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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

auffordert, daß du dies oder jenes Penny-Theater nicht versäumen sollst.

Wer glücklich ist, bemerkt wohl auch die wohlfeilere Art, der Welt große Tugenden dieses und jenes Geschäfts zu verkündigen: einen außer Fassung gebrachten und nach oben gesträubten Regenschirm, ringsum mit Zetteln, zum Theil blos geschriebenen, geschmückt. Jetzt stößt man auf einen großen Guckkasten, worin man für einen halben Penny durch ein rundes Glas die Leiden Mazeppa’s, die Tugenden des Seeräubers Paul Jones und die Vorzüge des Parlaments-Mitgliedes, Capitain Sibthorp, leibhaftig schauen kann. In jenem Winkel hat ein Polichinell-Spieler seinen großen Kasten aufgeschlagen, der aber mit chinesischen Schattenspielen die meisten Forthings erntet. Auch bemerkt man ganz weiß gekleidete Mohren, mit ihren Zetteln zitternd vor Kälte und mit großen Augen sehnsuchtblickend nach der tropischen Sonne Afrika’s. Kaum bist du einem italienischen Saiten-Leierkasten mit der Marseillaise entflohen, begrüßen dich schon zwei andere, die jedenfalls die Marseillaise gleich wieder spielen werden, wenn sie nicht schon mitten darin sind. Fürchterlicher ist’s, wenn du vor zwei schottisch-carrirten Dudelsackspfeifern vorbei mußt. Bist du musikalischer Natur, so mache, daß du fortkommst, denn jedenfalls begegnen dir doch die fünf gefärbten Mohren mit ächten Neger-Instrumenten. Geigen, Trompeten, Flöten und Clarinetten, theils einzeln, theils in Compagnie, aber nie in Harmonie, werden dich umbringen. In musikalischer Beziehung hat man sich auch vor den Penny-Theatern in Acht zu nehmen. Versteht man aber Englisch, d. h. wirklich Englisch mit den tausenderlei Wortspielen, so kann man etwas erleben! – Und um des Volkes Lust und Laune und seinen vierschrötigen Geschmack kennen zu lernen, muß man schlechterdings 50 – 60 mal in ein Penny-Theater gehen. Dort stehen die Agenten schon überall in den Thüren und schreien aus, was eben für ein Wunder geschehen werde. „Der berühmte So und So wird eben sein Lieblingslied vom „Scheerenschleifer“ singen“ u. s. w.

Doch genug. Aehnlich ist’s jeden Sonnabend Nachts in Tottenham-Court, Leather-lane, Whitecroßstreet, Newgate, Swen Dials u. s. w. – überall derselbe hunderttausendfache, hitzige Heldenkampf, um dem Arbeiter von seinem Sonntagsessen die Pence abzugewinnen, die Hunderttausende ebenfalls brauchen, um Sonntags mehr Fleisch als gewöhnlich essen zu können. Man muß diese blendend hellen Nachtscenen wirklich sehen, um sie zu glauben. Sie haben, wie London selbst, nirgends in der Welt ihres Gleichen.




Blätter und Blüthen.

Die Ameisen als Skeletirer. Daß die Ameisen von den Körpern kleinerer todter Thiere die fleischigen Theile bis auf die Knochen abnagen, ist eine allbekannte Thatsache, neu hingegen sind die vor Kurzem von einem englischen Naturforscher gemachten Versuche, diese kleinen Thierchen ganz systematisch zum Skeletiren zu benutzen. Eine Partie Ameisen wurde nämlich in einen Kellerwinkel gebracht, und auf einer andern Stelle des Kellers eine durchlöcherte Schachtel mit dem todten Körper eines Reptils aufgestellt. Nach einiger Zeit setzten sich die Ameisen in einer langen Reihe nach der Schachtel in Bewegung und begannen ihr Werk der Zerstörung, welches sie der Engländer so oft wiederholen ließ, daß er bald gegen 100 Skelette von kleinen Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Fischen beieinander hatte. Ueber das zu beobachtende Verfahren heißt es, daß die Körper der zu skeletirenden Thiere nicht angefault sein dürfen, indem sonst die Ameisen häufig nicht daran gehen; am liebsten gehen sie an ihre Arbeit, wenn das Thier noch frisch im Blute ist. Die gröbern Fleischtheile schneidet man vorher heraus und muß dann die Ameisen beim Abnagen des Muskelfleisches beaufsichtigen, denn wenn dieses verzehrt ist, machen sie sich sonst gern auch an die Knochenbänder, nach deren Zerstörung das Gerippe nicht mehr zusammenhält. Selbst kleine Knochen schleppen sie fort, und wenn dieselben für eine einzelne Ameise zu schwer sind, so vereinigen sich mehrere zu gemeinschaftlicher Arbeit. Ist das Gerippe hinlänglich hergestellt, so verscheucht man die kleinen Skeletirer mit einem Schlage auf die Schachtel; auch kehren sie, wenn sie aus irgend einem Grunde das Benagen eines Körpers einstellten, nie wieder zu demselben zurück. Der englische Naturforscher, der diese Versuche vornahm, verband damit zugleich andere interessante Beobachtungen. So fand er, daß die Abwechselung von Tag und Nacht keinen Unterschied in den Empfindungen und Arbeiten der Ameisen hervorzubringen schien; daß sie ein begonnenes Vorhaben nie aufgaben und eher dabei zu Grunde gingen als davon abzustehen. Ihr Geruchssinn ist von bewunderungswürdiger Schärfe. Wenn man z. B. den Finger quer durch einen ihrer Wege zieht, so versammeln sich schnell eine Menge um die Stelle, untersuchen den Vorfall und senden Kundschafter nach allen Seiten hin aus. Zerdrückt man eine von ihnen mit dem Finger und entfernt sie schnell, so macht die nächstkommende alsbald an der Stelle, wo der Mord begangen wurde, halt, umkreist dieselbe forschend, verschafft sich über den Todesfall Gewißheit und theilt dann den hinter ihr kommenden Kameraden die Nachricht mit, welche sich mit unglaublicher Schnelligkeit die ganze Linie entlang fortpflanzt und sie in Verwirrung bringt. Alle schicken sich an, einen etwa in der Nähe befindlichen Feind zu verfolgen, und geraume Zeit vergeht, ehe sich der Tumult wieder legt; lange darnach noch hält aber jede Ameise nachdenkend an der Stelle an, wo der Mord vorfiel.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_283.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)