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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Lächeln hinzu, „von meinem lieben Cousin in jeder Beziehung verstanden zu werden.“

„Die schönsten Räthsel lassen sich am schwersten lösen,“ entgegnete der Zukünftige“ mit erzwungener Artigkeit; „aber ich sehe, daß die werthen Damen doch nicht so streng sind, als sie vorgaben. Brillirt hier doch Peter Leverell nebst Frau und Tochter. Ist das derselbe, dessen Schuhe ich immer schief trat, so daß mein Vater bei einem andern Schuhmacher arbeiten ließ?“

„Ein Schuhmacher auf unserer Liste?“ lachte Miß Emilie. „Verehrter Herr Vetter, Sie haben Pech mit ihrem Witze.“

„Gibt es zwei Peter Leverell’s hier?“

„Es ist derselbe, lieber Vetter, aber ein Anderer geworden.“

„Unmenschlich reich!“ sagte die Tante.

Uebermenschlich reich, reich in des Wortes schönster Bedeutung,“ setzte Emilie hinzu, das einsilbige dämonische Wort mit einer Art von Andacht betonend.

„Er gibt die glänzendsten Gesellschaften,“ bekräftigte die Tante.

„Er hat die prächtigste Equipage in der Stadt,“ setzte Emilie hinzu.

„So, so!“ erwiederte der Zukünftige trocken; „er hat jedenfalls in Schuhwerk nach Australien gemacht. Das hat ihn denn geadelt. Sein Stammbaum beginnt jedenfalls mit einer brav gegerbten Ochsenhaut. Er hat doch einen Sitz im Oberhause?“

Tante und Cousine lachten voller Bewunderung über den glänzenden Witz und der weitläufige Cousin schien die Liste sorgfältig weiter zu mustern. Plötzlich rief er aus. „Was, Sie haben einen der besten Namen ausgelassen?“

„Besten Namen? Ausgelassen?“ frug die Tante mit lächelndem Vorwurf.

„Bitte, lassen Sie doch hören!“ rief Emilie eifrig. „Wir möchten um Alles in der Welt keinen Namen von Rang auslassen.“

„Doctor Brandon nebst Familie,“ sagte der Zukünftige, indem er beide Damen ruhig und fest ansah.

„Doctor Brandon ist seit sechs Jahren todt,“ antwortete die Tante mit einem seligen Lächeln über ihr Bewußtsein, daß sie keinen Mann von Rang ausgelassen habe.

„Er starb in großem Elend,“ sagte Emilie. „Seine Familie ist ganz heruntergekommen.“

„Gekommen, wohin?“

„Wie liebenswürdig simpel Sie sich doch stellen können!“ lachte Emilie. „Wie reizend müssen Sie sein, wenn Sie Ihr Licht leuchten lassen.“

„Soll ich es leuchten lassen? Vorerst erinnere ich mich, daß Doctor Brandon einer der besten Aerzte und seine Frau eine der reizendsten Zierden der Gesellschaft war. Auch habe ich zufällig ihre Tochter kennen gelernt d. h. gesehen, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich in dem Kranze der schönsten Mädchenblumen, die wir hier sehen sollen, auch dieses Veilchen bemerkte.“

„Veilchen kennen gelernt? O sieh da, Tante! Haben Sie noch mehr Blumen in Ihrer Botanisirkapsel?“

„Die Brandon’s gehen nicht in Gesellschaft,“ unterbrach sie die Tante.

„Warum nicht?“

„I nun, weil sie nicht eingeladen werden,“ lachte Emilie auf eine Weise, die ihrer glänzend schönen Gesichtsform einen beinahe widerlichen Ausdruck gab.

„Und warum werden sie nicht eingeladen?“

„Sie sind bettelarm, lieber Freund,“ entgegnete die Tante.

„Ist Mrs. Brandon nicht mehr dieselbe in Callico wie einst in Seide?“

„Nein, durchaus nicht,“ fiel Emilie trotzig ein. „Sie ist gesunken und ihre Tochter dazu; sehr gesunken. Sie haben einen Lebenswandel begonnen, der sie für immer von der guten Gesellschaft ausschließt.“

„Wa–as?“ fuhr der Zukünftige beinahe erschreckt auf. „O, das thut mir sehr leid. Bitte um Verzeihung. Hätte ich das geahnt! – Ich dachte, es seien Personen von untadelhaftem Charakter.“

„Sie mißverstehen mich, lieber Cousin, wahrscheinlich wieder absichtlich. Ich habe nichts gegen ihren Charakter gesagt, ich wollte nur andeuten, daß sie – schneidern, schneidern für Geld.“

„Aus reiner Geldgier hoffentlich, um sich eine Equipage anzuschaffen oder mit einem Vermögen von 10,000 Pfund zu sterben.“

„Um nicht zu verhungern, lieber Cousin, so arm sind sie. Und wenn Mr. Custis wieder Damen kennen lernen will, so denke ich, er wird besser thun, mehr in den Kreisen zu bleiben, wo er zu Hause ist.“ –

Der Zukünftige sah die Sprecherin scharf an, welche nun über den Sinn ihrer Worte erröthete, sich aber sofort zu resolviren wußte und mit leichtem Scherze fortfuhr: „Sie gehören unter die gute Gesellschaft, mein gestrenger Herr Vetter, und müssen Ihren Republikanismus und Atheismus ablegen.“

(Schluß folgt.)




Die Vorgänge in China.

Im fernen Ostasien bereiten sich Ereignisse vor, die in ihren Folgen für jetzt gar nicht zu berechnen sind. Das unermeßliche China, ein Reich, das mit den tributpflichtigen Staaten einen Flächenraum umfaßt, der über 90,000 Quadratmeilen größer ist als Europa, und das gegen vierthalbhundert Millionen Einwohner zählt, ist in diesem Augenblicke der Schauplatz eines Kampfes, der wahrscheinlich schon in der nächsten Zeit sein Ende erreichen, und nicht nur eine vollständige Umwälzung im Innern herbeiführen, sondern auch die bisherige isolirte Stellung des chinesischen Volkes aufheben und dasselbe mit der Kultur und Civilisation

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_288.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)