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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wozu noch Worte machen? In einigen Tagen werde ich ihr Herz und Hand bieten und auf diese Weise mein und aller unserer Verwandten Glück, die diese Verbindung alle so sehnlich zu wünschen scheinen, begründen, falls sie mich ihrer werth hält, was ich nicht mehr bezweifle, seitdem sie mir mit der reizendsten Liebenswürdigkeit erlaubt hat, auch ferner meinen Schnurrbart zu tragen. Im Gegentheil, sagte sie, Du müßtest einen Schnurrbart wachsen lassen, wenn Du ihn nicht schon hättest. Prinz Albert und in Folge davon viele junge Aristokratie trägt Schnurrbärte. Uebermorgen giebt Mad. Powell große Gesellschaft. Alles meinetwegen. Ihre Tante sagt, ich würde sehen, daß sie unter den ausgesuchtesten Schönheiten der Stadt noch die schönste bleiben werde. So schön, so gut, so reich! Wie soll ich Ihnen danken für Ihre gute Wahl, lieber Vater? Durch mein ewiges Bestreben, ein braver Ehemann und Mensch zu werden. Weiter kann man’s bei so vielem Gelde und Glücke wohl kaum bringen. Nächstens mehr. In herzlicher Liebe

Edward.“  

Edward hatte den Brief selbst zur Post getragen. Auf dem Rückwege fielen seine Augen zufällig auf einen Mädchenkopf innerhalb eines Fensters, der, emsig über weibliche Arbeit gebückt, nur etwas vom Profil sehen ließ; doch besann sich Edward schnell genug auf das reizende Gesicht, das ihm bei Ueberreichung seines verlornen Briefes so schnell und tief in die Seele gestiegen war. Er blieb gradezu vor dem Fenster stehen und sah mit vollem Gesichte hinein, ohne daran zu denken, daß eine solche Situation sehr auffallend sein mußte, zumal in einer so kleinen Stadt. Bald sah sie auf und ihn, erröthete, schien erstaunt und bückte sich noch tiefer, um weiter zu arbeiten. Er verbeugte sich verlegen und ging schneller, als es bei einem unabhängigen Gentleman Mode ist, davon.

Einige wollen behaupten, er sei an demselben Tage noch einige Male an dem Hause vorübergegangen, was vielen ehrbaren Familien in der Nachbarschaft sehr aufgefallen sei. Gewiß ist, daß an demselben Abende schon eine merkwürdige Geschichte zum Stadtgespräch ward. Nicht weit vom Hause redet Mr. Custis ein kleines Mädchen an und frägt, wer dort in dem kleinen Hause mit den schmalen Fenstern wohne. Das Kind zeigt mit den Fingern und fragt, ob er dies oder das oder jenes meine, was Mr. Custis verleitet, mit dem Finger auf das richtige hinzuweisen. Nun erzählt das Kind: Ja so, das ist Mrs. Brandon und Miß Brandon, die mir mein neues Kleid gemacht haben, und ihr Kanarienvogel ist so zahm, daß er Miß Brandon aus der Hand ißt und sie küßt und immer fortfliegt, wenn er „etwas machen will.“ (Man bedenke, daß es ein ganz hübsches Kind mit der arglosesten Miene sagt.) Vom verstorbenen Mr. Brandon weiß sie nichts, ist aber so gefällig, ihre erwachsene Schwester herbeizurufen und in ihrem Eifer zu sagen: Der Herr wünscht zu wissen, was Mr. Brandon gewesen ist.

„Ein Doctor ist er gewesen,“ erzählt die Schwester, „Doctor in den ersten Häusern und eingeladen gewesen zu den ersten Gesellschaften, hernach aber sehr lange selber krank gewesen und keine Praxis mehr und arm geworden und vergessen und endlich todt. Mrs. und Miß Brandon müssen sich nun ihr Brod durch Nähen und Schneidern sehr sauer verdienen, aber sie thun immer noch sehr vornehm und geben sich mit keinem Menschen ab, aber Miß Brandon ist sehr liebenswürdig und hat zu einem alten reichen Herrn, der sie mit nach London nehmen wollte und für Alles sorgen, gradezu Nein gesagt.“

Dabei sahen alle Drei grade auf das Haus und speciell auf das Fenster, an welchem Miß Brandon saß. Mr. Custis bekam einen Schreck, dankte hastig und lief davon, als wär’ er ein verfolgter Dieb. Nun erzählten und fragten die beiden Mädchen nach dem fremden Herrn – und bald war es in der ganzen Straße bekannt, wer der Herr sei und was er gefragt und gesagt habe. – Miß Clifford gehörte zu den reichsten Erbinnen der Stadt und war die Perle der höchsten Gesellschaft. Der Herr, der sich nach der Schneidermamsell erkundigt, ist ein weitläufiger Verwandter und ihr „Zukünftiger.“ Das weiß die ganze Stadt. Noch viel mehr wissen die zahlreichen alten Jungfern, die in den Gesellschaften, Kirchen, Schulen, Missionsgesellschaften und selbst in der Politik eine wahre Landplage Englands bilden.

M. Custis schämte sich seines Benehmens und seines an den Tag gelegten Interesses für ein schönes Näherinnengesicht, als er seiner blendenden, glänzenden Zukünftigen gegenüber saß. Tante und Nichte bestürmten ihn mit Fragen, womit man ihm aufwarten könne, Kuchen, Wein, Früchten, Schweizerkäse u. s. w. Nichts, nichts, durchaus nichts, erst möchten die Damen da ihr Geschäft, worin er sie unterbrochen, vollenden.

„Nun denn helfen Sie uns vielleicht,“ rief Miß Emilie; „es ist eine schwere und delicate Arbeit, eine correcte Liste der Personen, welche zu unserer Abendpartie einladbar sind, zu entwerfen. Sehen Sie dieses Heer von Namen, und Tante und ich zerbrechen uns schon lange die Köpfe, da es uns vorkommt, als hätten wir Jemand vergessen. Nun vielleicht haben Sie, lieber Cousin, noch Erinnerungen aus Ihrer Kindheit von unserer kleinen Stadt und der großen Welt darin. Zu viel haben wir Keinen, das weiß Tante am Besten.“

„Ja,“ antwortete die Tante, „man kann sich nicht mit Jedermann befassen und doch möchte man auch nicht gerne Jemand beleidigen. Es drängen sich aber jetzt zu viel unter die Aristokratie, so daß man sehr streng sein muß.“

„Je nun, ich denke, das kann uns wenig kümmern, wer sich unter die Aristokratie drängt,“ versetzte Custis, indem er that, als studirte er die Liste.

„Wir müssen aristokratisch sein, lieber Cousin,“ sagte Miß Clifford mit vornehmer Leichtigkeit; „wir müssen es um so mehr, da wir keine Titel haben, die das gemeine Volk von selbst abhalten.“

„Das gemeine Volk?“ fragte Edward mit spöttischem Lächeln.

„Ich meine nicht eigentlich gemeines Volk; das kommt allerdings nicht; aber ich meine die Niemands und Habenichtse, die – aber wie komisch, daß ich meinem theuern Cousin erklären will, was ich meine. Ich schmeichelte mir,“ setzte sie mit einem brillanten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_287.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)