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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

beantwortet von denen in Zella und Schmalkalden. Wir blicken tief in das Coburger Land hinein, dessen rege Gewerbsthätigkeit wir nur spärlich auf der Ausstellung vertreten sahen, und weiter nach Sonnenberg und Gräfenthal, von deren Kinder beglückenden Spielwaaren und Glasbläsereien gar Nichts auf dem Friedenstein zu sehen war. Deswegen schlagen wir auch das Fenster zu, nachdem wir noch einen Blick auf das reizende, baumumkränzte Arnstadt, auf das an Gewerbsblüthen reiche Remda, auf Saalfeld geworfen haben. Nun öffnen wir den Flügel nach Osten nach dem bewehrten Erfurt, wo trotzdem die friedliche Gewerbthätigkeit manche herrliche Frucht treibt neben der allervortrefflichsten Brunnenkresse. Mit Wehmuth aber gedenken wir des Aufhörens eines bedeutenden Fabrikgeschäfts dort, das der ganzen Gegend zur Ehre und zum Vortheil gereichte. Weimar, Jena, Blankenhain pflegen mit Glück keimende und bereits schon längere Zeit sprossende Gewerbszweige. Die überall beliebten Schals und Jübchen von Apolda waren zu stolz, um sich auf dem Friedenstein zu zeigen. Aber Gera, Altenburg, Schmölln waren stolz, daß sie ihre ausgezeichneten Waaren zeigen konnten. Wer hatte nicht von den Thibets in Gera und Schmölln, von den Altenburger Garnen und sonstigen vorzüglichen Gewerbsartikeln gehört? Noch einen Blick werfen wir, bei Leipzig vorbei, auf Halle, wo neben der Gelehrsamkeit auch in manchen Fächern der Kunstfleiß wohnt. Endlich bleibt das Auge, zurückkehrend, auf Sömmerda ruhen, dort wo die Betriebsamkeit und das Talent eines Mannes die Welt mit seinem Werk, der Zündnadelflinte, erfüllte. Möge sie allen Feinden Deutschlands ein Schrecken sein! Als wir diesen herzlichen Wunsch dachten, fühlten wir einen leisen Schlag auf die Schulter. „Wollen Sie nicht die Güte haben, das Fenster zuzumachen? es zieht den Damen,“ flüsterte eine freundliche Stimme. Noch einen Blick rings umher! Auf der Leipziger Messe sehen wir uns wieder! Das Fenster flog zu.




Blätter und Blüthen.

Das Heimweh. Das Prutz’sche Museum brachte vor Kurzem einen interessanten Artikel von Clemens über jenes eigenthümliche Leiden: das Heimweh, das in unserer materiellen Zeit immer seltener und seltener wird. Es ist ein schöner herzlicher Zug am Menschen, daß er nur da sich recht wohl zu befinden pflegt, wo er geboren ist. Und merkwürdig, je ärmlicher das Land, je einfacher die Sitten, je härter die Entbehrungen, die ihm Natur und Verhältnisse auferlegen, desto inniger und unauflöslicher sind die Bande, welche den Menschen an den vaterländischen Boden fesseln. Von allen andern Gemüthskrankheiten unterscheidet sich auch das Heimweh durch die an’s Wunderbare gränzende Schnelligkeit der Genesung, sobald eine nahe Rückkehr in’s Vaterland in Aussicht gestellt ist.

Ich hatte einst ein Dienstmädchen aus dem ärmsten Theile des Erzgebirges. Mit Thränen im Auge erzählte sie oft, wie sie in der Heimath trotz angestrengter Arbeit mit ihren Geschwistern gehungert und ohne warme Kleidung und Holz den Winter durchfroren habe. Sie war glücklich, diesem Elend entrissen zu sein und sehr dankbar dafür. Nach einem Jahre aber ward das sonst so lustige Mädchen stiller und stiller; sie fing an zu kränkeln und eines Tages trat sie ins Zimmer und weinte und bat, ich möge ihr nicht böse sein, aber sie könne es nicht mehr aushalten im schönen Leipzig, sie müsse fort „in’s Gebirg“ – nach der Heimath. Und als ich ihr vorstellte, wie sie da oben nur mehr Arbeit und Noth und Elend erwarte, nickte sie nur bejahend mit dem Kopf und sah still zur Erde. „Ich weiß es – ich weiß es,“ sagte sie dann. Sie werden mich undankbar schelten, aber es drückt mir das Herz ab, wenn ich nicht „derheime“ komme.“ So gab ich ihr denn die Erlaubniß, nach vier Wochen abzureisen. Von Stund’ ab kehrte ihre alte Heiterkeit zurück, sie blühte sichtbar wieder auf und unter Thränen und Lachen nahm sie endlich Abschied, um zurück nach ihrem Dörfchen zu gehen, wo sie vielleicht jetzt schon im Elend verkommen ist.

