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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Tanz. Wer sich höher versteigen will, besucht ein Theater in der Stadt und in seltenen Fällen sogar eine Oper. – Auch an Vorlesungen und andern Versammlungen zur Unterhaltung und Belehrung fehlt es allabendlich nicht. Das Ausgesuchteste aller Vergnügungen bleibt aber stets die italienische Oper in London, die ein Ensemble bietet, das seines Gleichen nicht kennt.

Auch im Jahre 1851 lag hier das Ziel alles weltlichen Begehrens. Lumley, der Director, hatte sich diesmal selbst überboten und einen Zusammenfluß von Talenten veranstaltet, die Alles übertrafen. Da war die Sonntag mit ihren Nachtigallentönen, da war Grisi, da war die kleine kugelrunde Alboni mit dem Glockenspiele ihrer reichen Altstimme, und würdig ihr zur Seite stand Ida Bertrand; da waren noch ein halbes Dutzend bedeutender Talente, um jede Nebenrolle zur Vollendung zu bringen und endlich erschien zum Schlusse die Tochter eines kleinen deutschen Landpredigers, Fräulein Cruvelli, – um sich die gesammte Künstlerwelt so wie das Publikum zu Füßen zu legen. Eine solche Norma hatte noch kein Theater gesehen, eine so umfangreiche Stimme, mit einer so reinen Höhe und Tiefe hatte nur allenfalls eine Catalani besessen; und dazu eine schöne Gestalt und 21 Jahre! – Dies ist die höchste Vollendung! rief Emanuel Garcia, dessen Urtheil in der musikalischen Welt für entscheidend gilt.

Der Vorhang war eben aufgezogen, die Cruvelli hatte die Scene betreten und athemlos horchte das zum Ersticken gefüllte Haus. Kein Laut regte sich, kein Hüsteln war noch vernehmbar.

Da wurde in einer kleinen Loge, die schon über der Bühne lag, leise angepocht, und ein Herr, der dieselbe bis dahin allein innegehabt, erhob sich, um der unwillkommenen Störung nachzuforschen.

„Ist dies die Theaterloge?“ fragte eine weibliche Stimme, und eine schlanke, jugendliche Gestalt in eleganter Morgentoilette trat ihm vor der jetzt geöffneten Thüre entgegen.

„Zu dienen, Madame!“ versetzte der so Angeredete und verneigte sich überrascht vor dem schönen Gaste.

„Dann habe ich mein Ziel erreicht,“ versetzte die holde Fremde und trat ein, um von einem Platze Besitz zu nehmen. –

Der Herr schloß die Thüre und folgte ihr dann in den Vordergrund der engen Loge, die nur zwei Stühle faßte. „Vielleicht geben Sie meinem Sitze den Vorzug, Madame?“ fragte er höflich, indem er mit artiger Handbewegung andeutete, daß ihr die Wahl zustehe.

„Ich bin vollkommen zufrieden mit meinem Platze,“ antwortete sie mit einer verbindlichen Verneigung des schönen Hauptes und nahm ihre Lorgnette hervor, um auf die Bühne zu schauen. Julius Piat setzte sich und versuchte ihrem Beispiele zu folgen, aber es wollte ihm kaum gelingen. Jede kleinste Bewegung seines vis-à-vis, ein Knistern des Kleides, eine Bewegung der Hand zog sein Auge von der Bühne, und er gewahrte dabei zugleich, daß sein Blick nur mechanisch dort geweilt und seine Gedanken sich neben seiner unbekannten Nachbarin verloren. Er wußte bereits, daß ihr Kleid himmelblau und ihr Haar lichtblond sei; er wußte, daß aus dem weiten hängenden Spitzenärmel eine kleine Hand in enganschließendem weißen Glacéhandschuh hervorsah; er wußte, daß jedes Lächeln eine Reihe Perlenzähne und die holdesten Grübchen hervorrief, in denen der kleine Gott selber zu wohnen schien. Warum also sich nicht freuen an dem Schönen, das ihm so nahe war? Nur fürchtete er, sie durch den dreist auf sie gerichteten Blick zu kränken, sonst wahrlich hätte er der Oper heute auch keinen Schein von Aufmerksamkeit mehr geschenkt.

Jetzt fiel der Vorhang, der erste Act war vorüber, und die Pause mochte Jeder nach Wohlgefallen ausfüllen. Der junge Mann sprang auf, lehnte sich über die Brüstung, musterte das Theater und maß jetzt mit bedächtigen Schritten einige Male die kleine Loge. Die junge Dame legte ihr Opernglas bei Seite, fächelte sich Kühlung und las dann den Theaterzettel. „Erlauben Sie, daß ich mich Ihres Textbuches einen Augenblick bediene, Herr Piat?“ redete sie den mit verschränkten Armen auf seiner Stuhllehne Ruhenden an.

Herr Piat? – So wußte sie seinen Namen? – Er starrte sie in sprachloser Verwunderung an, und einige Minuten vergingen, ehe er seiner wieder so weit bewußt wurde, um die erwartete Antwort zu ertheilen. – „Ja so! Sie wünschten das Textbuch,“ sagte er verlegen; „es steht Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.“ Er lehnte sich über seinen Stuhl um es ihr zu reichen, war aber so ungeschickt, es fallen zu lassen. „Verzeihen Sie!“ stammelte er und bemühte sich, das kleine Heft vom Boden aufzuheben, „die Nennung meines Namens hat mich verwirrt gemacht. Ich begreife nicht, woher Sie ihn kennen.“

„Das ist ungalant,“ versetzte sie mit schelmischem Lächeln, während sie in dem ihr gebotenen Büchlein blätterte; „wir haben es gerne, wenn man uns ein klein bischen Allwissenheit zutraut.“ –

„Ich glaubte, Allmacht sei das Attribut, das schönen Frauen zukäme; und mit Recht. Können sie ja doch mit einem Blick beseligen und vernichten, – einen Himmel schaffen, oder den Unglücklichen, der nicht zu gefallen verstand, in die siebente Hölle verbannen. – Aber Allwissenheit? – Sie verzeihen, Gnädige! wenn ich Ihnen hier kein Vorrecht vor uns zugestehe.“

Sie lächelte und blickte schelmisch zu ihm auf. „Soll ich Ihnen sagen, warum Sie mir diese Eigenschaft absprechen?“

„Gern! und ich werde sehen, ob sich Ihre Allwissenheit auch dabei erweist.“

„Sie sind neugierig wie unsere Urgroßmutter. Es liegt Ihnen nur daran zu wissen, wie und wo ich Ihren Namen erfahren. Nicht so?“

„Ich kann Ihnen wirklich nicht widersprechen,“ sagte er lachend. „Ich begreife durchaus nicht, wie ich Ihnen bekannt sein konnte, ohne daß ich Sie je gesehen.“

„Das ist in der That höchst wunderbar, besonders da auch ich Sie nie erblickt, Sie mir also auch völlig unbekannt waren.“

„Aber mein Name? Sie nannten mich doch; – oder hätte mir das etwa geträumt?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_374.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2018)