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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 38. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Bilder und Skizzen aus dem Erzgebirge.

1.0 Ein Harfenmädchen.
(Schluß.)

„Am folgenden Abend war der Fremde wirklich im Concert, hielt sich aber fern von uns, doch verwandte er kein Auge von mir. Dabei sah er so schwermüthig aus, daß mir noch bang’ um ihn war. Auch die folgenden Tage kam er, blieb aber immer in gleicher Entfernung. Nach und nach wurde sein Antlitz belebter, heiterer. An das Seegestade ging ich eine Zeit lang nicht, – ich fürchtete ihm zu begegnen und doch – ich gesteh’ es Dir – hätt’ ich noch gern einmal mit ihm geredet. Endlich schrieb er mir ein Briefchen, worin er mir in rührenden Worten dankte, daß ich ihn vor einer großen Schuld bewahrt hätte; er sei dadurch für Zeit und Ewigkeit mein Schuldner geworden. Weiter erzählte er mir, daß keine andere Ursache, als Ueberdruß an den Menschen, finstere Weltverachtung, ihn zu dem verzweifelten Schritte getrieben, dessen Ausführung ich verhinderte. Er habe auf Erden Nichts als Lug und Trug, schnöde Selbstsucht und Ungerechtigkeit finden können, und darum beschlossen, seinem Leben ein Ende zu machen, um kein Genosse zu sein des allgemeinen Elends. – Mutterle! die Menschen draußen mögen schon recht schlimm sein, weil ein so guter Mensch, wie Richard Saldern – denn so schrieb er sich – zu einer solchen Weltansicht gelangen konnte! Nun, ich werde Dir gleich ein Stücklein von der großen Welt erzählen. Unter den täglichen Besuchern befand sich, nach jenem Vorfall auf der Klippe, ein junger reicher Graf. Dieser machte sich uns Mädchen gleich den ersten Abend durch sein ewiges Lorgnettenspiel gegen uns auffallend. Wir kümmerten uns natürlich weiter nicht um ihn, erfuhren aber durch den Kellner seinen Namen: Graf K. Nun denke Dir! Am andern Morgen erschien früh ein Bedienter mit einem Briefchen an mich von diesem Grafen K. Ich war ganz erschrocken und gab, da ich nicht gleich Worte hatte, das Billet, das wie lauter Moschus und Lavendel roch, uneröffnet der Schmidt-Lene, die es ohne allem Umschweif dem Bedienten mit den Worten zurückgab, daß sie und ihre Begleiterinnen keine Briefe von unbekannten Herren annähmen. „Aber von bekannten?“ fragte der Bediente naseweis. „Je

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_405.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)