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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

eines italienischen Bettlers. Die ganze Gattung möge man der besseren Uebersicht wegen in zwei Klassen theilen: die industriellen oder plastischen Künstler und die reisenden Musikanten oder Tonkünstler. Die erstere Klasse ist die bei weitem anständigere, sie treibt wenigstens dem Anscheine nach ein ehrliches Gewerbe und geht im Allgemeinen auch viel besser gekleidet. Ihr Gewerbe besteht in der Anfertigung und dem Verkaufe von Gypsfiguren aller Zeiten und aller Nationen. Da steht häufig auf demselben Bret Cäsar’s Büste neben Brutus, Karl I. neben Cromwell, Napoleon an der Seite von Wellington und in der Mitte zwischen ihnen befindet sich Homer, Shakspeare und Milton, umgeben von langhaarigen Pudeln, bunten Papageien und anderen zoologischen Raritäten. Die zweite Klasse ist bei weitem die zahlreichere und umfaßt alle Arten von schrecklichen Instrumenten, von dem großen Pauken- und Trompeten-Leierkasten auf einem vierrädrigen Wagen hinunter bis zur schrillenden Rohrpfeife des schalkhaften Pan. Und unter den Künstlern selbst giebt es in der That wunderbare Erscheinungen.

Mir sind in meinem Leben zuweilen arme Frauen in Kleidungsstücken vorgekommen, die zu dem Anzuge eines Mannes gehören; aber Männer in zerrissene Damenmäntel und schmutzige Damenumschlagetücher gehüllt, findet man nur unter den italienischen Bettlern. Gewöhnlich ist der Anzug ein Index von dem Wege, welchen der Tonkünstler gemacht hat. Da ist der schwarze, spitzig zulaufende italienische Filzhut mit breitem Bande; die weiten, häufig bunt karrirten pariser Pantalons und eine große dunkelbraune Jacke von englischem Leder. An Stelle des Hutes befindet sich nicht selten eine schäbige deutsche Pelzmütze, welche weit über die Ohren gezogen ist, und an Stelle der englischen Jacke ein alter Rock, der ursprünglich einen sechsfüßigen Eigenthümer hatte. Das Schuhzeug, wenn überhaupt solches vorhanden sein sollte, ist natürlich stets im allerschlechtesten Zustande. Der Unterschied in dem Anzuge eines irländischen und italienischen Bettlers ist auffallend. Der des ersteren ist gewöhnlich zerlumpt und zerrissen, aber niemals durch einen Flicken verunglimpft; der des letzteren dagegen besteht gewöhnlich nur aus Flicken und die Combination derselben ist häufig äußerst possirlich. Da befinden sich weiße, rothe, grüne und gelbe Flicken von den verschiedensten Stoffen dicht neben- und sogar übereinander auf dem blauen Grunde des Rockes, und dunkle Lappen decken nicht selten die defecten Stellen der hellfarbigen Hosen. Das Ganze gleicht einer alten Musterkarte eines Tuchhändlers oder Kleidermachers, welche Jahre lang im Schmutze gelegen hat. Ein anderer merklicher Unterschied zwischen den beiden Nationalitäten zeigt sich in der Art und Weise des Bettelns. Der Irländer streckt mit einer ungeheuren Seelenruhe den Vorübergehenden seine Schachtel mit Schwefelhölzchen entgegen, indem er einige unverständliche Worte murmelt; der Italiener hingegen ist niemals ohne ein musikalisches Instrument der einen oder anderen Art, zu dessen schrecklichen Tönen er singt und hüpft und wodurch er die ungebildete Klasse amüsirt und die gebildetere zur Verzweiflung bringt, aber in beiden Fällen gewöhnlich seinen Zweck erreicht, d. h. ein Almosen empfängt.

Die allerunglücklichsten Wesen dieser Klasse sind die sogenannten „Italien boys“, italienischen Knaben. Diese unglücklichen Geschöpfe werden in ihrer Heimath von Speculanten, die einen Bettelzug nach England unternehmen wollen, für eine geringe Summe gemiethet; werden dann für den Kreuzzug mit den nöthigen Instrumenten ausgerüstet und sind genöthigt, ihren ganzen Erwerb an ihre sogenannten Brodherren abzuliefern, die gewöhnlich ganz ausgezeichnete Geschäfte machen. So weiß ich z. B. aus zuverlässiger Quelle, daß drei dieser Sclavenhalter mit etwa 20 Knaben während der großen Ausstellung über 4000 Pf. Sterling (etwa 28000 Thaler preußisch) in London zusammengebettelt haben. Um soviel als irgend möglich aus dem Geschäfte zu machen, miethen sich die sog. Herren in den allerschlechtesten Stadttheilen gewöhnlich in White Castel, ein oder zwei elende Zimmer, in welche einige Bündel Stroh geworfen werden und die den unglücklichen Geschöpfen als Nachtlager und während der Sonntage zum Anfenthalte dienen. Des Morgens um 6 Uhr giebt es eine dünne Mehl- oder Grützsuppe und ein Stück Brod, dann werden sie nach allen Himmelsgegenden während des ganzen Tages ausgesandt und wenn sie des Abends spät oft erst nach 10 und 11 Uhr müde und halb verhungert in ihre Höhle zurückkehren und bringen nicht so viel Geld heim, als der unmenschliche Herr erwartete, dann giebt es statt des elenden Abendessens Schläge und eine brutale Mißhandlung.

Das Bild, welches ich hier von diesen Unglücklichen entworfen habe, ist nicht etwa maßlos übertrieben oder das Gebilde der Phantasie, sondern theils auf Thatsachen gestützt, welche in den hiesigen Polizeigerichtshöfen constatirt sind, theils auf eigner Anschauung basirt. Das Loos der amerikanischen Sclaven in den Baumwollplantagen ist im Vergleiche zu dem Leben dieser italienischen Knaben wirklich beneidenswerth.

Ich fand z. B. an einem ungewöhnlich kalten Abende des vergangenen Winters – es mochte wohl 11 Uhr sein – unter einem dunklen Durchgange in der City einen kleinen, wie ich später erfuhr, 13 Jahre alten, italienischen Knaben bitterlich weinen. Ich fragte ihn nach der Ursache und er erzählte mir, daß ihm sein Herr diesen Morgen drohend anempfohlen, daß er wenigstens 3 Schillinge nach Hause zu bringen habe, er habe indessen nur Etwas über 2 Schillinge eingenommen und so fürchte er sich nach Hause zu gehen, denn sein Rücken sei noch nicht geheilt von den Streichen, die er unter ähnlichen Umständen einige Tage vorher erhalten hätte. Als ich nach seiner Wohnung forschte, vernahm ich zu meiner größten Freude, daß sich dieselbe in White Chapel in einem Hinterhause befand, dessen Eigenthümer – ein Deutscher, ich sehr wohl kannte. Nach vielem Zureden gelang es mir endlich, den kleinen Musikanten zu bewegen, mir in seine Wohnung zu folgen. Der Hauswirth, dem ich die Erzählung des Knaben mittheilte, hegte in Bezug auf die Wahrheit derselben auch nicht den geringsten Zweifel und er stimmte endlich mit mir dann überein, den unmenschlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)