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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

mich, bei dem ganzen Feste eine heitere, zufriedene Miene zu heucheln und lächelnd die Glückwünsche der Hochzeitgäste zu empfangen.

Das äußerlich glänzende Leben, das ich von nun an begann, ließ die Menschen glauben, ich sei eine der beneidenswerthesten Frauen. Ich selbst übertäubte auch wirklich die nagende innere Unzufriedenheit eine Zeit lang durch geräuschvolle Vergnügungen und durch die Triumphe, die meine Eitelkeit und mein Stolz feierten.

Eine geraume Zeit ließ sich Neuhaus meine Kälte und Schroffheit ihm gegenüber gefallen. Er fand sich mit dem Gedanken geschmeichelt, der Gatte des hübschesten und witzigsten Frauenzimmers von C. zu sein. Allmälig aber änderte sich dieser Stand der Dinge. An die Stelle der blinden Verehrung trat Enttäuschung und Langeweile. Er hatte gehofft, seine ausdauernde Liebe zu mir endlich mit Gegenliebe oder doch wenigstens mit Vertrauen belohnt zu sehen; ich aber stand ihm nach wie vor kalt und höflich-gleichgültig gegenüber. So fing Neuhaus endlich an, mich zu hassen. Ja, der Fluch einer unglücklichen, verfehlten Ehe ruhte schwer auf uns. Mein Gatte mußte auf jede Traulichkeit, auf jeden Zauber einer glücklichen Häuslichkeit verzichten. Er fand in meinem Herzen nicht eine einzige verwandte Saite. Dabei sah er sich durch mich mancher frühern Freiheit beraubt. Grund genug, mich im Stillen mit Haß und Verachtung zu behandeln – ich sage, im Stillen, denn vor der Welt gaben wir uns Mühe, für ein zufriedenes Paar zu gelten. Und ich, war ich weniger zu beklagen als er? Nur ein Weib kann verstehen, was es heißt, dem Geliebten entsagen zu müssen und die Frau eines unliebenswürdigen und ungeliebten Gatten zu sein.

Ich gab mich fortwährend allen erdenklichen Zerstreuungen hin; aber selbst die Bewunderung, die man meinem Geiste, meinen Worten, meiner Schönheit zollte, vermochten nicht die drückende und grenzenlose Gleichgültigkeit zu tödten, die mich verzehrte. Nur Lectüre ergötzte mich noch; aber was ich las, zeigte den verdorbenen Geschmack und die irreligiöse, unweibliche Richtung meines Geistes.

Mein Mann wurde im Hause immer tyrannischer. Er äußerte seine Abneigung durch unendliche Launen und suchte mich selbst geflissentlich zu kränken. Mein Haß dagegen war so tief und versteckt, daß Neuhaus ihn nur für Gleichgültigkeit hielt.

So schleppten wir uns im Gefühle gegenseitiger Abneigung fast ein Jahr hin. O es war ein Leben so schmachvoll, so entwürdigend, daß ich mir oft sehnlich den Tod wünschte. Um diese Zeit starb sehr plötzlich mein Vater und hinterließ mir ein beträchtliches Vermögen. Gern hätte ich meinem Manne den größten Theil desselben abgetreten, wenn ich dadurch frei geworden wäre; aber er mußte wohl Gründe haben, die ihn nicht in eine Trennung willigen ließen. Ueberdies waren wir katholisch und die Geistlichkeit erschwerte damals die Ehescheidung sehr.

Eines Tages kündigte mir mein Gemahl an, wir würden eine Reise machen. Ich wäre viel lieber daheim geblieben. Das wußte er; aber darum gerade bestand er darauf, mich mitzunehmen. Das Ziel unserer Reise war Zürich. Unterwegs blieben wir einen Tag in B.. und ein sonderbarer Zufall wollte, daß ich dort in einem Concerte, welches ein durchreisender Künstler gab, Constantin von fern erblickte. Er lehnte, ohne meine Anwesenheit zu ahnen, an einer Säule und schien ganz in die Musik versunken. Mein Herz schlug mit so furchtbarer Heftigkeit, daß ich kaum Athem schöpfen konnte. Ich vergaß meine Umgebung, sah einzig nur ihn und ließ mich dabei von den schmeichelnden Tönen der Musik berauschen. Ein unsanftes Rütteln und die Stimme meines Gatten, der mich höhnisch frug, ob ich zur Salzsäule erstarrt sei, riefen mich in die Wirklichkeit zurück. Wenn Blicke tödten könnten, so würde ich Neuhaus getödtet haben, wie ich ihn ansah. Er fühlte auch den Zorn, der aus meinen Augen loderte. „Ich hätte nicht geglaubt,“ sagte er, „daß ein gestörter musikalischer Genuß Madame in solchen Zorn versetzen könnte.“ Wir verließen vor beendigtem Concert den Saal und mir blieb nur Zeit, noch einen verstohlenen Blick nach Constantin zu werfen. Unglücklicher als je kehrte ich von der Reise zurück und wir spielten wieder eine Zeit lang die Rolle eines zufriedenen Ehepaares. Ich besuchte Gesellschaften, tanzte oder saß am Spieltisch, während sich Neuhaus immer mehr dem Genusse übermäßigen Weintrinkens hingab. Seine hierdurch hervorgerufene Kränklichkeit bestimmte ihn, unsern Wohnsitz auf ein halbes Jahr nach unserm zweiten Gute zu verlegen, wo er von der gesünderen Bergluft Stärkung verhoffte. Ich war so stumpf geworden, daß mir es völlig gleichgültig war, wo wir lebten. Ich traf also ohne Widerrede meine Vorbereitungen zur Reise. Als ich in meinen Schränken und Commoden kramte, fand ich auch das Ebenholzkästchen wieder, das ich der todten Großtante versprochen hatte in den See zu werfen. Ich öffnete es und mein Blick heftete sich unwillkürlich auf die kleinen Phiolen. Er vermochte sich von den unheimlichen Gläsern nicht loszureißen. Ein Meer von Gedanken wogte in meiner Stirn, welche fieberhaft brannte. „Trost für Unglückliche,“ sprach die Großtante. „Bist du etwa glücklich? Ist dein Leben werth, daß du es lebst?“

Es giebt Menschen, deren Seelen durch schwere Prüfung im Unglück milder, edler werden; die durch den Kampf mit dem Schicksal nicht innerlich zerrissen und gebrochen werden, sondern die sich erheben, und von Gottvertrauen, von Unschuld und Entsagung getragen werden über die dunkeln Stürme der Erde. Ach, zu solchen gehörte ich nicht! Aber es giebt auch Menschen, bei denen das Böse schon in der Kindheit einen schweren Kampf mit dem Guten beginnt; Menschen, die, wenn ihnen ein heiteres, glückliches Erdenloos fällt, durch das Glück frommer, reiner und vollkommener werden; während im Gegentheil Gram und Schmerz ihre edelsten Kräfte verzehren, das Bessere in ihnen ersticken, das Herz verhärten und alle schlummernden Keime des Bösen wecken. Sie sind nicht geistig erhaben genug, den Schmerz zu verklären; sie gehen darin unter, und der böse Genius schlägt triumphirend seine Fledermausfittige.

Auch mich hatte der Schmerz hart, bitter und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_454.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)