So war es auch mit einem Kameraden im Regiment, der auf dem armen poesielosen Eichsfeld zu Hause war. Der Sohn eines Fabrikarbeiters, der mit all’ seinen Kindern kaum die wenigen Kartoffeln erschwingen konnte, die der Hausstand brauchte, war er in Noth und Elend aufgewachsen und hatte erst als Soldat das Glück einer warmen Kleidung und eines gesättigten Magens kennen gelernt. Sein sonst so bleiches Antlitz war einem gesunden Vollmondsgesichte gewichen. Als „proprer“ Soldat ward ihm vom Regiment das Anerbieten gemacht, die Unteroffizierstresse anzunehmen, wodurch seine Zukunft für immer gesichert war. Er lehnte Alles ab, „und wenn er verhungern solle,“ sagte er, „er müsse zurück nach seinem Dorfe, zu den Andern.“ Auf dem Marsche und beim Exerciren erzählte er mir oft von den Schönheiten seiner Heimath, deren traurigen Zustand ich nur zu gut kannte. Als ihm später nach zwei Jahren Dienstzeit der damals übliche Urlaub verweigert ward, fiel er sichtlich zusammen, sein sonst so musterhaftes Aeußere unterlag täglich mehr dem Tadel des Hauptmanns, sein Gang ward schleppend und träge, bis ihn endlich das Fieber auf das Lazarethbett warf, auf dem er stets nur von seinem Dörfchen phantasirte. Dort brachte ihm eines Tages der Regimentsarzt die Nachricht, der längst erwartete Urlaub sei eingetroffen und in acht Tagen könne er sein Bündel schnüren. War das ein Jubel! Drei Tage später war der Kranke schon aus dem Bette und nach acht Tagen wanderte der kerngesunde Bursche lachend und singend zum Festungsthore hinaus, dem heimathlichen Dorfe zu, der Noth und dem Elend entgegen.

Ja, ’s ist wohl ein eigen Ding um die Heimath! Es war an einem der schönen Augusttage dieses Jahres, als ich von Kehl aus über den sogenannten freien deutschen Rhein nach Straßburg wanderte. Ein Kehler Bürger, ein kräftig-hochgewachsener Fünfziger, dem schon einige weiße Haare verräterisch die Stirn umspielten, begleitete mich. Mit dem ersten Schritte auf der Brücke blieb er stehen. „Herr,“ sagte er und nahm meine Hand, „wenn ich jetzt über den Rhein gehe, wird mir’s immer recht wehmüthig um’s Herz. Es war in ganz Deutschland eine traurige Zeit im Jahre 1849, aber hier war’s am traurigsten. Und sehen Sie dort die paar hundert Schritte weiter, dort am andern Ende der Brücke auf der französischen Seite, da war’s erst recht traurig! Dort standen Tag für Tag die armen Flüchtlinge, oft sechzig und achtzig an der Zahl, und schauten herüber nach deutscher Erde. Das war keine brühweiche Sentimentalität, die meisten dieser Leute hatten ihren starken Muth auf dem Schlachtfelde bewiesen, aber hier brach ihnen das Herz zusammen. Da drüben das Elend, die fremde Sprache, die fremden Leute, keine milde, freundliche Hand, die über die wilde Stirn, über das trotzige Herz gestrichen hätte, wie das wohl jeder Mensch einmal haben muß, wenn er nicht untergehen soll, keine Freude drüben – keine, und das schöne Vaterland so nahe – Herr, das muß den Menschen wohl packen und wenn er noch so fest wäre. Jeden Abend sind sie aus Straßburg herausgekommen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_427.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)