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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Tyrannen womöglich auf der That zu ertappen. Wir schickten deshalb den vor Furcht und Erschöpfung zitternden Knaben unter dem Versprechen, daß wir ihm sofort zu Hülfe kommen würden, im Falle er gemißhandelt werden sollte, in seine Wohnung, welche sich in einem Seitenflügel auf dem Hofe befand. Kaum waren einige Minuten verflossen, so hörten wir schon die klägliche Stimme des unglücklichen Knaben, welcher die Jungfrau und alle Heiligen um Erbarmen anflehte.

In einem Nu waren wir beide im Zimmer, wenn man ohne der Sprache Zwang anzuthun, ein dunkles Loch, das früher als Waarenlager gedient hatte, ohne Fenster, ohne Kamin und – wenn ich nicht irre, auch ohne Fußboden – mit diesem Namen bezeichnen darf. Dieses Gemach wurde durch ein schlechtes Talglicht, welches in dem Halse einer zerbrochenen Flasche auf einem alten Tische in der einen Ecke brannte, matt erleuchtet. An der einen Seite standen drei Leierkasten, einige Tambourins, Trommeln und andere musikalische Instrumente dieser Art, an der andern lagen auf einigen Bündeln Stroh 6 oder 7 Figuren, welche theilweise mit zerlumpten wollenen Decken zugedeckt waren, und am Fuße dieses Lagers lag auf dem Boden der jammernde Knabe und über ihm stand schwörend und fluchend ein menschliches Ungeheuer von etwa 40 Jahren, klein und von ächt italienischem Ansehen, das mit einem breiten ledernen Riemen, der gewöhnlich als Leibgurt diente, den Unglücklichen – als der technische Ausdruck ist – „tüchtig bearbeitete.“ Wir thaten, was ein jeder Mann an unserer Stelle und vielleicht in besserem Maße gethan haben würde. Der Unmensch war bald ein widerlich winzelnder und jammernder Sclave, als er den Riemen auf seinem eigenen Rücken fühlte, und am folgenden Tage nöthigten wir ihn durch Vermittelung des Comitées einer Gesellschaft, welche sich hier zum Schutze dieser unglücklichen italienischen Knaben gebildet hat, nicht nur unserem Schützlinge seinen verdienten Lohn zu geben und ihn mit dem nöthigen Reisegelde in seine Heimath zu versehen, sondern dasselbe auch allen anderen Knaben zu gewähren, welche nicht freiwillig bei ihm verharren wollten. Drei andere Knaben, ebenso unglücklich und hülflos, machten ebenfalls von der dargebotenen Gelegenheit Gebrauch; die anderen noch Zurückbleibenden waren theils Verwandte des Unternehmers, theils schon mehr erwachsen und hatten es daher wohl im Allgemeinen etwas besser. Der Tyrann erklärte sich zu allen Opfern bereit und hatte nur Angst, daß er den Händen des englischen Polizeirichters überliefert werden würde. Er war aus Genua, bereits 3 Jahre in England und hatte nach eigenem Eingeständnisse während dieser Zeit mehr als 400 Pfd. Sterl. gespart. Dies ist ein Beispiel von Hunderten, wie fast täglich in London vorkommen.

Die Ausrüstung dieser Knaben besteht gewöhnlich aus einem etwa vierfußlangen Bret und auf dessen Oberfläche befindet sich an dem einen Ende ein etwa 1 Fuß langer aufrechtstehender Stock, an dessen oberem Ende ein Bindfaden mit zwei komisch gekleideten Puppen verschiedenen Geschlechts befestigt ist. Sobald der junge Künstler nun einen passenden Ort für seine dramatische Aufführung gefunden hat, legt er das Bret auf das Pflaster, befestigt den Bindfaden um das rechte Bein und nach den Tönen einer zerbrochenen Trommel und einer alten blechernen Spitzpfeife läßt er nun die beiden Puppen tanzen und allerlei unästhetische Bewegungen machen. Die italienischen Bettler in London sind mit einem Worte diejenigen, welche das Elend, die Demoralisation und Entartung am allermeisten zur Schau tragen. Wohl ist Italien das Land, wo die Citronen blühen und die Orangen reifen, doch nur um die Bowlen anderer Nationen zu würzen und fremde Gaumen zu kühlen.




Spanische Reisebriefe.

Von
E. A. Roßmäßler.
VIII.[WS 1]
Ein spanisches Hôtel.
Ocaña.  

Gestern war ich frühzeitig aus dem ärmlichen aber von wissenschaftlichem Zauber umgebenen Flecken Porullena abgereist, um heute bei früher Tageszeit noch nach Almeria zu kommen. Der Weg führt lange Zeit in einem blos für den Forscher auf dem Gebiete der Erdgeschichte unterhaltenden und lehrreichen Terrain. Meine Tartana bewegte sich langsam zwischen großen und kleinen Rollsteinen des Fluthbettes eines vorweltlichen Diluvialstromes, welcher hier wie bei Guadix und Porullena ungeheure Schuttmassen zurückgelassen hatte. Zu meiner Rechten dehnte sich die Riesenkette der Sierra Nevada aus, zwischen deren einzelnen Gipfeln Regen- und Schneewetter unaufhörlich ihr Spiel trieben, ohne dabei zu mir in’s Thal herabzukommen. Es that meinem Auge wohl, auf den mittleren Höhen der prächtigen, bis 12,000 Fuß ansteigenden Sierra Bewaldung zu erblicken, woran im Allgemeinen das südöstliche Spanien so bittern Mangel leidet. Die linke Seite meiner Stromgasse bildete die malerische, vielgipfelige Sierra de Baza.

Die Pflanzenwelt zeigte sich auf diesem schuttigen, mageren Boden äußerst dürftig. Kümmerliche Weizenfelder und dann und wann am Rande des ehemaligen Stromes stehende Tamariskengebüsche, vergesellschaftet

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „VII.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_413.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)