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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

unglaublich. Da liegt noch ein Napoleon auf dem Boden! Du allerliebster kleiner Napoleon, habe ich Dich endlich erwischt! Nun denn also! Zwei doppelte Knoten, mit Ihrer gütigen Erlaubniß! Schön! So ist das Geld in Sicherheit! Fühlen Sie nur einmal daran, Sie glücklicher Mann! Hart und rund wie eine Kanonenkugel! Ja, ja, wenn sie bei Austerlitz mit solchen Kanonenkugeln auf uns geschossen hätten! Und was bleibt denn nun für einen alten Grenadier, einen Exbraven von der französischen Armee noch zu thun? Nichts anderes, als meinen würdigen englischen Freund zu ersuchen, ein Fläschchen Champagner auf gute Bekanntschaft mit mir auszuleeren und auf Göttin Fortuna in schäumenden Perlen zu trinken, ehe mir von hier fortgehen.“

Und so geschah es denn auch. Nach und nach war bereits die zweite Flasche Champagner leer geworden. Es war mir, als ob ich flüssiges Feuer trinke – mein Gehirn glühte. Niemals in meinem Leben hatte ein Exceß im Trinken eine solche Wirkung auf mich hervorgebracht. War der aufgeregte Zustand, in welchem ich mich überhaupt befand, die Ursache davon, oder befand sich mein Magen in einer ungewöhnlichen Unordnung, oder war der Champagner besonders stark?

„Exbraver der großen Armee,“ rief ich in einem Zustande wilder Lustigkeit aus, „ich bin in einem Feuer! wie ist’s denn mit Ihnen? Sie haben mich in’s Feuer gebracht! Hören Sie, mein Held von Austerlitz? Lassen Sie uns noch eine dritte Flasche Champagner trinken, um das Feuer zu löschen!“ Der alte Soldat schüttelte den Kopf, kollerte seine vorstehenden Augen umher, so daß ich glaubte, sie würden ihm aus ihren Höhlen schlüpfen, legte seine schmutzigen Finger an seine zerbrochene Nase und rief feierlich: „Kaffee!“ während er auf der Stelle in ein inneres Zimmer rannte.

Das von dem excentrischen Veteran ausgesprochene Wort schien eine magische Wirkung auf die andere noch gegenwärtige Gesellschaft hervorzubringen. Sie standen alle zusammen auf um fortzugehen. Wahrscheinlich hatten sie von meinem Rausche Gewinn zu ziehen gehofft, da sie aber fanden, daß mein neuer Freund dafür besorgt war, mich vor völliger Trunkenheit zu schützen, die Aussicht aufgegeben, von meinem Gewinne Vortheil zu ziehen. Mochte nun auch der Grund sein, welcher er wollte, sie waren mit einemmale fort. Als der alte Soldat zurückkam und sich mir gegenüber an den Tisch setzte, hatten wir das Zimmer zu unserer Disposition. Ich konnte noch den Croupier in einer Art von Vorhause sehen, welches auf das unsre ging, wie er dort sein Abendessen ganz einsam verzehrte. Die Stille war jetzt tiefer als je.

Aber auch über den alten Exbraven war eine plötzliche Veränderung gekommen. Er nahm eine wunderbar feierliche Miene an, und als er wieder mit mir zu sprechen anfing, waren seine Worte mit keinen Schwüren verbrämt, durch kein Fingerschnappen verstärkt, durch keine Apostrophen oder Ausrufungen belebt.

„Hören Sie, werther Herr,“ begann er in geheimnißvoll vertraulichem Tone, „hören Sie auf den Rath eines alten Soldaten. Ich bin bei der Herrin des Hauses hier gewesen, einer höchst liebenswürdigen Frau mit einem großen Kochgenie, um sie von der Nothwendigkeit zu überzeugen, uns einen besonders guten und starken Kaffee zu bereiten. Diesen müssen Sie trinken, um Ihre kleine anmuthige Nervenaufregung los zu werden, ehe Sie daran denken können, nach Hause zu gehen – ja, ja, Sie müssen das, mein lieber, wohlwollender Freund! Wenn Sie alles das viele Geld mit nach Hause nehmen, ist es eine heilige Pflicht für Sie, bei ganz klarem Verstande zu sein. Mehrere Herren, die heute Abend hier zugegen waren, wissen, daß Sie so große Summen gewonnen haben. Diese sind nun in gewisser Hinsicht ganz würdige und vortreffliche Personen, aber es sind sterbliche Menschen und haben daher auch wie wir alle ihre liebenswürdigen Schwachheiten. Soll ich noch mehr darüber sagen? Nein, nein, Sie verstehen mich schon hinreichend. Nun, so hören Sie denn – lassen Sie, wenn Sie sich wieder ganz wohl fühlen, sich ein Cabriolet holen – ziehen Sie alle Fenster zu, wenn Sie einsteigen – und sagen Sie dem Kutscher, er solle Sie blos durch die breitesten und beleuchtetsten Straßen fahren. Thun Sie das, und Sie und Ihr Geld werden in Sicherheit kommen, und morgen es einem alten Soldaten Dank wissen, daß er Ihnen einen so guten Rath gegeben hat.“

Eben hatte der Exbrave seinen Sermon fast in weinerlichem Tone geendet, als der Kaffee hereingebracht ward und schon in zwei Tassen eingegossen war. Mein aufmerksamer Freund händigte mir die eine derselben mit einer Verbeugung ein. Ich war außer mir vor Durst und trank sie in einem Zuge aus. Fast im Augenblicke darauf ward ich von einem Anfalle von Schwindel ergriffen und fühlte mich berauschter als je. Das Zimmer drehte sich mit mir wüthend im Ring und der alte Soldat schien regelmäßig vor mir hinauf und hinab zu gehen, wie der Stempel einer Dampfmaschine. Ich wurde durch ein heftiges Klingen in meinen Ohren halb taub und es überkam mich ein Gefühl gänzlicher Verwirrung, Hilflosigkeit und Bewußtlosigkeit. Ich sprang vom Stuhle auf und hielt mich am Tische fest, um das Gleichgewicht zu bekommen. Ich stammelte, daß ich mich fürchterlich unwohl fühle, so unwohl, daß ich nicht wüßte, wie ich nach Hause kommen sollte.

„Mein lieber Freund,“ antwortete der alte Soldat, und selbst seine Stimme schien, als er so sprach, auf- und abzuschwanken, „es wäre Tollheit, in Ihrem Zustande nach Hause gehen zu wollen. Sie liefen ja Gefahr, Ihr Geld zu verlieren, oder mit der größten Leichtigkeit beraubt und ermordet zu werden. Ich werde hier jetzt mich schlafen legen, thun Sie dasselbe auch; man macht in diesem Hause ein vortreffliches Lager zurecht, lassen Sie sich auch eins machen. Schlafen Sie Ihren Rausch aus und gehen Sie dann morgen mit Ihrem Gewinnste nach Hause, – morgen am hellen, lichten Tage.“

Ich hatte keine Macht mehr, etwas zu denken oder zu fühlen, als daß ich mich irgendwo zu Bette legen und in einen kühlenden, erfrischenden, bequemen Schlaf verfallen müsse. So willigte ich denn voll Freuden in den Vorschlag wegen eines Bettes ein und nahm den dargebotenen Arm des alten Soldaten und des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_323.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)