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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

steigend, setzt auseinander, daß der Zweck der Zusammenkunft sei, über gewisse Männer zu richten, welche aus einem Laden in der Stadt einen Beutel mit Goldstaub gestohlen hätten. Die Gefangenen seien in den Händen des Sheriffs, und es sei beschlossen, sie in’s Gefängniß nach Marysville abzuliefern. Ob es der Wille der Versammlung sei, solcher Verbrechen verdächtige Männer laufen zu lassen? Gelächter und Geheul antwortet dieser Anspielung auf die Entfernung von Marysville und die bekannte dort herrschende Schlaffheit in Fällen solcher Art. Immer von ihrem Präsidenten geleitet – die Amerikaner sind äußerst geschickt in der Leitung öffentlicher Versammlungen – wählen sie einen zeitweiligen Sheriff und ein Sicherheitscomité. Ein prachtvolles Exemplar von einem Goldgräber tritt vor; ihm folgt sein Comité. Sie werden von dem Haufen beauftragt, die Gefangenen der gesetzlichen Obbut, der Behörde zu entreißen und sie sogleich zur Stelle zu bringen.

Bald kehren sie mit den Schuldigen zurück. Die Behörden hätten widerstanden, sagt der Sheriff, Bericht abstattend, und ihre beschworene Pflicht erfüllt. Aber sie waren überwältigt worden, wodurch sie in den Augen des Volks nichts an Ansehen einbüßten. Der Sheriff bildete dann einen Kreis, und die Gefangenen setzten sich, von ihren Wächtern umgeben, auf den Boden. Sachwalter werden von der Versammlung ernannt und ihnen hundert Dollars für ihre Dienste bestimmt. Die Gefangenen machen ihr Unvermögen geltend. Sechs Geschworene werden vereidet. Verschiedene zu Geschwornen Bestimmte machen Einwendungen. Ihre Einreden werden zur Abstimmung gebracht und anerkannt oder verworfen. Der Sheriff des Volks wird beauftragt, die Zeugen für und wider herbeizuschaffen, und ein Richter wird ernannt, freilich nicht ohne einige Mühe. Denn diejenigen, welche Aemter in den Staaten gehabt haben, protestiren gegen die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens und sagen, sie hätten geschworen, die Verfassung zu vertheidigen. Ein alter Mann mit grauen Haaren erhebt sich, den Hut in der Hand, und sagt den Versammelten gerade heraus, daß sie Unrecht thäten. Man hört ihn ruhig und ohne Störung an. Endlich wird der Präsident zum Richter bestimmt, und die Gerichtssitzung beginnt.

Die Untersuchung gegen die drei Golddiebe dauert zwei Tage, und sie werden in der That schuldig befunden. Einer der Gefangenen, der gewesene Officier, erhebt sich vom Boden und bekennt seine Schuld. Er hatte die letzte Unze des erworbenen Goldes verspielt und die Reue in Spirituosen ertränkt. Betrunken, wurde er von einem der beiden Anderen, den er bezeichnete, aufgefordert, eine Schachtel zu stehlen, von welcher der Versucher wußte. Dieses leugnete der Bezeichnete standhaft; als aber die Vollstreckung des Urtheils, das auf neununddreißig Hiebe lautete, herannahte, erklärte er sich bereit, den Ort, wo er seinen Antheil am Raube verborgen, anzugeben, wenn man ihm nur einen Theil der Strafe erlassen wolle. Die Geschwornen versammelten sich auf’s Neue und milderten das Urtheil in Betreff des ersten und zweiten Verbrechers.

Am nächsten Morgen führte der Sheriff in Regen und Wind die Verurtheilten hinaus. Sie wurden mit Händen und Füßen an einen Baum gebunden und gepeitscht, daß sie, losgebunden, halbohnmächtig, elend und stöhnend, sich am Boden wanden. Kaum gestattete man ihnen den Aufenthalt in der Stadt, bis ihre Wunden geheilt waren, und einer starb. Die Andern machten sich hinweg, ich weiß nicht wohin.




Abschreckungstheorie in Schnupftaback. Professor Miller erzählte neulich in einem Arbeiter-Verein zu Edinburg folgende Geschichte, die in einem schottischen Dorfe passirt war, wo Geistliche und Laien noch in sehr reinen, gemüthlichen Beziehungen stehen sollen. Ein junger Geistlicher sollte sich nach seiner Verheirathung durchaus das Schnupfen abgewöhnen. Er that alles Mögliche seiner jungen Frau zu Liebe, fiel aber immer wieder heimlich in die alten Sünden zurück, indem er besonders Leute besuchte, die schnupften. Endlich weinte die Frau und schmollte und er faßte nun einen heroischen Entschluß. Er arbeitete die ganze Woche an einer Predigt gegen das – Schnupfen, ohne sich durch eine einzige Prise dabei aufzumuntern. Sonntags fühlte er sich zwar sehr miserabel, predigte aber doch herzhaft gegen die Sünde des Schnupfens, begeistert von dem beifälligen Lächeln seiner jungen Frau und empört über das deutliche Schnarchen eines ehrsamen Mitgliedes seiner Gemeinde dicht an der Kanzel. Das ehrsame Mitglied machte es endlich so arg, daß ihn ein Nachbar so lange rüttelte, bis er aufwachte, worauf er seine große runde Dose herauszog, ernsthaft und bedächtig auf den Deckel klopfte, diesen abnahm und unter die Dose schob, worauf er mit dem feierlichsten Ernste eine tüchtige Prise nahm und sehr umständlich die Nase damit fütterte. Dem Prediger blieb die Rede in der Kehle stecken; mit der größten Aufregung beobachtete er jede dieser Manipulationen und donnerte endlich: „John, was ist das? Welch eine Schande, Sir! Wie können Sie mich so beleidigen? Haben Sie nicht gehört, was ich gepredigt?“ Er hatte in der That keine Sylbe gehört und starrte seinen Seelsorger im größten Erstaunen an. „Ich weiß wirklich nicht, was ich verbrochen habe,“ stammelte er. – „Fern sei es von mir,“ erwiederte der Geistliche mit Salbung, „meine Lippen durch Namhaftmachung dessen, was Sie thaten, zu entweihen. Ich will Ihnen zeigen, was Sie thaten, damit es Alle sehen und davor zurückschaudern. Geben Sie mir Ihre Dose da!“ („Hand me up that box!“) Man reichte ihm die Dose hinauf. Jetzt machte der Prediger den ganzen Proceß des Nehmens einer Prise durch und zwar in möglichster Nachahmung des Sünders unter ihm. „Das ist es, was Sie thaten, Sir!“ sagte der Prediger, „und was noch viel schlimmer ist“ (mit ungeheurer Begierde die Prise nehmend) „sogar dies thaten Sie, Sir!“





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_296.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)