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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


er ihm die Unterhaltung seiner Acequias und Azarbes (zu- und abführende Bewässerungsgräben) ersparen – weil er ihm zugleich seine Wege unfahrbar machen und ihn zum Wegebau zwingen würde. Das ist eine ganz eigene Sache. So weit ich die Vega von Murcia durchfahren und durchwandert bin, nirgends habe ich ein Steinchen von der Größe einer Haselnuß gesehen. Die tischgleiche Ebene ist eine mächtige Schicht bräunlich-grauen aufgeschwemmten (Alluvial-) Bodens, umhegt von den Sierra’s und Montaña’s (niedrigen Bergketten) und hier und da von einem Felskegel durchbrochen, wie eine Wiese von Maulwurfshügeln. Der fast gänzliche Mangel des Regens macht die gänzliche Vernachlässigung des Wegebaues – ausgenommen den camino real, eine prächtige Landstraße – wenig fühlbar, obgleich man im Staube aus einem Loche in das andere gehoben wird; wenn es einmal tüchtig regnet, so ist aber auch nicht fortzukommen.

Meine Besuche der Vega haben mir durchaus den Eindruck gemacht (schon auf meiner Fahrt von Callosa bis hierher, aber mehr noch aus meinen Ausflügen), als lebe hier das Geschlecht der Menschen in einem früheren Jahrtausend. Alles ist einfach und schlicht, ja sogar das große Murcia leidet an hunderterlei Bedürfnissen deutscher und französischer Lebensgewohnheit bitteren Mangel. Wohl zehnmal schon habe ich im gastlichen Hause meines Freundes, der zu den reichsten Murcianern zählt, von uns unentbehrlichen und nicht unnothwendigen Dingen die Erwiederung gehört: das können Sie in Murcia nicht bekommen. Der Pflug, der dem Bauer sein weiches Feld umkehrt, ist noch ganz das alte römische Aratrum. Man bat hier keine Ahnung davon, daß in England und Deutschland die zweckmäßigste Einrichtung der Ackergeräthe in hunderterlei Weise eine förmliche Wissenschaft ist. So groß Murcia ist, es zählt mit der natürlich dünn bevölkerten Vega über 50,000 Einwohner, so ist es doch nur eine Ackerbau und mit den Erzeugnissen desselben Handel treibende Stadt.

Die Stadt liegt am linken Ufer des Segura; mit ihr ist durch eine steinerne Brücke eine kleine Vorstadt, Barrio de San Benito, verbunden. Wie gewöhnlich in großen katholischen Städten wimmelt Murcia von Kirchen und Geistlichen. Auf die Beschreibung der ersteren lasse ich mich aber nicht ein, denn sie gehören nicht zu Natur und Menschen, die allein den Gegenstand meiner Mittheilungen ausmachen.

Das französische Element, welches in Barcelona so sehr hervorstach, ist hier, ausgenommen die Tracht der Männer in der Stadt, zumeist verschwunden. In einer Gesellschaft vornehmer Murcianer, in welcher ich eine Landpartie nach einer Posada der malerischen Montaña del Puerto de Cartagena machte, konnte ich mich mit meinem Freunde französisch unterhalten, ohne unberufene Zuhörer zu haben; nur Einer verstand etwas von der Weltsprache!

Die Frauen tragen durchgängig die Mantilla. Ich habe nur zwei französische Damenhüte gesehen, denn diese nationelle Bezeichnung muß man wohl denselben geben. Aber höchst abenteuerlich ist die Tracht der Bewohner der Huerta. Wenn man eine Gesellschaft derselben nach Deutschland versehen würde, so würden alle Kinder jubeln, daß wieder einmal – Seiltänzer bei ihnen eingezogen seien. Ihre Kleidung ist so leicht und luftig, wie nur möglich. Auf dem Felde tragen sie über dem weißen Hemd blos eine buntfarbige Weste von deutschem Schnitt, mit großen kugelförmigen, silbernen Knöpfen an kleinen Kettchen, eine rothe Schärpe und schneeweiße Leinwandhosen. Letztere reichen bis an das Knie und sind so weit, daß es aussieht, als haben die Leute das Hemd zwischen den Schenkeln mit einigen Stichen zusammengeheftet. Unter dem nackten Knie tragen sie bis an die Knöchel reichende Strümpfe ohne Socken, und die Füße sind mit echt antiken Sandalen, Alpargata, aus Hanfgeflecht bekleidet. Außer der Arbeit tragen die Landleute eine deutsche, meist dunkelblaue Tuchjacke und die malerische Manta. Als Kopfbedeckung eine kegelförmige, schwarzsammtne Mütze, die ringsherum etwa 4 Finger breit in die Höhe gekrämpt ist. Die Frauen und Mädchen, meist von untersetzter Gestalt, während die Männer kräftige, hohe Gestalten sind, lieben bunte Farben und tragen das Haar, namentlich am Domingo, Sonntag, in breiten Flechten auf dem Hinterkopfe mit silbernen Nadeln festgesteckt. Von den berühmten spanischen Tänzen habe ich nur erst einen, die Malagueña[1], tanzen sehen. Mehr als der ohne Grazie ausgeführte Tanz unterhielt mich das meisterhafte Castagnettenspiel – hier Castañuela – und der schreckliche Gesang, mit welchem eine alte Frau zu einer Guitarre die Tanzenden begleitete. Dennoch beneidete ich die Leute um den Tanz, gegenüber unserem deutschen Rasen auf den „Tanzböden,“ den Gräbern der Sittlichkeit und der Gesundheit.

Diese Huertabewohner sind unermüdet beschäftigt, nach fest bestimmter Reihenfolge, ihre Gärten, denn das sind sie mehr als Felder, zu bewässern und zu bearbeiten. Weizen und Bohnen (nämlich die sog. Sau- oder Pferdebohne, Vicia Faba) herrschen vor. In die Weizenstoppel säen sie noch Mais – der bei uns als Hauptfrucht nicht reif wird. Auf den Getreidebeeten stehen außerdem noch zahllose Maulbeerbäume, denn die Seidenzucht Murcia’s ist sehr bedeutend. Ueberall mischen sich die graurindigen knorrigen Feigenbäume dazwischen. Diese reiche Belaubung giebt der Huerta von einem hohen Punkte der Stadt aus gesehen ein ungemein heiteres Ansehen. Zwischen den genannten Bäumen ragen hier und da, namentlich um die ansehnlichen Landgüter der reichen Murcianer, die schlanken Palmen und Cypressen hoch empor. Und dennoch schleicht ein finsterer Dämon durch dieses Eden – das Wechselfieber, welches die zahllosen Gräben aushauchen.

In diesem Augenblicke hat die Huerta für den Ununterrichteten einen sonderbar traurigen Anstrich: fast vor jedem Hause sieht man – eine weiß behangene Todtenbahre stehen. Es sieht aber blos so aus; es sind die Gestelle für die eben auskriechenden Seidenräupchen.

In meinem nächsten Briefe, den Sie wahrscheinlich aus Granada erhalten werden, will ich Ihnen Einiges über spanisches Leben mittheilen.


  1. Der Buchstabe ñ, den der Spanier, deutsch ausgesprochen, énnie nennt, hat man nni auszusprechen: Malaguénnia. Das i ist sehr kurz und klingt etwas wie unser j.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_372.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)