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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Quantum Arsenik von ungefähr 24 Gran, theils als arsenige Säure, theils als Fliegenstein vor, welches nach ärztlichem Gutachten den Tod herbeigeführt hatte. D. wurde verhaftet und man durchsuchte sein Haus, ohne jedoch etwas Verdächtiges zu entdecken. Bei einer zweiten sorgfältigeren Haussuchung fand man aber in einem dunkeln Winkel der Küche eine Büchse mit Rattengift (gefärbte arsenige Säure) und in den Schlafrocktaschen des Angeklagten eine kleine Quantität Fliegenstein, der sich ganz von der Beschaffenheit des im Magen der Todten gefundenen zeigte – er war nämlich feiner zerrieben, als man ihn in der Apotheke zu kaufen pflegt.

Bei den Schwurgerichtssitzungen vermochte der große Saal das Publikum kaum zu fassen. Der Angeklagte, den die öffentliche Meinung längst gerichtet hatte und den die Wachen auf dem Wege zum und vom Gerichtssaal kaum vor thätlichen Mißhandlungen schützen konnten, erschien sorgfältig gekleidet und frisirt und sein ganzes Benehmen zeigte von einer eiteln Selbstgefälligkeit, die den unangenehmsten Eindruck machte. – Er läugnete, je Gift gekauft oder besessen zu haben, aber es wurde durch drei eigenhändig ausgestellte Giftscheine nachgewiesen, daß er sowohl arsenige Säure als Fliegenstein in den Jahren 1844, 48 und 49, angeblich zur Vertilgung des Ungeziefers, aus der Apotheke entnommen hatte. Das Abläugnen dieser Thatsache, sowie anderer durch eine Menge von Zeugen constatirter Fakta’s mußte den Verdacht fast zur Gewißheit machen, aber den schlagendsten Beweis seiner Schuld lieferte er selbst, als er sich zu rechtfertigen suchte. Irgend eine irrige Schlußfolgerung oder die Ueberzeugung, den auf den Ofen geflossenen Sagoschleim vollständig entfernt zu haben, veranlaßten den Angeklagten, während der Verhandlung darauf anzutragen, der Ofen möge untersucht werden. Man fand die Spuren der Flüssigkeit noch und in diesen, bei chemischer Expertise, eine bedeutende Menge Arsenik.

Bis zum letzten Augenblicke der Verhandlung, den gravirendsten Zeugenaussagen gegenüber, selbst bei der schrecklichen Anklage des Staatsanwalts, welche dieser in einer 21/2 Stunden langen Rede begründete, zeigte der Angeklagte die vollständigste Fassung und Ruhe; nur bei der mehrmaligen Erwähnung seiner Kinder brach er in Thränen aus; und als der erste Vertheidiger sich darauf beschränkte, Möglichkeiten für die Unschuld des Angeklagten aufzusuchen, als er sagte, er wolle das Verbrechen nicht bemänteln und wage nicht, das Nichtschuldig von den Geschwornen zu fordern, da drückten seine Züge Angst und Spannung aus. Nachdem auch der zweite Vertheidiger sich damit begnügte, einen zu harten Ausdruck in der Replik des Staatsanwalts zurückzuweisen, trat der Angeklagte selbst auf, um zu seiner Vertheidigung zu sprechen. Er schilderte die Vorzüge seiner zweiten Frau, sein Glück auch während dieser Ehe, seine günstigen äußeren Verhältnisse und fragte, was ihn denn bewogen haben könne, dies Glück selbst zu vernichten. Er erhob endlich die Hand zum Schwur, daß er unschuldig sei und sprach eine indirekte Anklage gegen seinen Schwiegervater aus. Dann wieder auf seine Kinder zurückkommend, konnte er anscheinend vor innerer Bewegung nicht weiter sprechen. Als er einige Augenblicke darauf nach seinem Zimmer abgeführt wurde, fragte er mit der alten Selbstgefälligkeit und Eitelkeit die Aufwärterin, ob sie seine Rede gehört habe, und als sie es verneinte, fügte er hinzu: Da haben Sie viel verloren!

Vier Stunden beriethen die Geschwornen und sprachen dann das Schuldig. Der Staatsanwalt beantragte die Todesstrafe. – Der erste Vertheidiger bat die Richter, zu bedenken, daß in wenigen Jahrzehnten Philosophen und Staatsmänner darüber einig sein würden, daß der Arm des Richters sich nicht mit dem Schwerte des Nachrichters bewaffnen dürfe. Das Urtheil lautete: Tod durch Enthauptung. – Die erschütternden Worte, welche der Präsident an den Verurtheilten richtete, machten auf diesen ebensowenig einen sichtbaren Eindruck, als das Urtheil – mit ebenso aufrechter Haltung und festem Schritte, als an den Tagen vorher, verließ er den Gerichtssaal. Er wird bis zum letzten Augenblicke seine Unschuld betheuern. –

Dem Gedanken, daß die Verstorbene einen Selbstmord begangen, kann man nicht Raum geben. Sie war religiös und lebenslustig, äußerte während ihrer Krankheit oft die Hoffnung auf Besserung und machte Pläne für die Zukunft. Auch ist durch die chemische und ärztliche Untersuchung bewiesen, daß das Gift ihr in zwei bis drei Gaben beigebracht ist, wer sich aber selbst vergiftet, nimmt es gewiß auf einmal. Die langsame Vergiftung weist zugleich die Vermuthung eines unglücklichen Zufalls und den Verdacht auf andere Personen zurück, denn Niemand als der Angeklagte hatte dazu Gelegenheit, Niemand hatte aber auch das geringste Interesse an ihrem Tode als er. – Welche waren aber seine Interessen, welche Beweggründe trieben ihn zu der entsetzlichen That? War er der ungeliebten, unschönen Frau überdrüßig und schämte er sich ihrer in seiner Eitelkeit, so konnte er sich scheiden lassen; aber er hätte dann ihre Mitgift, 200 Thaler und einige Mobilien zurückgeben müssen und das war er vielleicht nicht im Stande. „Ich brauche einen Haufen Geld und werde die Sachen meiner Frau verauktioniren lassen,“ hatte er am Tage nach ihrem Tode gesagt, und früher: „meine dritte Frau soll ein blühendes hübsches Mädchen sein.“ In diesen beiden Aeußerungen liegt vielleicht der Schlüssel zu dem grauenvollen Räthsel.




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Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_354.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)