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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Stadt Hof im Voigtlande gewesen (und deshalb seine Entrüstung über das was mir Aehnliches widerfahren), – hatte längst schon einer gewissen Rundung in Antlitz und Körper Platz gemacht, die mehr einen Braumeister als einen Dichter, ja wohl, wegen der schlichten und bequemen Kleidung, einen Landwirth aus dem südlichen Deutschland angedeutet hätte. Jedoch was bei näherer Betrachtung dieser Gestalt unverkennbar den Stempel des Genius und des hochherzigen Menschenfreundes aufdrückte, das waren die überaus hohe und gewölbte Stirn, die feingebogene Nase und besonders ein überaus feiner und kleiner Mund, um welchen ein so gutmüthiges und wohlwollendes Zauberlächeln spielte, daß namentlich Frauen oft auf den ersten Anblick unwiderstehlich wie von einem Magnet zu ihm hingerissen wurden. Von einer solchen magischen Wirkung dieses Lächelns war ich auch damals in Dresden Zeuge.

Eines Tages nämlich ward er von uns zu einer, einen Weinberg zwischen Dresden und Meißen bewohnenden Familie geführt, deren Hauptzierde zwei geistreiche und anmuthige Schwestern waren. So wie er nur in das Zimmer getreten, mit jener unendlich edlen Kopfverbeugung, die er sich den Großen gegenüber angeeignet und bei welcher er keinen Zoll seines Rückgrates krümmte, so daß der in all seiner Würde hoch aufgerichtet vor ihnen stehen blieb, – in demselben Augenblick flog die jüngere beider Schwestern mit ihren Lippen an die seinigen. Es sei ihr unmöglich gewesen, so entschuldigte sie nachher die etwas zu rasch erschienene Bewegung, einen solchen Himmel überschwänglicher Menschenliebe in einem Antlitz zu sehen, ohne sich gewissermaßen in ihn hineinzustürzen.

Und auch auf die heftigsten und rohesten Menschen übte, wie wir schon in Dresden mehrfach erfuhren, seine bloße Gegenwart oft eine wahrhaft magnetische Wirkung. Ich gedenke unter Anderm eines Briefes meiner Mutter an die Frau Jean Pauls über die Vorkommenheiten des damaligen Besuches in Dresden. Er war in einer Art von Garten-Pavillon, in den Anlagen der Neustadt gelegen, untergebracht worden, und dessen Eigenthümer wegen der jähzornigen Behandlung seiner Frau in der ganzen Nachbarschaft berüchtigt. Diese arme Frau hatte goldene Tage, so lange sie Jean Paul zum Miethsmanne hatte. „Ein wildes Thier von Ehemann,“ schrieb da unter andern ähnlichen Zügen meine Mutter, „ist sanft geworden, wie ein Lamm, seit er in seinem Hause wohnt.“ – In der That gab er grade in dieser Wohnung einen sehr merkwürdigen Beweis von der in ihm wohnenden magnetischen Kraft, die er durch vielfältige Beschäftigung mit dem animalischen Magnetismus in sich entdeckt. Einige wenige Striche von seiner Hand linderten augenblicklich meiner jüngsten, mitten in einer Nacht zu ihm geführten Schwester ein Uebel, das ihr bis dahin entsetzliche Schmerzen verursacht hatte.

Auch sonst war der damalige Aufenthalt Jean Pauls sehr reich an sein eigentlichstes Wesen bezeichnenden Vorfällen; denn so reich und verschwenderisch in der Austheilung von Liebe er war, wo er solche und edle Gesinnung fand, so streng, ja so grausam zeigte er den innerlich erzürnten Menschen, wo er Unlauteres und Unedles zu bemerken glaubte. So haßte er damals besonders Adolf Müllner, weniger wegen der ihm verderblich erscheinenden Tendenz seiner Schicksalstragödien als wegen der von ihm in seiner Mitternachtszeitung damals wieder an die Tagesordnung gebrachten bissigen und boshaften literarischen Streitigkeiten. Müllner, während Jean Pauls Anwesenheit nach Dresden kommend, war zu ihm geeilt in seidenen Strümpfen, Schuhen und kurzen Beinkleidern, und erhielt eine sehr trockne, für immer ihn abweisende Antwort auf seine Anmeldung. Noch schlimmer erging es Mahlmann, der ausdrücklich nach Dresden geeilt war, um seinen Schwager zu begrüßen, wiewohl er dessen Anwesenheit bei Familientafeln und Parthien dulden mußte.

Die in den Fächern seiner Bücherregale aufgehäuften Papierstöße strotzten von Beweisen des Eindrucks, welchen seine in seinen Schriften überall so klar hervortretende Persönlichkeit auf seine Leser bis in die entferntesten Gegenden von Deutschland hervorgebracht. Kaum ist es je vor ihm und nach ihm wieder da gewesen, daß eine so große Anzahl von Lesern und Leserinnen in Herzensangelegenheiten, bei Familienkummer und Zwisten, bei Zweifeln über eine zu wählende Laufbahn oder über das wirkliche Vorhandensein eines Talentes und aus ähnlichen rein persönlichen Beweggründen sich an einen Schriftsteller gewendet, mit jenem unbedingten Vertrauen, welches die katholische Lehre den Gemeinden zu deren Beichtvater vorschreibt. Und stets unterzog er sich der Aufgabe, ein persöhnlicher Rathgeber seiner Leser zu sein, mit einer, durch keine Zudringlichkeit erschöpften Geduld; überall griff er tröstend, beruhigend, mildernd ein, oder mit zürnender Strenge Immoralitäten oder Ungerechtigkeiten zurückweisend. – Eines Tages war ich zugegen, als ein Mann aus der Umgegend herbeikam, um ihn von einer Beschwerde zu unterhalten, die er gegen das Landgericht hatte, und ihm die Eingabe mitzutheilen, die er einzureichen sich vorgenommen. Die letztere war fast das Werk eines Unsinnigen: so ungeschliffen, so drohend war sie gehalten. Gar Mancher hätte einem solchen Bittsteller die Thüre gewiesen; doch nichts beschreibt die Milde, die Sanftmuth, mit welcher er dem Wüthenden das Zwecklose und Widersinnige des beabsichtigten Schrittes vorhielt. Aus einem Briefe meiner Tante, die mich dabei wohlgefällig beobachtet, ersah ich später, wie mein ganzes Gesicht vor Freude geleuchtet und von bewunderndem Mitgefühl für einen solchen Berather. – Von jungen Dichtern, die sich in wahrer Verzweiflung mit ihrem Erstlingsprodukte und mit der Erzählung einer Jugendgeschichte mit tragischem Ausgange an ihn gewandt und von ihm tröstend aufgerichtet wurden, nenne ich nur Ernst Große, der später Griechenlieder mit Heinrich Stieglitz herausgegeben. Von den Ehepaaren, die ihre Zwistigkeiten vor seinen Richterstuhl brachten und von seinem schiedsrichterlichen Ausspruche die Wiederherstellung ihres häuslichen und Herzensfriedens erwarteten, ist mir besonders eines zweier Gatten in Königsberg in Preußen im Gedächtniß geblieben.

Bei mündlichen Berathungen vermehrte der Ton

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_369.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)