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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

meinen Jugendreizen rede. Ich betrachte mich längst als eine Ausgeschlossene und Gestorbene und darf daher wohl von meiner vergangenen Schönheit erzählen.

Obschon mich meine Eltern mit Geschenken überhäuften, nicht selten mich mit auf Reisen nahmen, so fühlte ich in meinem Innern doch stets eine traurige Leere, eine drückende Leere. Das Landleben behagte mir nicht mehr und ich sehnte mich mehr und mehr nach den geräuschvollen Freuden einer größern Stadt. Im Strudel von Zerstreuungen, welche die Stadt bietet, hoffte ich die klagende Stimme meines unbefriedigten Herzens zu übertäuben.

Mein Charakter hatte sich wenig geändert. Stolz, Verschlossenheit, Leidenschaftlichkeit und Rachsucht waren vorherrschend darin. Meine schlechten Eigenschaften bewiesen übrigens, wie fruchtbaren Boden für sie mein Inneres darbot. Sie wucherten als Unkraut und begannen allmälig das wenige Gute zu ersticken. Ach es war ja Niemand, der das böse Kraut ausrottete und an seine Stelle die Blumen der uneigennützigen Liebe, der Sanftmut, der Demuth und Religiosität pflanzte. Uebelgewählte Lectüre, besonders die leichtfertige französische Philosophie jener Zeit trugen nicht wenig bei, mich zu verderben.

Für Frauen hatte mein stolzes, leidenschaftliches Wesen wenig Angenehmes, aber auf die Männer übte meine schroffe Eigenthümlichkeit einen besondern Reiz. Die Wenigen, die ich auf dem Lande kennen lernte, lagen zu meinen Füßen. Diese kleinen Triumphe machten mir indeß wenig Freude und vermochten nicht, mich aus meiner stolzen Gleichgültigkeit aufzurütteln.


Bisher habe ich unterlassen, einer Person zu erwähnen, die seit einigen Jahren in unserer Familie, aber sehr abgeschlossen lebte. Es war dies die Tante meines Vaters, Frau Angelika Fioretti, Wittwe eines italienischen Edelmannes. Sie hatte ein fast siebenzigjähriges, sturmbewegtes Leben hinter sich. Nach dem Tode ihres Gatten kam sie aus Italien zurück, um bei uns den Abend ihres Lebens zu beschließen. Obschon in ihrem Wesen etwas Abstoßendes lag, so nahmen sie doch meine Eltern mit anscheinender Freude auf, denn die Fioretti besaß ein ansehnliches Vermögen und hinterlies keine Kinder. Aller Wahrscheinlichkeit nach fiel nach ihrem Tode uns Alles zu.

Ueber dem Leben meiner Großtante ruhte ein düsterer Schleier. Ihre Vergangenheit ward nie erwähnt, und kam ich zuweilen darauf zu sprechen, brach sie schnell ab. Uebrigens war ich die einzige Person, welche ihr nicht unangenehm war. Mein leidenschaftlicher, zwischen Widersprüchen sich bewegender Charakter schien ihr Interesse zu erregen. Sie bat sich oft beim Spazierengehen meine Gesellschaft aus. Auch mußte ich ihr des Abends vorlesen. Mit geheimem Aerger unterzog ich mich dieser unangenehmen Pflicht und zeigte unverholen durch mürrisches Wesen, wie unangenehm mir das häufige Beisammensein mit ihr sei. Wunderlicher Weise zeigte sie sich darüber nicht empfindlich. Sie ließ sich sogar gern von mir widersprechen und lachte, wenn ich mich so recht in zornige Heftigkeit hineingeredet hatte. Aber ihr Lachen war mir unheimlich und wahrhaft empörte mich ihre wiederholte Aeußerung: „Leonore ist ganz wie ich war und sie wird mir immer ähnlicher werden.“

Bei unsern Abendspaziergängen führte sie wunderliche Reden über Leben, Schicksal, Zufall und raubte mir nach und nach jedes höhere Gefühl für Gott und Religion. Sie selbst kannte keinen andern Gott als den Zufall, kein anderes als irdisch-erfaßbares Glück. Als ich einst, bezwungen von der sanften Schönheit eines Sommerabends im Walde in einer ungewöhnlich weichen Stimmung Gottes Herrlichkeit bewunderte und stumm anbetend der untergehenden Sonne nachschaute, da klang wie ein Mißton in die Harmonie der Waldeinsamkeit die heisere Stimme der Großtante: „Was blickst Du so unverwandt nach der blauen Decke, welche fromme Thoren so gern den Himmel nennen? Betest Du etwa?“

„Nein,“ erwiederte ich. „aber ich dachte daran, wie groß und herrlich die Natur ist und wie klein und erbärmlich die Menschen in ihrem Treiben. Ich dachte daran, daß es dort oben nach dem Tode schöner sein müsse.“

Der Mund der Alten zuckte höhnisch. „Auch ich glaubte sonst an Gott,“ sagte sie, „aber später ging er mir aus dem Herzen verloren, weil mir der Glaube an ihm fehlte. Was ist Gott? Wo ist er? Ich habe siebenzig Jahre gelebt; ich war oft unglücklich zum Verzweifeln; er hat mir nie geholfen; darum half ich mir selbst. Ich suchte ihn in der Welt, ich fand ihn nicht. Ich sündigte, er hatte keine Strafe für mich. Ich sah Schuldlose jammervoll untergehen, Böse triumphiren, Gott ließ Alles geschehen! Da kam mir endlich die Gewißheit, daß der Zufall allein unser Gott sei.“

Ich schauderte unwillkürlich und sagte leise: „nicht alle Vergeltung soll hier auf Erden reifen.“ Die Großtante fuhr fort: „Ich habe Wahnwitzige, Blödsinnige und kindische Alte gesehen und mich gefragt, wohin ist ihre unsterbliche Seele gegangen? Und meine Vernunft gab mir stets zur Antwort: die Seele ist nichts als ein feiner Herr, der mit dem Körper stirbt und vermodert. Der Mensch ist zwar das vornehmste Thier, aber doch ein Thier und muß spurlos verschwinden wie seines Gleichen. Und was hätten wir auch von der gerühmten Unsterblichkeitsfabel? Den edeln Unglücklichen würde die schreckvolle Erinnerung an die überstandenen Erdenleiden quälen, den Bösen die nagende Reue.“ Sie brach plötzlich ab, rief: „andiamo!“ und ging tiefer in den Wald, wo sie sich auf einen umgefallenen Baumstamm setzte. Ich stand noch auf derselben Stelle, in die Wolken starrend und den trostlosen Worten der Alten nachdenkend: „Wie ungläubig sie ist,“ sprach ich für mich, und mein böser Genius flüsterte: „Sie hat Verstand und Erfahrung, vielleicht sprach sie die Wahrheit.“

Die Sonne war gesunken, der Mond kam langsam über die Berge und bestrahlte die nächtliche Landschaft mit mildem Strahle. Ich blickte verstohlen nach der Großtante. Sie saß noch immer auf dem Baumstamme, hatte den Kopf vorgebeugt und war eingenickt. In der bleichen Beleuchtung des Mondes sah sie doppelt alt und verwittert und wie zum Hohne schien das buntfarbige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_431.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)