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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Nichte ernstliche Verweise wegen ihrer Unklugheit und ermahnte sie, mit ihrer „höhern Bildung“ durchaus zurückzuhalten, bis sie verheirathet seien. Uebrigens werde er in guter Gesellschaft auch wohl von selbst die Rohheiten, die ihm noch vom Continente her anklebten, abstreifen, so daß kein besonders strenges Pantoffel-Regiment nöthig sein werde.

Emilie hörte aber kaum darauf und dachte ebenso scharf an Miß Brandon, wie ihr „Zukünftiger“ – nur mit entsetzlich verschiedenen Gedanken und Gefühlen. Ihre Augen funkelten vor Zorn und auf ihrer schönen, glatten Stirn schwoll eine Ader hervor. Sie zitterte. Besorgt rief die Tante: „Emilie, was ist Dir?“

„Daß ich nur mit ihr, mit einer Schneidermamsell in Beziehung kommen konnte, daß ich, daß ich – ich – Tante, ich fühle mich namenlos unglücklich.“

„O Kind, das giebt sich. Sie soll wirklich sehr hübsch sein, aber Custis ist ein Ehrenmann; er wird Dir nie Ursache geben, Dich seiner zu schämen, wenn er erst verheirathet ist. Ein flüchtiges Wohlgefallen an einem schönen Gesichte kommt sogar in der Ehe ohne besondere Störung vor.“

„Aber in diesem Stande? Mein Gott, Tante, es ist unmenschlich erniedrigend für mich.“

Die Tante wurde nun ernster und eindringlicher, bis die Zukünftige fest versprach, vornehm, diplomatisch und „naiv“ zu bleiben bis nach der Hochzeit. Doch konnte sie nicht umhin, bald auszugehen und eine Freundin zu besuchen, von deren Fenster aus sie das Haus der Mrs. Brandon übersehen konnte, was sie auch sehr standhaft gethan haben soll, ohne sich durch die Spöttereien um sie her über ihre Zerstreutheit besonders stören zu lassen.

Custis kam zur Verwunderung der Tante denselben Tag wieder und verlangte mit Emilien spazieren zu gehen. Sie wurde in leidenschaftlicher Hast herbeigeholt und war lauter strahlenden Entzücken, als sie erfuhr, man ihr zugedacht war. Sie schwebte in blendender Schönheit an dem Arme des geliebten Jünglings hinaus vor die Stadt und glaubte nur jeden Augenblick Glockentöne zu hören, die durch die Kirche in’s Brautgemach rufen sollten. Custis war freundlich, liebenswürdig, aber befangen. Es wird ihm schwer, anzufangen, dachte sie und spielte von dem Spaziergang auf den Lebensweg an. Plötzlich stand Custis still und machte auf einen Brief aufmerksam, der am Wege lag. „Wie glücklich würde der arme Mann da vorn sein,“ sagte er, wenn Sie den Brief nähmen und recht bescheiden sagten: „Sie haben wohl diesen Brief verloren, mein Herr?“ – Ich glaube, das müsse wunderschön aus einem so rosigen Munde klingen.“

Emilie lachte laut auf und frug: „Was geht denn dem armen Manne mein rosiger Mund an? Lassen Sie Mann und Brief. Wahrscheinlich wird ihn Einer finden und in einen Briefkasten stecken. Haben Sie so große Lust, mich zum Briefträger auszubilden?“

„Das nicht, aber ich möchte Sie nur in diesem einzigen Falle mal als Briefträgerin sehen!“

„Um’s Himmelswillen, Custis! Denken Sie, wenn mir der Mann am Ende einen Penny für geleistete Dienste anböte?“

„So wäre dies vielleicht der erste Penny, den Fräulein verdient haben.“

Emilie zog ihren Arm mit Heftigkeit aus dem ihres „Zukünftigen“ und wurde brennend roth vor Zorn, faßte sich aber schnell wieder, lachte gezwungen, nahm seinen Arm wieder und neckte ihn wegen seinen republikanischen und atheistischen Sonderbarkeiten.

Sie war nun gründlich durchgefallen. Custis wollte blos ihr Wesen, ihre Stimme beobachten, womit sie den Brief zurückgeben würde und dann einen Vergleich anstellen. Jetzt war die Sache viel schlimmer, als die für sie ungünstigste Vergleichung. Er hatte im ersten Augenblicke ihre blendende Schönheit geliebt; jetzt kam ihm diese glatte, kalte, nichtssagende Schönheit, zumal mit dem bei englischen Schönheiten so oft offen stehenden Munde,[1] widerlich, verächtlich vor. Er mußte sich ungemein zwingen, seine schöne Cousine unter den Formen gewöhnlicher Galanterie nach Hause zu bringen, nachdem er den armen Mann, der angeblich den Brief verloren haben sollte, zurückgerufen und ihm nicht nur den Brief, sondern auch einen ganzen Sovereign gegeben habe, ohne seiner Cousine darüber weiter Auskunft zu geben. Sie erschrack dabei sichtlich und hatte eine Ahnung, daß dies eine Prüfung hatte sein sollen, konnte sich aber nicht erklären, wie sie dabei hätte besser handeln können. Ihre vornehme Erziehung ließ sie in dem Aufheben und Ueberreichen des Briefes nur eine gemeine, der guten Gesellschaft unwürdige Handlung erblicken. Sie glaubte deshalb im Stillen, die Prüfung ganz ihrer würdig bestanden zu haben und suchte wirklich vergebens nach einer Erklärung der auffallenden Kälte ihres „Zukünftigen.“ Custis wollte keine „Scene“ machen und blieb deshalb höflich und gütig, ohne die Vorbereitungen auf die seinetwegen veranstaltete „Abend-Partie“ im Geringsten zu stören.

Der Abend kam und mit ihm die Kutschen und die Damen und Herren, die das neugierige Volk selten ordentlich sehen konnte, da stets eine Menge Lakeien mit weißen Strümpfen und Köpfen, schwarzen Leibröcken und schwarzen Epauletten Weg und Aussicht versperrten. Oben grüßten Alle mit besonders bedeutungsvollem Lächeln die Königin und den König des Festes, die dann auch in überraschender Schönheit und Pracht den ersten Tanz eröffneten. Tänzer und Tänzerinnen tauschten später in einförmigem Wechsel. Custis fühlte sich bald so unheimlich und betäubt, daß er hinausging und in einer Art von Trauer das Weite suchte.

Emilie vermißte ihn bald und wurde mit jeder Minute zerstreuter und rücksichtsloser gegen Gäste und Anbeter. Custis fühlte endlich auch, daß seine Abwesenheit auffallen könnte und eilte zurück. Vor der Thür des in Musik und Lichtern und Pracht aller Art gleichsam schimmernden Hauses standen dichte Haufen und stierten aus dem Dunkel in den blendenden Glanz


  1. Ein kleiner Naturfehler der Königin, der deshalb in einem Theile der guten Damengesellschaft künstlich verzogen wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_298.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)