie mir, Ihnen den Vicomte de Faubourg vorzustellen, einen allerliebsten jungen Mann, der seinen Freunden gern gefällig ist.“

„Sie spaßen!“

„Durchaus nicht, ich versichere Sie! Nichts kann ernster gemeint sein. In Rom müssen wir thun, wie die Römer thun. Wenn Sie glauben, daß wir Beide nicht genug sind, so wollen wir auch noch den Marquis rufen.“

Aber der Marquis gab keine Antwort; er war drinnen beim Billard beschäftigt, die Points zu markiren.

Eine Stunde später waren die beiden Piano’s im Theater.

Herz kehrte zu seinem Wirthe zurück. „Sie haben weder Karren noch Wagen gebraucht, sondern meine Piano’s getragen. Und wie viel, meinen Sie, verlangten sie für ihre Mühe?“

„Wie viel denn?“

„Dreihundert Piaster!“

„Das ist der gewöhnliche Preis.“

„Den Teufel auch! Diese artigen Herren hätten mir sagen sollen, daß sie nichts als Lastträger seien.“

„Man verrichtet hier jede Arbeit, um leben zu können. In Californien würdigt sich Niemand herab.“

Jetzt mußten sie sich nach einem Orchester umsehen, das bald gefunden war. Es gab dort Musikanten aller Art, freilich einige mit kleinen Fehlern behaftet; der Klarinettist war blind, der das Cornet-à-Piston blies, unheilbar asthmatisch u. s. f. Diese Künstler verlangten jeder drei und vier Lstl. für den Abend; auf den Boulevards würden sie etwa zwei Sous erhalten haben. Herz, ohne auf ihre Mängel hinzudeuten, versprach, sie bei späteren Gelegenheiten zu verwenden. Er bedurfte nur ein Corps, um die Pausen zwischen den Abtheilungen auszufüllen.

Darnach forderte er seinen Wirth auf, ihn nach dem Bureau der Hauptzeitschrift zu führen, um die nöthigen Ankündigungen zu besorgen. Das fragliche Bureau befand sich in dem unteren Geschosse eines zweistöckigen Hauses. Zwei große Hunde heulten im Hofe und wurden mit Mühe von einer Negerin beschwichtigt, welche die Besucher zu einem großen, athletischen Manne führte, dem Hauptredacteur. Er trug einen gewaltigen, augenscheinlich nie von der Scheere berührten Bart, ein rothes Hemd und ungeheure Jagdstiefeln. Er schrieb, an einem Tische sitzend, einen Prügel und ein Paar Pistolen neben sich.

Der Zweck der Besucher war bald erklärt; sie wünschten das Blatt zur Ankündigung ihres Concerts zu benutzen.

„Gewiß! Die Gebühren für Anzeigen der Art betragen nur vier Dollars die Zeile.“

Henrich Herz erschrack ein wenig und hätte gern gewußt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)